23. Oktober 2019 | Zurück zur Artikelübersicht » |
Still ruht der See, könnte man meinen. Schließlich ist Herbst und die Zeit der Schulferien. Also machen auch die Handballer und die so sehr um sie besorgten Datenschützer Urlaub. Das ist aber so nur teilweise richtig, denn das Thema beschäftigt selbst in der Pause viele. Manche regt die Angelegenheit sogar auf: Und es geht immer noch darum, dass am Niederrhein und am Mittelrhein keine kompletten Spielberichte mehr einzusehen und Statistiken nicht mehr abrufbar sind – wie in den vergangenen Jahren mal üblich. Die dem Westdeutschen Handball-Verband angeschlossenen Verbände haben das für Trainer, Spieler und alle, die sich mit dem Handball beschäftigen, sehr nützliche Werkzeug quasi ins Darknet verschoben. Nach wie vor begann alles mit einer einzelnen Beschwerde gegen die Veröffentlichung derartiger Namen und Zahlen sowie der folgenden Anordnung des NRW-Datenschutz-Beauftragten, dies zu unterlassen. Seit dem Beginn der Saison sitzen nun tatsächlich alle im Dunkeln. Seitdem wird hinter verschlossenen Türen verhandelt. Seitdem suchen und finden Vereine zum Teil sehr trickreich Mittel und Wege, die vorhandenen Informationen trotzdem weiterzugeben. Das ist umständlich, klappt aber in vielen Fällen ganz gut. Seitdem finden sich auch immer mehr Menschen, die diesem Datenschutz-Unfug jenseits des Nachvollziehbaren den Kampf ansagen. Einer von denen, die angesichts der Info-Sperre durch den Verband richtig wütend geworden sind: Tobit Esch. Genauer gesagt: Dr. Tobit R. Esch. Das „R“ steht für Raphael und macht den Namen in der Welt der Wissenschaftler ein bisschen unverwechselbarer.
Auf der einen Seite führt Tobit einen Doktortitel in Chemie. „Schwerpunkt meiner wissenschaftlichen Arbeiten ist die photokatalytische Wasserspaltung und die Entwicklung neuer Batterien“, sagt der 34-Jährige. Wer damit wenig anfangen kann – kein Problem. Viel wichtiger sind in diesem Zusammenhang andere Eigenschaften des in Köln geborenen Wahl-Bonners: So sammelt er leidenschaftlich gerne: „Ich bin ein kleiner Statistik-Nerd.“ Bereits früher habe er zum Beispiel aufgeschrieben und ausgewertet, wie viele Kilometer er mit seiner Computermaus zurückgelegt habe. Hört sich ein bisschen schräg an und ist es wohl auch – nicht allerdings für Tobit, dem solche Dinge einfach Spaß machen. Kein Wunder: Weil der Herr Doktor gleichzeitig Handball spielt, kam es irgendwann, wie es kommen musste: Er begann, Torschützenlisten aufzustellen. Handschriftlich. Wie in grauer Vorzeit.
Mit der Datensperre der Handballer kann der Handballer Esch nichts anfangen. Deshalb hat er der Blockade im Sinne des Sports den Kampf angesagt und eine Seite mit dem Titel „wirsindderhandball.de“ ins Leben gerufen. Tobit Esch, der mit dem Godesberger TV der Kreisklasse angehört, kümmert sich in seiner Freizeit mit Leidenschaft darum, hat bereits eine Menge Zeit investiert und wird es weiter tun. Im Optimalfall soll es eine deutschlandweite Übersicht über alle Klassen hinweg geben. Ergebnisse, Tabellen, Torschützen, Gelbe Karten, Zeitstrafen, verwertete und verworfene Siebenmeter sollen einen kompletten Überblick geben. Das gilt auch für die Klassen im Harzhelden-Gebiet mit der Regionalliga Nordrhein, der Oberliga Niederrhein und der Oberliga Mittelrhein. Im Portfolio finden sich aber auch die Bundesliga, die 2. Bundesliga und die 3. Ligen – unter anderem mit der Gruppe Nord-West, zu der die Bergischen Panther, der Longericher SC, die HSG Rhein Vikings, der VfL Gummersbach II und der Leichlinger TV gehören. Jene fünf Teams waren aber vom Daten-Bann ohnehin nicht betroffen. Erstens: Der WHV sowie die Verbände Niederrhein und Mittelrhein haben auf die 3. Liga gar keinen Zugriff. Zweitens: Nach Einschätzung der Datenschützer beginnt dort der Bereich Profi-Handball. Und dort sei die Weitergabe von Spiel(er)-Daten nach einer Partie üblich und hinzunehmen. Anmerkung am Rande: Die Drittliga-Partie der „Profis“ im Leichlinger TV kürzlich gegen den VfL Gummersbach II sahen rund 300 Zuschauer, jene einige Wochen zuvor in der Regionalliga zwischen den „Amateuren“ der HSG Siebengebirge und der TSV Bonn rrh. rund 650.
„wirsindderhandball“ will eine Lücke füllen. Tobit Esch ist – wie die Harzhelden – fest davon überzeugt, dass die Darstellung von rein aufs Spiel bezogenen Zahlen und Fakten im Interesse aller Handballer liegt. „Wer sich in die Öffentlichkeit begibt, um seinen Sport auszuüben, muss doch auch damit rechnen“, sagt Esch, der insgesamt in der Teilnahme an einem Handball-Spiel vor Zuschauern eine offensichtliche Einverständnis-Erklärung sieht. Trotzdem fließen ihm die Daten für seine Seite, die er in der Freizeit betreibt, nicht automatisch zu. Er ist auf Unterstützung angewiesen – durch Vereine, durch Spieler, durch alle, die von seiner Arbeit profitieren können. Eins der denkbaren Modelle: Wer Spielberichte weiterleiten mag, sollte das tun. Tobit Esch nimmt jederzeit gerne Daten-Material entgegen – auch Anregungen oder Hinweise auf Fehler. Je mehr Handballer das Projekt unterstützen, desto eher wird ihnen eine komplette Datenbank zur Verfügung stehen.
Dass die Verantwortlichen im Bereich des Westdeutschen Handball-Verbandes zu einer brauchbaren Lösung finden, scheint eher ein Wunschtraum zu sein. Technisch wäre das einfach: Man drücke ein paar Tasten und schalte die Spielberichte wieder frei – weil davon auszugehen ist, dass alle vermeintlich schutzwürdigen Spieler damit einverstanden sind. Jedenfalls ist seit dem Vollzug der „Schließung“ keiner bekannt geworden, der sein Veto eingelegt hätte. Und vermutlich wird es denjenigen nie geben. Das alles hielt die höheren Funktionäre jedoch nicht davon ab, sich ein kompliziertes Verfahren auszudenken, das vor allem ein Gefühl hervorruft: So wird das nichts. Viele Vertreter von Kreisen und Vereinen dürften das ähnlich sehen.
Nach Gesprächen mit dem Verband und dem neuen Seitenbetreiber „nuLiga“ (seit Sommer Nachfolger von sis-handball), den etwa der Niederrhein als „neue Kommunikationsplattform des Handballverbands in Bezug auf die Verwaltung von Spielberechtigungen und Spielbetrieb“ bezeichnet, werden wohl gerade die Daten der Spielerpässe ins System importiert – was etwa bis Anfang November erledigt sein soll. Dann setzt „nuLiga“ alle Spieler im öffentlichen Bereich auf „anonym“. Aufgabe der Vereine ist es, alle Spieler mit einer Mail-Adresse anzulegen, mit der sich die Spieler bei „nuLiga“ anmelden sollen/müssen. Nun entscheiden sie selbst darüber, ob ihr Name in einem Spielprotokoll oder einer Statistik auftauchen soll. Schlussfolgerung: Meldet sich ein Spieler gar nicht erst per E-Mail an, wird sowieso nichts aus dem Plan. Meldet er sich an, vergisst aber seine Zustimmung, auch nicht. Hm.
Wir bieten mal wieder eine Wette an: Vermutlich werden sich nicht alle aktiven Handballer am neuen System in der gewünschten Form beteiligen. Sie wollen in erster Linie einfach Handball spielen und ihre Leidenschaft auf dem Feld darbieten – am liebsten sogar sehr öffentlich. Je mehr Resonanz, desto besser. Die beabsichtigte Freischaltung wird mit hoher Wahrscheinlichkeit als Haupttorschützen einen oder mehrere Herren „Anonym“ führen. Wer das entscheidende Tor geworfen hat: Schwer anonym vielleicht. Interessante Frage: Warum haben andere Verbände aus der eigenen Sportart oder Verbände aus anderen Sportarten mit dem Thema eigentlich kein Problem? Wer sich beispielsweise im Tennis-Verband Niederrhein umschaut, findet alle Ergebnisse bis hin zu den persönlichen Bilanzen einzelner Spieler. Geheimnis-Verrat? Wer sich bei den Handballern in Mecklenburg-Vorpommern umschaut, findet detaillierte Spielberichte – mit Torschützen, Gelben Karten und Zeitstrafen. Ein Verstoß gegen Persönlichkeitsrechte?
Zum Abschluss eine weitere Wette: Die Angelegenheit wird weiter aufregen. Und sie droht zu einer durchaus längeren Geschichte zu werden. Und zum Abschluss noch ein Hinweis an den Mittelrhein, in dem ja aus irgendeinem Grund die Spielberichte im Pokal 2019/2020 nach dem Stand von heute durchaus weiter öffentlich einsehbar sind. Vergessen? Das Halbfinale vom 5. September 2019 zwischen dem Regionalligisten TV Jahn Köln-Wahn und dem Oberligisten TuS Derschlag (17:26) ist ziemlich sorgfältig aufgedröselt. Trotzdem spielen die Herren Anonym bereits mit – bei den Gelben Karten und Zeitstrafen. Wir haben es vergessen: Strafen sind etwas Böses, die darfst du sowieso nicht nennen. Liebe Leute: Warum schaut ihr euch das denn beim Fußball ab? Lasst diesen Unsinn. Unterstützt lieber Handballer wie Tobit Esch, die gegen den Daten-Vermummungswahn kämpfen.