3. Liga
TV Aldekerk: Hier steht die Dramen-Fabrik
Trainer Tim Gentges und sein Team lieben die Herausforderung. Das war schon in der Regionalliga so.

Flugstunde: Ob sich Tim Gentges weiter ausdauernd auf der Platte betätigen muss oder sich ganz auf seine Arbeit als Aldekerker Trainer konzentieren kann, ist noch nicht endgültig raus. (Foto: Carsten Wulf)

Irgendwie sind sie Künstler. Weil es eben eine Kunst ist, sich durchzwieseln. Weil es eine Kunst ist, nie aufzugeben. Weil es eine Kunst ist, sich aus ungewöhnlichsten und herausforderndsten Situationen zu befreien. Drama jedenfalls können sie beim TV Aldekerk – weiter oben wie weiter unten. Los ging es ja schon vor gut zwei Jahren in der Regionalliga, als die seinerzeit von Nils Wallrath trainierte Mannschaft in einem denkwürdigen Dreikampf zuerst den TV Korschenbroich und anschließend Interaktiv.Handball als eigentlichen Favoriten aus dem Rennen warf. Wegen einiger Nachholtermine hatten die Aldekerker damals innerhalb von gut sechs Wochen zehn Spiele zu absolvieren – ein sehr spezielles direkt vor der Osterpause und danach neun Partien innerhalb von weniger als vier Wochen. Die Chancen für dieses Mammutprogramm? Gering. Theoretisch. Tatsächlich gab die sich zunehmend an sich selbst berauschende Mannschaft aber keinen einzigen Punkt mehr ab und sicherte sich so das größte mögliche Endspiel in eigener Halle am 19. Mai 2022 gegen Interaktiv. Die beiden Kontrahenten standen seinerzeit bei jeweils 41:9 Punkten und der Gewinner würde sich aufsteigen. Typisch: In der phasenweise irrwitzigen Berg- und Talfahrt lag der TVA gegen abgezockte wirkende und viele Antworten findende Ratinger mit 30:32 hinten. Nach einer Auszeit wirkten die Hausherren, als hätten sie auf das alles nur gewartet. Vier Treffer hintereinander brachten zunächst das 34:32, ehe der seinerzeit als Nur-Spieler intensiv beteiligte Tim Gentges und Jonas Mumme mit dem 35:32 (58.) und 36:32 (59.) die Signale für eine freie Fahrt in Richtung 3. Liga stellten. Dort gönnten sich die Aldekerker, inzuwischen mit Gentges in der Rolle des Cheftrainers, in der Saison 2022/2023 mit dem sicheren Klassenerhalt eine relativ ruhige Etappe: Die Euphorie nach dem Aufstieg trug das Unternehmen TVA besonders in einer herausragenden Hinrunde mit 12:2 Punkten am Anfang wie auf Schienen durch die Handball-Welt und am Ende gab es für 25;27 Punkte mit Rang acht in der Gruppe West den sicheren Klassenerhalt – fernab von jeder Gefahr, immer auf der sicheren Seite. Rund um die Vogteihalle dachten sie sich wohl dieses: Das sind doch gar nicht wir. Das muss wieder anders werden. Der „Plan“ ging auf, denn 2023/2024 festigten sie in Aldekerk in der neuen Gruppe Süd-West ihr Image, nie aufzugeben und selbst in vermeintlich ausweglosen Sitiuationen immer einen Funken Hoffnung zu entdecken.

Da lohnt sich zunächst ein Rückblick auf den 12. November 2023. Hier verliert der TVA, der vorher direkt mit vier Niederlagen in die Saison gestartet ist, mit 32:33 bei der HSG Nieder-Roden. Der bis dahin einzige Erfolg stammt mit dem 31:24 gegen den TV Homburg vom 30. September und scheint seine stützende Wirkung längst verloren zu haben. Das Aldekerker Konto steht jetzt nach einem Drittel der Serie bei 2:18 Punkten – und der Weg zurück in die Regionalliga sieht unumkehrbar aus. Nach dem Sieg über Homburg folgt zwar sofort ein 30:27 beim TuS 82 Opladen, doch weitere drei Niederlagen hintereinander lassen das Konto zum Jahres-Abschluss bei 6:24 Punkten stehen. Wie soll das reichen, zumal vier Spiele darauf nach dem Start ins Jahr 2024 sogar 8:30 Punkte zu tilgen sind? Aldekerk gibt gute Antworten – wie mit jenem 37:26 gegen die Bergischen Panther oder jenem 28:27 beim TV Gelnhausen. Aldekerk gibt zugleich weniger gute Antworten – wie mit dem 29:41 beim TV Homburg oder erst recht mit dem desaströsen 24:36 bei Interaktiv.Handball nur eine Woche nach dem starken 32:26 gegen die HSG Hanau. Es sind im Rückblick tatsächlich die zwei Wochen zwischen dem 13. und 27. April, in denen sich Aldekerk am eigenen Schopf aus dem Sumpf zieht durchs 36:30 gegen die HSG Nieder-Roden, ein 34:27 bei der TSG Haßloch und ein 29:26 gegen Opladen. Obwohl der Akku danach für die letzten drei Aufgaben nicht mehr genug hergibt, kann die Konkurrenz nicht mehr vorbeiziehen und die 20:40 Punkte reichen auf Rang 13 zum Klassenerhalt. Was das Projekt Aldekerk von manchen anderen abhebt: Sie halten sich nicht lange damit auf, dass sie im Laufe der Saison ein paar Verletzungen von Stammkräften wegstecken müssen. So konnte etwa David Hansen, der zuvor in 13 Partien als bester Werfer des Teams bereits 94 Treffer erzielt hatte (im Schnitt 7,23) und damals die Nummer fünf unter den Torjägern der 3. Liga war, wegen eines Anfang Dezember 2023 erlittenen Rippenbruchs gar nicht mehr einsteigen. Und Cedric Linden, einen Spieler aus der begehrten Linkshänder-Fraktion, kehrte im neuen Jahr ebenfalls nicht mehr auf die Platte zurück (Knie, Schienbeinbruch).

Ich bin wieder dabei: David Hansen, wegen einer Verletzung monatelang außen vor, will sich wieder voll für die Aldekerker einsetzen. (Foto: Carsten Wulf)

Tim Gentges hat das vergangene Jahr inzwischen gedanklich verarbeitet und derzeit ist er in der norwegischen Ruhe an einem See noch dabei, auszuspannen und abzuschalten. Aber ohne den Handball? Das klappt irgendwie nicht richtig: „Es war doch mehr, als ich gedacht habe.“ In der Summe waren eben einige Baustellen abzuarbeiten und Dinge für die kommende Saison vorzubereiten. Eins der Kernthemen nach der Serie 2023/2024: In Julian Mumme (26), nicht nur wegen seiner diesmal 166 Tore in 30 Spielen eine Art Lebensversicherung für die Aldekerker, ist eine wesentliche Stütze der Konstruktion abhandengekommen – weil er in den Niederlanden beim Erstligisten Bevo HC eine neue Herausforderung gefunden hat. Weitere Abgänge: Cedric Linden (23) hat sich dem Oberliga-Aufsteiger HSG Am Hallo Essen angeschlossen und Routinier Lukas Ellwanger, einst bei TuSEM Essen in der Bundesliga unterwegs und eine Bank in der Abwehr, seine Karriere beendet. Ohne einen personell für Drittliga-Verhältnisse passenden Kader dastehend sehen sich die Aldekerker, die am Montag mit der Vorbereitung beginnen, trotzdem nicht. Erstens: David Hansen kehrt auf die Platte zurück. Zweitens: Von der HSG Krefeld Niederrhein kommt Rechtsaußen Steffen Hahn (28). Drittens: In Kjeld Dekker (22) vom Erstligisten BFC aus Beek in Niederlanden konnte der TVA einen weiteren Rückraumspieler verpflichten.

Offen ist damit „nur“ noch, wie es mit dem Spieler Tim Gentges weitergeht – der den Handball liebt und mit Leidenschaft lebt, aber lieber deutlich weniger Zeit bis gar keine mehr auf der Platte verbringen würde als in den vergangenen zwölf Monaten. „Ich werde mich fithalten“, betont der 37-Jährige, der sich bei seinen aktiven Einsätzen im Laufe der Saison durchaus sehr wohlfühlte, „aber wir haben genug gute junge Spieler.“ Darüber hinaus ist die Beanspruchung durch die 3. Liga nicht ganz ohne Spuren geblieben und das Urteil über die Samstagsspiele sagt alles: „Die habe ich immer sonntags gemerkt.“ Wie sich das zukünftig anfühlen wird, hängt nicht zuletzt davon ab, ob der Verein eine letzte offene Stelle im personellen Puzzle zu schließen vermag. Einen größeren Einfluss auf die Erwartungen/Ideen für die kommende Serie dürfte diese offene Stelle allerdings kaum haben: „Es geht am Ende nur darum, dass wir wieder über dem Strich stehen. Wir werden dieselbe Position innehaben wie zuletzt und ich glaube, das wird alles genauso eng.“ Dass es irgendwo irgendwas geschenkt gibt oder vielleicht die eine oder andere Mannschaft von Anfang an krass abfallen wird, glaubt auch keiner. Die Aufsteiger TV Kirchzell (Meister Hessen) und VTV Mundenheim (Meister Rheinland-Pfalz/Saar) schätzt Gentges dabei ebenso als Bereicherung ein – und erst recht den TV Korschenbroich (Meister Nordrhein), dessen Aufstieg er als völlig verdient bezeichnet. Außerdem mischt hier eine persönliche Komponente mit, weil im Korschenbroicher Kader unter anderem Max Zimmermann und Henrik Schiffmann stehen: „Das sind zwei meiner besten Kumpels.“ Zu TVK-Spielmacher Mats Wolf hat er ebenfalls einen besonders guten Draht und in der Summe werden beide Duelle mit Korschenbroich etwas Besonderes – das erste am 29. November in Aldekerk (13. Spieltag) kurz vor dem Ende der Hinrunde, das zweite am 11. April 2025 fast auf der Zielgeraden der Saison (28. Spieltag) in der Waldsporthalle.

Den Start in die Saison 2024/2025 bestreitet Aldekerk am 31. August beim Vorjahres-Neunten TuS 82 Opladen, ehe am 7. September zur Heimpremiere die HSG Krefeld Niederrhein (Vizemeister) nach Aldekerk kommt – jener Nachbar, der den nächsten Anlauf zum Aufstieg in die 2. Bundesliga unternehmen will und demnächst als noch größerer Favorit weniger denn je die Kragenweite des TVA sein kann. „Krefeld hat uns nicht zu interessieren“, stellt Gentges sogar fest. Andere würden es so formulieren: „Druck haben wir nicht und wir haben nichts zu verlieren.“ Druck ist allerdings aus Aldekerker Sicht ohnehin die falsche Bezeichnung für das, was die nächsten Monate vermutlich bringen. Sie sehen eher einem Wunder 3.0 nach dem Aufstieg und dem jüngsten Klassenerhalt mit purer Lust am Handball entgegen. Dass ist natürlich keine Garantie auf den sportlichen Erfolg, zumal die anderen ganz eigene Ziele verfolgen und in der Regel wissen, was sie tun. Rund um die Vogteihalle sind sie jedoch normalersweise stress-erprobt und mit einer meisterlichen Qualität ausgestattet, nach Rückschlägen wieder aufzustehen. Was passiert, wenn sich der Kampf um den Klassenerhalt trotzdem erneut erst in der Endphase der Saison zugunsten des TVA entscheidet? „Nehmen wir“, betont Tim Gentges. Es ist eben eine Kunst, sich durchzwieseln. Und Drama können sie beim TV Aldekerk.