Regionalliga Nordrhein
Wiedergeburt, Teil zwei: Jung, jünger, Neusser HV
Die Mannschaft von Trainer Gilbert Lansen ist jetzt personell breiter aufgestellt - und sie sieht deutlich konkurrenzfähiger aus. Wer 24 ist, gehört schon zu den "Alten".

Ohne Berührungsängste: Aaron Jennes (rechts/hier für seinen bisherigen Verein TV Korschenbroich im Zweikampf mit dem ehemaligen Ratinger Thomas Bahn) weiß sich am Kreis ganz gut zu behaupten. (Foto: Michael Jäger)

Das muss fast so sein. Und es passt auf jeden Fall ins Bild: Gilbert Lansen ist beim Neusser HV der jüngste der 31-Jährigen unter den Trainern in der Regionalliga Nordrhein. Die Kollegen Alexander Zapf von der HG Remscheid und Lars Brümmer von der SG Langenfeld werden im Herbst 2021 „schon“ 32, während Lansen, bis dahin 30, die beiden anderen erst vor Kurzem eingeholt hat. Die drei haben im Übrigen noch eins gemeinsam: Sie waren im Sommer 2020 neu auf der Kommandobrücke – und sie wurden spätestens nach dem vierten Spieltag am 10. Oktober mit der Unterbrechung der Saison gemeinsam ausgebremst. Das Unternehmen Wiedergeburt des Neusser HV nach dem inzwischen abgehakten Scheitern des Projekts HC Rhein Vikings war vorbei, bevor es richtig begonnen hatte. Ob die Neusser in einer normalen Saison das wagemutige Unternehmen Klassenerhalt erfolgreich gestaltet hätten? Eher nein, vielleicht doch. Die 0:6 Punkte aus den ersten drei Spielen bestätigen, dass es mindestens eine sehr schwierige Saison geworden wäre. Zehn Monate später sieht manches anders aus – weil sich in Neuss eine Menge getan hat. Weil sie den Kurs beibehalten haben und trotzdem an ein paar wichtigen Stellschrauben drehen konnten. Die Prognose: Wer den Fehler machen sollte, dass er den Neusser HV mit dem jüngsten Trainer und dem ziemlich sicher jüngsten Kader der Liga unterschätzt, könnte sein persönliches blaues Wunder erleben. 

Geblieben sind im für alle komplizierten vergangenen Jahr die Leidenschaft und Begeisterung für den Handball. Geblieben sind zudem Bodenhaftung und Respekt vor der Aufgabe, sich in der Regionalliga erst einen festen Platz suchen zu müssen. Gewachsen ist dafür die Zuversicht, dass die Neusser deutlich konkurrenzfähiger sein werden als damals. „Wir sind nicht mehr immer der krasse Außenseiter“, findet Gilbert Lansen. Hauptgrund dafür: Der Kader ist inzwischen ausreichend groß – und qualitativ klar aufgewertet. Zwischen den Pfosten steht weiter Paul Dreyer (19), der seit Februar für ein paar Monate beim HSC Coburg in der Bundesliga wertvolle Erfahrungen im Profi-Bereich sammeln durfte und nun wieder mit seinem Stammverein um Punkte kämpfen will. Ebenfalls eine Art Neuzugang ist Rückraumspieler Til Klause (20) nach seinem Kreuzbandriss aus dem Dezember 2019. „Er ist wieder komplett fit“, betont sein Coach.

Weitere Verstärkungen waren zuletzt bereits in der Regionalliga unterwegs – und sie passen ins jugendliche „Beuteschema“ der Neusser: Daniel Zwarg (22) kehrt vom TV Alderkerk zu seinem früheren Klub zurück – wie Tim Dicks (22) vom TV Korschenbroich. Dicks, vor einem Jahr des Studiums wegen nach Österreich gezogen (Salzburg), hat sich beruflich noch einmal anders orientiert und wird nun in der Heimat eine Ausbildung beginnen (Zimmermann). Der Alters-Präsident der Mannschaft, deren Durchschnittsalter nach Lansens Schnell-Rechnung bei etwa 22 Jahren liegt, ist jetzt Aaron Jennes. Der Kreisläufer, von 2017 bis 2021 beim TV Korschenbroich eine feste Größe, wird den Neussern durch seine offensiven und defensiven Qualitäten helfen. Mit viel Regionalliga-Erfahrung im Rücken wird Jennes gleichzeitig einer der Führungsspieler sein – zumal er im Herbst bereits 24 Jahre „alt“ wird.

Nicht mehr zum Neusser Kader gehört Rückraumtalent David Jurisic (19), der im Laufe des vergangenen Winters ein Angebot des Wilhelmshavener HV angenommen hatte und sich dort für fünf Monate in der 2. Bundesliga entwickeln konnte. Dass der Linkshänder, der künftig für den Zweitliga-Aufsteiger VfL Eintracht Hagen auflaufen wird, kaum nach Neuss zurückkehren würde, stand für Gilbert Lansen immer fest: „Das war von vornherein klar.“ Gleichzeitig lässt sich die nun entstandene Lücke im rechten Rückraum kaum deckungsgleich schließen, weil Linkshänder ohnehin begehrt sind – erst recht mit den Attributen talentiert, jung, entwicklungs- und begeisterungsfähig. „Wir sind auf der Suche nach einem Linkshänder“, erläutert der NHV-Coach – wobei er sehr genau weiß, wie kompliziert bis nahezu unmöglich die Angelegenheit sein dürfte. Also will Lansen zusammen mit dem Team aus der Not eine Art Tugend machen und die Position mit Rechtshändern besetzen. Der Plan stimmt mit der Grundeinstellung des NHV überein: „Wir müssen das als Allgemeinheit lösen. Wir haben nicht die überragenden Einzelspieler.“ 

Taktgeber: Trainer Gilbert Lansen will mit seinem Team in erster Linie die Klasse halten.  (Foto: Ralf van Thriel Sportfotografie)

Eine erste Standort-Bestimmung gibt es am 18. September gegen den OSC Rheinhausen in der Stadionhalle Jahnstraße – ein Übergangs-Quartier, weil die gewohnte Heimspielstätte Hammfeld zurzeit noch als Impfzentrum genutzt wird. „Wir hoffen auf eine Rückkehr Mitte bis Ende Oktober“, meint Lansen, der in der kommenden Saison sportlich alles für möglich hält. „Die Liga ist sehr ausgeglichen und jeder wird jeden schlagen können. Das ist alles schwer einzuschätzen. Wir freuen uns sehr drauf.“ Mit Überraschungen sollten deshalb lieber alle rechnen und die Konkurrenten auf jeden Fall auch mit Gilbert Lansen und seinen Handballern aus der Abteilung „Jugend forscht“. Wer sich nicht dran hält, könnte sein blaues Wunder erleben.