19. Juli 2024 | Zurück zur Artikelübersicht » |
Beide kennen sich ganz oben aus, beide lassen sich so schnell nichts mehr vormachen – weil sie alles kennen, was für Spieler von Bedeutung ist. Und beide haben die Ansprüche, die sie an sich selbst stellen, lange vorgelebt: Leidenschaft für den Handball, Einsatz fürs große Ganze, Verantwortung fürs Team gerade auch in kritischeren Situationen. Weil beide aber die Gesetze von Zeit und Raum unter dem Strich nicht für ewig nach hinten schieben konnten, stand irgendwann der Entschluss fest, lieber doch rechtzeitig auf die Bremse zu treten und auf die andere Seite zu wechseln. Alexander Oelze, den viele nur „Ali“ nennen, hatte es bereits für die vergangene Saison richtig erkannt: „Die Alten können ja nicht ewig spielen.“ Die Saison nach der Rückkehr von Interaktiv.Handball in die 3. Liga wollte der gebürtige Magdeburger gerne noch mitnehmen, um im Laufe der Saison 2023/2024 das 40. Lebensjahr zu vollenden und anschließend einen Haken hinter die aktive Karriere zu setzen. Das hatte sich im Biotop Handball natürlich rasch herumgesprochen – unter anderem bis zum Regionalligisten HG Remscheid, bei dem sich die Tätigkeit von Nelson Weisz nach nur zwölf Monaten im Bergischen bereits dem Ende zuneigte (macht als Co-Trainer bei TuSEM Essen im Zweitliga-Team von Daniel Haase weiter). Der Verein nahm Kontakt auf und Oelze signalisierte auch Bereitschaft. Eine Bedingung: Er wollte einen „eigenen Co-Trainer“. Die Entscheidung darüber fiel anschließend schnell, denn Oelze konnte Jens-Peter Reinarz vom Mitmachen überzeugen. Auf eine gemeinsame Linie brauchten sich die Ex-Profis dabei nicht mehr zu verständigen: „Er ist mein bester Kumpel.“ Beide wissen seit einer halben Ewigkeit, was sie vom jeweils anderen zu halten haben – und sie schätzen sich seit ihrer Zeit beim Bergischen HC sehr. Alexander Oelze war dort zweimal tätig (2006 bis 2009/2010 bis 2017), der gebürtige Solinger Reinarz immerhin von 2006 bis 2012.
Gemeinsamer Karriere-Höhepunkt war der Aufstieg in die 1. Bundesliga am Ende der Saison 2010/2011, ehe sich die Wege auf der Platte erst trennten und in der vergangenen Saison plötzlich wieder kreuzten. Oelze trug da als spielender Co-Trainer von Filip Lazarov noch das Trikot des Drittliga-Aufsteigers Interaktiv.Handball (dort und beim Vorgänger-Verein SG Ratingen seit 2019 aktiv), während Reinarz nach dem nächsten Rücktritt vom Rücktritt als Handball-Besessener ebenfalls unter der Berufsbezeichnung „spielender Co-Tainer“ mal wieder bei den Bergischen Panthern (dort seit 2018) in der personellen Not aushalf. Im Rückblick wird sich Reinarz vermutlich deutlich lieber an die vergangene Serie erinnern, denn seine Panther schafften letztlich trotz einer nicht störungsfreien Saison den Klassenerhalt – ungeachtet jener 29:31 Niederlage gegen Interaktiv am 18. November 2023, als es bei Interaktiv noch nach einem relativ sorgenfreien Comeback aussah. Genau fünf Monate darauf fehlte den Ratingern allerdings bei den Panthern nicht nur die führende Hand von Oelze, sondern auf dem Weg in die 16:29-Pleite jede Form von Klassentauglichkeit. In der Endabrechnung lagen später immerhin sieben Punkte zwischen den Panthern (24:36), die als Zehner durchs Ziel kamen, und Interaktiv (17:43), das die 3. Liga nach einer anhaltenden Talfahrt als Tabellenletzter direkt wieder verlassen musste – und nun erneut einer der Klassen-Konkurrenten der Remscheider ist. Fürs direkte Duell in der neuen Saison 2024/2025 werden sich Oelze und Reinarz sicher zu gegebener Zeit etwas Konkretes einfallen lassen und den Handball können sie selbstredend gerade nicht mal im gemeinsamen (Familien-) Urlaub zur Seite schieben. Das gilt erst recht, weil in Achim Jansen (39) ein Dritter im Bunde aus Remscheid ebenfalls dabei ist. Kürzer kann der Draht zum neuen Sportlichen Leiter der HGR kaum sein. Vielleicht entstehen am Strand oder bei abendlichen Runden sogar die besten Ideen.
Grundsätzlich scheinen die Remscheider schon immer zur Regionalliga zu gehören und sogar einen relativ festen Platz weit vorne einnehmen zu können. Tatsächlich gelang aber der Sprung aus der Oberliga in die nächsthöhere Etage erst am Ende der Serie 2018/2019 in einem dramatischen Zweikampf mit der Unitas Haan: Nach dem 28:20 am 5. Mai 2019 beim SV Neukirchen lag die HGR mit 42:10 Punkten einen Hauch vor den Haanern (41:11). Was damals logischerweise niemand auf der Rechnung haben konnte: Vorübergehend mischte sich in der Folge die Corona-Pandemie kräftig ein und wirbelte viele Pläne durcheinander. Auf dem Weg zum angepeilten Klassenerhalt kam das Team jedoch nicht deshalb, aber sehr heftig ins Stolpern – was zunächst zur Entlassung des erst vor der Saison geholten neuen Trainers Frank Berblinger führte. Der war kaum fort, als die Serie nach 19 Spieltagen bei 11:27 Punkten auf dem Konto zum Glück für die extremst bedrohten Remscheider abgebrochen wurde und der Verzicht auf Absteiger die Rettung brachte. Berblinger-Nachfolger Alexander Zapf startete anschließend mit drei Siegen und 6:0 Zählern, ehe 2020/2021 coronabedingt das nächste und frühe Saison-Aus brachte. Die erste komplette Saison unter Zapfs Regie brachte seinerzeit 2021/2022 mit dem fünften Platz und 30:22 Punkten das bis heute beste Regionalliga-Ergebnis der jüngeren Remscheider Geschichte und 2022/2023 unterschied sich davon bloß in Kleinigkeiten – 29:23 Punkte, wieder Fünfter. Zapf stand danach allerdings nicht mehr zur Verfügung, weil er sich für 2023/2024 für die U 23 des VfL Eintracht Hagen in der Oberliga Westfalen entschied und mit dem Team als Meister souverän den Aufstieg in die 3. Liga schaffte. Jene Klasse hatte schließlich auch Zapf-Nachfolger Nelson Weisz bei seinem Amtsantritt als mindestens mittelfristige Perspektive angegeben: „Wir wollen in zwei bis drei Jahren die 3. Liga angreifen.“ Mit dem dritten fünften Platz für die HGR hintereinander und 29:23 Punkten war die jedoch unverändert ein gutes Stück entfernt.
Alexander Oelze verzichtet nun sehr bewusst darauf, die Ziele zu hoch anzusetzen: „Die Mannschaft hat in vielen Top-Spielen ganz gut performt, aber sie war ein wenig zu unkonstant. Wir müssen eine gewisse Grundkonstanz reinbringen.“ Unfreiwillig zeigt er damit im Übrigen auf, was in den vergangenen fünf Jahren ein Remscheider Kennzeichen war: Von Steinhoff zu Berblinger, von Berblinger zu Zapf, von Zapf zu Weisz und von Weisz zu Oelze/Reinarz ergibt sich nun innerhalb von fünf Jahren die fünfte Besetzung auf der Trainerposition – was in der Summe vermutlich kaum den ganz großen Durchbruch zu erzwingen vermag. Weil Alexander Oelze und Jens-Peter Reinarz aus ihrer eigenen Vergangenheit genau wissen, wie kompliziert der Handball in diesem Bereich sein kann, sehen sie sich auch nicht als Sofort-Helfer oder gar Wunderheiler: „Wir haben natürlich Ideen vom Handball, aber wir befinden uns immer noch in der Kennenlernphase.“ Die bisherigen Eindrücke aus dem ersten Teil der Vorbereitung lassen die HGR-Trainer jedoch hoffen, dass sie mit ihren Ideen bei der voll mitziehenden Mannschaft auf offene Ohren treffen. Hinten soll eine bewegliche Abwehr die Gegner aktivund pausenlos vor neue Probleme stellen, vorne geht es vor allen Dingen um ein Höchstmaß an Geschwindigkeit. Deshalb passt Neuzugang Olivier Goergen (20) aus Luxemburg besonders gut ins Profil und er soll zusammen mit Felix Handschke in der Rückraum-Mitte entsprechend die Fäden ziehen. Mindestens ein Fast-Neuer ist außerdem der abwehrstarke Kreisläufer Sebastian Schön nach einer langen Verletzungs-Auszeit.
Einen klaren Favoriten für die bevorstehenden Monate sieht Alexander Oelze derzeit (noch) nicht, zumal ja der Drittliga-Absteiger Interaktiv.Handball im Moment ein paar personelle Baustellen bearbeiten muss: Neben Oelze sind Kapitän Hendrik Stock (zum Zweitliga-Aufsteiger TuS Ferndorf), der beste Werfer Ante Grbavac (zum Drittliga-Absteiger TV Homburg), Robert Markotic (Karriereende) und Maximilian Wasse (zurück zum Oberligisten TuS Lintorf) nicht mehr an Bord. In der Summe war darüber hinaus die Regionalliga oft genug kaum kalkulierbar – und der HGR-Coach rechnet erneut mit einem richtigen Gedränge: „Die Liga wird wieder sehr ausgeglichen sein.“ Den Auftakt bestreitet die HGR am 6. September beim Vorjahressiebten HC Gelpe/Strombach (25:27 Punkte), worauf die Heimspiele am 14. September gegen TuSEM Essen II (Zehnter/23:29) und am 21. September gegen den Vizemeister TSV Bayer Dormagen II (36:16) folgen. Am 28. September geht es zum HC Weiden (Vierter/29:23) und am 5. Oktober wartet das Derby gegen den Bergischen HC II (Elfter/22:30). Nach einem Schonprogramm sieht das nicht aus, aber die Aufgaben bieten direkt eine wertvolle Standortbestimmung für die HGR, die deshalb mit der Vorbereitung in den kommenden Wochen in die Vollen geht: „Die Jungs und wir haben richtig Bock. Wir haben wenig Zeit, aber wir sind voller Tatendrang.“ Und am 3. August werden Alexander Oelze und Jens-Peter Reinarz zum ersten Mal direkt auf der Platte feststellen, wie gut sie Leidenschaft für den Handball, Einsatz fürs große Ganze oder Verantwortung fürs Team gerade in kritischeren Situationen von draußen beobachten können: Remscheid testet beim Drittligisten Bergische Panther, also bei Reinarz‘ bisherigem Verein. Zwei Wochen darauf erzielt Oelze praktisch den 1:1-Ausgleich – weil sein Ex-Klub Interaktiv zum Test nach Remscheid kommt. Die Termingestaltung passt im Übrigen perfekt, weil die Abstufung zwischen Chefcoach und Co-Trainer nur auf dem Papier und in grauer Theorie besteht: „Wir sind gleichberechtigt.“ So muss das sein bei ziemlich besten Freunden.