09. August 2024 | Zurück zur Artikelübersicht » |
Diese Geschichte kann keine Phantasie erfinden. Muss sie auch nicht. Weil es dafür die Wirklichkeit gibt. Auf der einen Seite ist da der 7. Oktober 2023. Der Longericher SC spielt in der 3. Liga zu Hause gegen den TuS Dansenberg. Mit an Bord ist Neuzugang Lennart Niehaus, im Sommer vorher vom Regionalligisten HSG Refrath/Hand nach Köln gekommen. Der Linkshänder erzielt in der 25. Minute durch seinen zweiten Treffer an diesem Abend das 15:10 – und alles scheint sich ganz gut zu entwickeln. Sekundenbruchteile später aber löst sich aller Jubel in Luft auf, denn Lennart Niehaus verletzt sich bei der Landung schwer. Erst wird er länger behandelt und anschließend mit einem Rettungswagen abtransportiert. Jeder in der Halle weiß, dass Gravierenderes passiert sein muss, sodass die Mannschaft bei der Fortsetzung der Partie erst den Faden und später die Punkte verliert (28:30). Zeitsprung: Auf der anderen Seite ist da der 4. August, ein Sonntag fast genau zehn Monate nach dem Unfall. Diesmal ist der Schauplatz keine sommerlich-stickige Halle, sondern die Nordsee als beindruckend-inspirierende Kulisse. In Cuxhaven, dem Mekka des Beachhandballs, gehen gerade die Deutschen Meisterschaften zu Ende – mit einem fast irrwitzigen Finale. Die 12 Monkeys aus Köln, vor einem Jahr zum ersten Mal ganz vorne, haben wieder das Endspiel erreicht, in dem sie auf die Sand Devils aus Minden treffen und den ersten Durchgang klar mit 23:14 gewinnen. Der zweite steht beim 24:24 auf der Kippe: Die „Affen“ müssen gegen die „Teufel“ mit dem Satzverlust und dem Ausgleich rechnen, sodass ein völlig offenes „Shootout“ zur Ermittlung des Gewinners droht. Dann gibt es drei Sekunden vor dem Ablauf der Spielzeit einen Strafwurf für die Monkeys. Wer tritt an? Lennart Niehaus. Kurz darauf tobt die „Sparkassen-BeachArena“, denn der 25-Jährige verwandelt den Versuch, der in dieser Variante des Handballs nur ein Sechsmeter ist – und den doch alle Siebenmeter nennen. Die 12 Monkeys, angetreten als Titelverteidiger und Favorit, feiern das 26:24 völlig losgelöst und Niehaus steht mittendrin. Es ist das perfekte offizielle Ende seiner Leidenszeit, für das er über Monate intensiv gearbeitet hat. Und 15 Tore aus 15 Siebenmetern sind die passende Bilanz der tollen zwei Tage im Nordsee-Sand.
„Cuxhaven war wieder überragend“, sagt auch Moritz Wiese, der die Kult-Veranstaltung in Niedersachsen nicht nur als Teamsprecher der Monkeys begleitete – sondern „nebenbei“ aktiv auf dem Untergrund, den sie in der Halle „Platte“ nennen. Moritz, über die HSG Siebengebirge und den Neusser HV zum TuS 82 Opladen gekommen, wechselte sogar in doppelter Hinsicht den Arbeitsplatz, weil er ja sonst Torhüter ist und sich nun im Sand als Abwehrspieler betätigte – sehr erfolgreich und gut übrigens, wie Beobachter von draußen bestätigten. „Er hat das klasse gemacht“, urteilte etwa Thomas Molsner, der aktuelle Trainer des Regionalligisten OSC Rheinhausen, der Beachhandball sowieso sehr attraktiv findet und aus familiärer Verbundenheit die rund 400 Kilometer weite Fahrt auf sich genommen hatte: Molsners Sohn Felix gehört ebenfalls zum Team der 12 Monkeys und bringt dort seine Fähigkeiten wie Tempo und Spielwitz ein. Felix Molsner gehört dabei zu den „Affen“, die nicht aus Köln oder der nahen Umgebung stammen. Der Däne Martin Vilstrup gibt dem Kader einen internationalen Anstrich und Severin Henrich gehört als einer der fünf Beachhandball-Nationalspieler der Monkeys ansonsten der TG Landshut aus Bayern an. Zusätzlich war Henrich kurz vor dem nationalen Saisonhöhepunkt noch in Paris unterwegs, um als einer der herausragenden deutschen Spieler bei den Olympischen Spielen mit einer Demo für die etwas andere Handball-Variante die Werbetrommel zu rühren. Es ist in der Summe der große Wunsch aller, demnächst auf einer derartigen Bühne jene Mischung aus allem zu zeigen, was den Beachhandball auszeichnet. Und Turniere wie die Deutschen Meisterschaften sind bestimmt Teil einer großen Party – aber bei Weitem nicht nur. Der Sport und die Leidenschaft für spektakuläre Leistungen rücken zunehmend in den Vordergrund. „Wir machen Schritte in die richtige Richtung“, findet Moritz Wiese mit dem Blick auf das Drumherum.
Dass es die 12 Monkeys im Turnier trotz ihrer Favoritenstellung hin und wieder spannend machten, könnte zum Teil mit dem Fehlen der beiden Nationalspieler Tim Krauth (Bänderriss) vom TSV Baden-Baden und Matthew Wollin (Hallen-Verpflichtung) vom TSV GWD Minden zu tun haben. Der Auftakt gegen die Beach Tigers aus Geislingen war mit einem 26:16 und 30:14 trotzdem kein Problem und die Qualifikation fürs Halbfinale buchten die Kölner übers Viertelfinale – ehe sie richtig was fürs Dramen-Konto in den Sand zauberten. Gegen die Otternasen aus Bartenbach (Göppingen), die 2022 bei der Rückkehr der Meisterschaften nach Cuxhaven den Titel geholt hatten, gerieten sie zunächst in Rückstand – 18:19. Das sichere 24:12 im zweiten Abschnitt brachte immerhin den 1:1-Ausgleich und es ging nun ins entscheidende Shootout, jenes Siebenmeterschießen aus sechs Metern Entfernung. Das 8:6 reichte schließlich für den Final-Einzug gegen die in der Vorrunde als Rekordmeister noch glücklicheren Sand Devils, die in ihrem Halbfinale gegen Beach and da Gang U 21 Münster ähnlich viel Nervenkitzel anzubieten hatten – 29:24, 27:26. In der Summe war die zweite Meisterschaft hintereinander dann der Lohn für eine Top- Turnierleistung der Monkeys, die insgesamt fast als eine durch Vilstrup, Henrich, Molsner und Oliver Middell (heute USV Halle/davor viele Jahre beim Pulheimer SC) verstärkte Mittelrhein-Auswahl daherkamen. Den ebenfalls aus dem Raum Köln bekannten Trainern Dennis Redlich (TuS Königsdorf) und Dennis Bredehorst standen neben dem Opladener Moritz Wiese und dem Longericher Lennart Niehaus noch Tobias Zeyen (HSV Bocklemünd), Kari Klebinger (TuS Königsdorf), Sebastian Zeyen (Pulheimer SC) und Lukas Dibowski (Longericher SC II/Oberliga) zur Verfügung. Darüber hinaus kümmerte sich in Tim Becker ein Spieler des TuS Königsdorf um die physiotherapeutischen Belange der Monkeys.
Was für die Monkeys gerade in der Natur der Sache liegt: Sie wollen direkt wieder beweisen, dass sie auch in Europa ein Wort mitzureden haben, zumal sie sich in der Gesamtwertung der European Beach Tour bereits sehr weit nach vorne gearbeitet haben. Die nächste Gelegenheit dazu bietet sich bald im anderenorts als „Champions League“ bekannten Wettbewerb, der bei den Beachhandballern „Champions Cup“ heißt und vom 10. bis 13. Oktober in Porto Santo seine Zelte aufschlägt – auf der politisch zu Portugal gehörenden kleinen Insel mit elf Kilometern Länge und maximal sechs Kilometern Breite. Die Insel etwa 40 Kilometer nordöstlich von Madeira trägt auch den Namen Ilha Dourada – was Goldene Insel heißt und ebenfalls großartige Bedingungen garantiert. Klar ist, dass sich die Monkeys, die 2023 bei ihrer Premiere dort im Feld europäischer Konkurrenten mit dem vierten Platz nach Hause fliegen konnten, den nächsten Schritt nach vorne machen wollen. Ebenfalls klar: Das wird sportlich maximal herausfordernd, ist jedoch finanziell gleichfalls keine kleine Aufgabe. Und ganz nebenbei wissen die Monkeys aktuell noch nicht bis ins Detail, wer auf Porto Santo mit von der Partie sein wird/kann. Der eine oder andere Spieler hat sein Urlaubskonto bereits weit ausgereizt und einer wie Tobias Zeyen in diesem Jahr sogar schon einen Tag unbezahlten Urlaubs für seine Leidenschaft eingesetzt. Daneben kollidiert der heiße Termin auf europäischer Ebene voll mit den Saison-Planungen an Mittelrhein und Niederrhein beziehungsweise im neuen Verband Nordrhein. Erstes Beispiel: Wäre Moritz Wiese in Porto Santo dabei, könnte er am 12. Oktober eben nicht für den TuS 82 in der 3. Liga in Leutershausen mitmischen. Zweites Beispiel: Lennart Niehaus würde den Longerichern am selben Tag in der Drittliga-Partie bei der HG Saarlouis fehlen. Drittes Beispiel: Der OSC Rheinhausen müsste eine Klasse darunter in der Regionalliga bei Interaktiv.Handball ohne Felix Molsner auskommen. Sicher ist das hier: Die Konkurrenz aus Europa wird gewaltige Qualitäten mitbringen. Und sicher ist auch das hier: Jeder gönnt Lennart Niehaus, dass er wieder 15 von 15 Siebenmetern verwandelt. Das Märchen der Monkeys im Sand von Deutschland und Europa lebt weiter.