12. August 2024 | Zurück zur Artikelübersicht » |
Die Erinnerung daran darf nie verblassen, die Hilfe muss weitergehen. Immer. Begonnen hat alles am 25. Juni 2021 – ein Tag, an dessen Anfang noch niemand ahnt, wie sehr sich am Abend die Handball-Welt in Rheinhausen von jetzt auf gleich geändert hat und wie komplett er das Leben von Julian Kamp total auseinandergerissen hat. Es sind jene Wochen, in denen der Sport versucht, die gröbsten und durch die Corona-Pandemie verursachten Spuren hinter sich zu lassen. In Düsseldorf spielen sie ein Dreier-Turnier aus, um einen Aufsteiger aus der Regionalliga in die 3. Liga zu ermitteln. Gemeldet dafür haben TuSEM Essen II, die SG Ratingen und der OSC Rheinhausen – Julians Verein. Los geht es mit dem Ruhrgebietsderby zwischen Essen und dem OSC, bei dem nicht nur Trainer Thomas Molsner darauf hofft, mit seiner Mannschaft der sportlichen Herausforderung gerecht werden zu können. Noch vor dem Ende der Aufwärmphase ist aber alles anders und schnell wirklich nichts mehr wie zuvor: Julian Kamp fehlt. Er hat irgendwie gespürt, dass etwas nicht stimmt und Teamärztin Laura Ufermann ihn sofort nach draußen begleitet. Dort beginnt der Kampf um das Leben des damals 24-Jährigen, der nach der Erstversorgung in die Uniklinik transportiert und dort untersucht wird. Diagnose: Hirnblutung. Folgen? Unabsehbar. Natürlich: Julian Kamp ist ein Kämpfertyp, die Familie stellt ihr eigenes Leben von rechts auf links und unternimmt alles in ihrer Macht Stehende, um ihm zu helfen: Jede Minute, jede Stunde, jeden Tag, jeden Monat. Freunde sind zur Stelle, viele aus der Handball-Szene nehmen Anteil und sind mindestens für eine ganze Weile sehr nachdenklich. Gut drei Jahre später ist trotz aller Hingabe nur eins sicher: Der Kampf geht weiter und Julian kann noch sehr viel länger jede Form von Hilfe gebrauchen. Moralische sowieso. Und ganz hart, fast brutal ist dabei diese Feststellung: Er braucht finanzielle Unterstützung.
Weil das so ist, senden die Rheinhausener einmal pro Jahr eine zusätzlichen Hilferuf aus – der gehört wird. Es beginnt am 30. August 2021 gut zwei Monate nach jenem tragischen Ereignis, als die Regionalliga-Mannschaft des OSC zum ersten Mal ein Benefizspiel zugunsten von Julian bestreitet. Zu Gast ist die Drittliga-Mannschaft der SG Schalksmühle-Halver aus dem Nordwesten des Sauerlandes und rund 700 Zuschauer brauchen keinen Eintritt zu bezahlen – aber sie können in zwei bereitgestellten Spendenboxen freiwillig einen Beitrag leisten. Es geht zunächst nicht um die genaue Summe, denn zuerst zählt die Geste – obwohl dann natürlich jeder Euro wertvoll ist für das, was Julian noch vorhat. Gegen Schalksmühle spielen die Rheinhausener am 11. August 2022 erneut, ehe sie den „Gegner“ wechseln, der in diesen Fällen sowieso eher ein helfender Partner ist. Der benachbarte Zweitligist TuSEM Essen stellt sich am 4. August 2023 mit Trainer Michael Hegemann ebenso gerne zur Verfügung wie zuvor die SG und die Essener sind nun am Mittwochabend (14. August) um 19.30 Uhr in der Sporthalle Krefelder Straße erneut dabei: Hegemann hat zwar innerhalb der 2. Bundesliga seinen Arbeitsplatz zum ASV Hamm-Westfalen verlegt, doch das Herz seines Nachfolgers Daniel Haase schlägt ebenfalls fürs Ruhrgebiet. Der gebürtige Essener hat lange für TuSEM gespielt und als Trainer gearbeitet, ehe es ihn 2018 in verantwortlicher Position zur Jugend der Rhein-Neckar Löwen zog – und vor Kurzem wieder zurück in die Heimat. Klaus Stephan, der Rheinhausener Handball-Chef, und seine Mitstreiter sind den Essenern und deren Sportlichem Leiter Herbert Stauber vorab schon dankbar, dass sich in der TuSEM-Vorbereitung auf die 2. Bundesliga ein letztlich für alle einzurichtender Termin finden ließ: „Wir haben da eine tolle Unterstützung.“
Klaus Stephan ist es auch, der für den Verein den intensivsten und direktesten Kontakt zur Familie von Julian Kamp pflegt. „Sie kümmert sich rührend um ihn“, betont Stephan, „sie hat dabei jede Unterstützung verdient.“ Julian macht zwar Fortschritte, muss aber für jeden Zentimeter kämpfen und noch einmal kämpfen – und er hat noch einen sehr weiten Weg vor sich. Eins der Probleme: Alles, was an Therapien und Behandlungen jedweder Art möglich ist, findet längst ohne Krankenkassen-Beteiligung statt und belastet das Budget über die Grenze des normalerweise Machbaren hinaus. Weil es in der Kampschen DNA allerdings nicht vorkommt, zu resignieren und aufzugeben, stand der Entschluss sofort fest: „Wir machen weiter. Das ist doch unser Kind.“ Klaus Stephan und andere Rheinhausener finden diese Hingabe ehrlich bewundernswert, sodass sie gar nicht anders können, als wieder und wieder auf den Fall aufmerksam zu machen: „Es reicht nicht, einmal „You’ll never walk alone“ zu singen und dann wieder zum Alltag überzugehen und alles zu vergessen. Julian braucht unseren langen Atem, weitergehende Unterstützung und vor allem wiederkehrende Zeichen, dass wir ihn nicht vergessen haben.“ Möglich geworden sind zum Beispiel bereits die Anschaffung eines geeigneten Fahrzeugs zum Transport im Rollstuhl und Therapiegeräte, mit denen sich wichtige Übungen zu Hause durchführen lassen. Um einen Teil von allem auf besondere Art zurückzugeben, will Julian mit seiner Familie beim Spiel gegen Essen in der Halle sein. Es dürfte ein Abend mit maximal großen Emotionen und voller Gänsehaut werden.
Ganz besonders wird unter anderem Trainer Thomas Molsner den Mittwochabend erleben, denn das Schicksal seines ehemaligen Spielers geht ihm bis heute sehr nahe. Er, der Julian Kamp seit dessen Zeit in der C-Jugend kennt, war damals außerdem einer der ersten, die hautnah mitbekamen, dass irgendetwas überhaupt nicht in Ordnung ist. Was ihm in den Monaten danach völlig klar war und bis heute klar ist: „Julian fehlt uns als Mensch, nicht nur als Spieler.“ Möglicherweise gibt es hier im Regelwerk eine Lücke, die es erlaubt, diesen Teil der Kamp-Zwillinge (Yannick Kamp ist im Sommer 2023 zum Verbandsligisten DJK VfR Saarn gewechselt) mit auf den Spielbericht zu schreiben – wie seinerzeit im ersten Duell mit Schalksmühle, als Julian dort als Geste aufgeführt war. Es würde jedenfalls zum Sinn und Zweck des Spiels passen, aus dem als sportlicher Sieger mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Essener hervorgehen werden. „Natürlich wollen wir uns nicht aus der Halle schießen lassen“, sagt Thomas Molsner. Er schiebt allerdings ein großes Aber hinterher: „Es zählt der Symbolcharakter.“ Es geht um Mut und Kampf. Ums Nicht-Aufgeben und um einen Platz im Leben. Es geht sogar um jeden Euro.