Oberliga
Hendrik Rachow: Wenn das mit dem Aufhören schiefgeht
Ex-Opladener ließ sich erst zum Spieler-Comeback überreden. Jetzt ist er Trainer des Aufsteigers 1. FC Köln.

Es war einmal: Hendrik Rachow (mit Ball) fühlte sich vorne als Kreisläufer (und hinten als Abwehr-Stratege) immer im dicksten Getümmel wohl. (Foto: Thomas Schmidt)

Es ist der 15. März 2022. Schon gut drei Monate vorher hat Hendrik Rachow angekündigt, dass nach dieser Saison Schluss sein soll. Nicht nur beim TuS 82 Opladen in der 3. Liga, sondern generell mit dem Handball. Und so stand es damals auch in einer offiziellen Mitteilung der Opladener zu lesen: „Ich freue mich jetzt erst einmal noch auf die restlichen Spiele und dann darauf, in Zukunft mehr Zeit für andere Dinge zu haben.“ Diese restlichen Spiele nach der Rücktritts-Ankündigung sind für den TuS 82 nicht mehr so mega-erfolgreich, aber das Team von Trainer Fabrice Voigt beendet die Serie 2022/2023 in der relativ kleinen Gruppe D (zwölf Klubs, nach dem Rückzug des Leichlinger TV nur elf) mit 25:15 Punkten als Fünfter in der oberen Tabellenhälfte – was auch viel mit dem Wirken von Hendrik Rachow zu tun hat. Zum Schluss stellt er in der Partie beim VfL Gummersbach II, die Opladen mit 28:32 verliert, erneut seinen über die Jahre immer wieder bestätigten Wert für die Mannschaft unter Beweis: Am Ende der 60 Minuten sind vier Treffer und zwei Zeitstrafen im offiziellen Protokoll zu finden. Das wiederum ist keine ganz große Überraschung, denn Rachow – der nebenbei als der perfekte Teamplayer gilt – gehört zu jener bis heute ziemlich begehrten Spezies an Handballern, die als Kreisläufer jederzeit für Tore gut sind und noch besser geeignet, in der Abwehr den Innenblock entscheidend mit zu steuern. Das alles soll nun Vergangenheit sein, denn Rachow will aufhören. Mit dem Handball. Wirklich. Eigentlich. Aber er, der nicht als Umfaller gilt und sich vorübergehend eher dem Basketball zuwendet, kommt nicht richtig weit. Rund sechs Monate später steht er wieder auf der Platte – beim damals in der Landesliga aktiven 1. FC Köln, dessen Trainer Jannusch Frontzeck einst als Vorgänger von Fabrice Voigt an der Seitenlinie des TuS 82 zu finden war, nun Probleme bei der Besetzung der Kölner Kreisliga-Position hat, offensichtlich schnell ein Auge auf Hendrik Rachow geworfen hat – und mit seinem Werben erfolgreich ist.

Am 25. September 2022 kehrt der einstige Drittliga-Spieler Hendrik Rachow als Aktiver ins Geschäft zurück und er erlebt direkt einen klaren 30:14-Erfolg bei der HSG Marienheide/Müllenbach. Drei Wochen später, am 15. Oktober 2022, macht der Handball-Verrückte sogar beim Anpfiff auf dem Feld mit und erzielt sieben Treffer, die ein wichtiger Baustein fürs 31:28 bei der SG Eschweiler sind. Beide Resultate geben dabei nur Puzzleteile ab auf dem Weg zum Meistertitel, den die Kölner mit 52:4 Punkten und lediglich zwei Niederlagen unter Dach und Fach bringen. Dass die HSG Refrath/Hand II als einzige Mannschaft gegen den 1. FC gewinnen kann (32:31/30:26), hilft ihr dabei am Ende wenig, denn auf Rang zwei liegt sie bei 43:13 Punkten trotzdem weit zurück. Für die Kölner springt gleichzeitig der dritte Titel innerhalb einer erstaunlich kurzen Frist heraus: Am Ende der Saison 2018/2019 tauchen sie als Meister der Kreisklasse 1 Köln/Rheinberg in allen amtlichen Unterlagen auf, ehe sie im coronabedingt in der Rückrunde abgebrochenen Jahr 2019/2020 mit Rang sechs sowie mit Platz fünf in der früh beendeten Serie 2020/2021 jeweils in der Kreisliga einen Zwischenstopp einlegen. Aber logisch: Als der Handball wieder volle Fahrt aufnimmt, starten 2021/2022 die Kölner sofort wieder durch: Die Normalrunde beenden sie ebenso auf dem ersten Platz wie anschließend noch deutlicher die Meisterrunde. Der FC ist nun in der Landesliga angekommen – und er hat, wie sich schnell erkennen lässt, bei Weitem nicht genug. Das mag im Rückblick einer der Gründe dafür gewesen sein, dass sich Hendrik Rachow zum Rücktritt vom Rücktritt bewegen lässt.

Alles passiert während einer Geburtstagsfeier. „Ich habe ein paar Kumpel getroffen“, berichtet Rachow. Wenig später muss er feststellen, dass sich der Wille zum Kürzertreten oder gar Aufhören in Luft auflöst: „Das hat mehr oder weniger gut geklappt.“ Einer der sehr wesentlichen Momente dafür, dass der Kreisläufer erst schwankt und letztlich umfällt: Er wohnt nur fünf Minuten mit dem Fahrrad von der Halle entfernt, sodass zumindest der Aufwand für die „Anreise“ zum Training überschaubar bleibt und die längst zurückgekehrte Lust am Handball die Oberhand gewinnt. Der reine Spaß, gepaart mit sportlichem Erfolg, hält ungefähr ein Jahr – weil sich Hendrik Rachow aufgrund nicht gerade kleiner Probleme im/am Sprunggelenk mit den Ärzten beraten muss. Die Auskunft, die er seinerzeit bekommt: „Viel Knorpel ist da nicht mehr.“ Der interne Plan sieht vor, dass Hendrik Rachow – jetzt aber wirklich – dem aktiven Handball den Rücken kehrt und dafür in der Verbandsliga 2023/2024 bei seinem Jugend- und Heimatverein als Co-Trainer das Trainerteam um Jannusch Frontzeck ergänzt. Was aus diesem Plan wird? Nichts. Für die Partie am 18. Februar 2024 beim VfL Bardenberg steht Hendrik Rachow wieder auf dem Spielbericht und am 16. März meldet er sich mit fünf Toren beim 28:28 gegen den TV Jahn Köln-Wahn auch als Torschütze zurück. Ob es mit dem nächsten Comeback zusammenhängt, dass die Kölner nach einer rumpeligen Rückrunde zurück in die Spur finden? Nicht nur und doch mindestens ein bisschen. In den letzten vier Spielen springen jedenfalls weitere 7:1 Punkte heraus – und beim Saisonfinale und dem 32:30 gegen den Meister SC Fortuna Köln kann Rachow sorgenfrei pausieren. Als Zweiter hinter der Fortuna (43:9 Punkte) steht der 1. FC (38:14) bereits vorher als Aufsteiger in die Oberliga fest. Auf den Rängen drei und vier folgen ihnen zudem der MTV Köln II und die TSV Bonn rrh. II (37:15). An dieser Stelle könnte jetzt die Handball-Geschichte des Hendrik R. ein glückliches Ende haben. Was kommt? Selbstverständlich ist der 33-Jährige glücklich damit. Aber von einem Ende kann wirklich nicht die Rede sein. Vielleicht geht es vielmehr erst richtig los: Rachow hat mal kurz die Seiten gewechselt und in Köln haben sie ihn sich als Frontzeck-Nachfolger auf dem Trainerstuhl ausgesucht.

So geht es weiter: Hendrik Rachow (links/Nummer 13) wird die Dinge künftig „nur“ von der Seitenlinie aus begleiten – und im Idealfall mit seinem Team auch dort einiges zu feiern haben. (Foto: Thomas Schmidt)

Der Neu-Coach, ohne besondere Erfahrung in diesem Bereich, weist zunächst der Gerechtigkeit wegen jede „Verantwortung“ für den Aufschwung des Kölner Handballs mit vier Aufstiegen in den vergangenen sieben Jahren vehement von sich: „Das ist ganz klar Jannuschs Verdienst. Ich setze mich hier ins gemachte Nest.“ Als Frontzecks Co-Trainer hat er viel gelernt und er ist längst dabei, Wissen aus allen möglichen Bereichen mit der ganz anderen Sichtweise in sich aufzusaugen – um das Team weiterzubringen. Die Mannschaft im Übrigen war bei der Besetzung des Trainerpostens durchaus nicht völlig unbeteiligt: Rachow wollte wissen, ob sich seine nun ehemaligen Mitspieler den „neuen“ Chef in dieser Rolle vorstellen konnten – was tatsächlich und wenig überraschend der Fall war. Die ersten gemeinsamen Einheiten haben alle Beteiligten ja mittlerweile hinter sich und dass sie ein wenig ungewöhnlich liefen, richtete für die gemeinsame Sache keinen echten Schaden an: Weil Reparaturarbeiten zu erledigen waren, stand die Halle Europaschule während der ersten Vorbereitungsphase nicht zur Verfügung – und zur Abwechslung probierten sich die Handballer sogar  mal als Schwimmer. Abwechslung findet Hendrik Rachow ohnehin nicht verkehrt und deshalb besucht der bekennende Frankreich-Fan in Kürze nicht nur seine Tante in Nizza, sondern er sieht sich live zwei Etappen der Tour de France an. Bock auf Radsport heißt das wohl.

Und die pure Lust auf Handball ist passend dazu vermutlich das, was die Kölner als Verein gerade antreibt. Nur so ergibt Rachows entschiedene Aussage Sinn: „Bei uns bekommt kein Spieler auch nur einen Cent. Sie spielen alle hier, weil sie Bock auf Handball haben.“ Wohin das alles führt? Hendrik Rachow kann die Frage selbst nicht so genau beantworten – und sicher ist, dass für die Meisterschaft in der Oberliga andere in Frage kommen und die Kölner in der höheren Klasse wirklich erst einmal ankommen müssen. „Wir wollen als Mannschaft wachsen“, betont Hendrik Rachow, „sie hat die Chance, sich zu beweisen.“ In der Gruppe 1 der neu zusammengestellten Oberligen (drei/vorher zwei) sind etablierte Konkurrenten wie der Regionalliga-Absteiger Borussia Mönchengladbach oder der TV Birkesdorf zu Hause, der Vierte aus der Oberliga Mittelrhein 2023/2024. Mannschaften wie den SC Fortuna Köln, den MTV Köln II, die TSV Bonn rrh. II und den Polizei SV Köln kennt der 1. FC aus der vergangenen Saison – was gleichzeitig eine Reihe von Derbys garantiert. Los geht es am 7. September beim TuS Königsdorf mit dem ersten Auswärtsspiel und am 14. September gegen die Polizei mit dem ersten Heimspiel in der Saison 2024/2025. Das sind keine zwei Monate mehr und der Countdown läuft. Außerdem: Was war das mit dem 15. März 2022? Es scheint eine Ewigkeit her zu sein. Und irgendwie hat Hendrik Rachow heute Zeit für „andere“ Dinge.