26. August 2024 | Zurück zur Artikelübersicht » |
Es war einmal. Der Traum von einem Gegner, der in die Kategorie Kracher fällt. Das ging früher schon als kostbare Seltenheit durch – und scheint heute im DHB-Pokal irgendwie fast ein Ding der Unmöglichkeit zu sein. Diesmal waren ohnehin nach der vor einiger Zeit reformierten Zugangsberechtigung für den Wettbewerb nur neun Drittligisten in der ersten Runde dabei – und acht mussten die Segel streichen. Besonders deutlich traf es zum Beispiel S3 Leutershausen mit dem 29:40 gegen den Zweitligisten Eintracht Hagen und den HC Oppenweiler-Backnang mit dem 20:32 gegen den Zweitligisten Eulen Ludwigshafen. Ob das alles nur ein Zufall am Anfang der Saison 2024/2025 war oder doch ein Zeichen dafür, dass die Kluft zwischen dem, was mindestens ein Teil der breiteren Basis ist und dem, was als Spitze gelten soll, nahezu unüberbrückbar zu sein scheint? Wenn die Aussichten für auch größere Überraschungen fehlt, fehlt eben auch der größere Reiz. Dass der Erstliga-Aufsteiger 1. VfL Potsdam mit dem 25:28 beim Drittligisten HC Empor Rostock tatsächlich einen heftigen Schlag abbekam, ändert daran als echte Ausnahme von der Regel nicht besonders viel. Rostock gehört zu den Spitzenmannschaften der 3. Liga (zuletzt Vizemeister in der Gruppe Nord-Ost) und will zurück in die 2. Bundesliga. Und Potsdam? Dort bestand offensichtlich eine fatale Gemengelage: Vor einiger Zeit hatte Rostock einen Test gegen Potsdam klar mit 23:33 verloren – was die Favoritenstellung zu zementieren schien. Außerdem war der neue Trainer VfL-Trainer Emir Kurtagic nach seinem Engagement als Bundestrainer U 18 bei der EM erst in der Woche zuvor zur Mannschaft gestoßen. Dass – nicht nur nebenbei bemerkt – klassische Amateur-Vereine als Vertreter der Basis gar nicht mehr mitmachen dürfen, liegt an einer DHB-Entscheidung: Der frühere Deutsche Amateur-Pokal, der zwei Tickets für den „richtigen“ Pokal brachte, wurde vor einem Jahr schlicht aus dem Portfolio gestrichen. Dass etwa eine SG Langenfeld (damals Regionalliga/jetzt Oberliga) einen Bundesligisten wie die TSV Hannover-Burgdorf erwartet (wie im Oktober 2021), gehört damit vermutlich für immer der Vergangenheit an – und diese Festlegung war kein Unfall, sondern eine gewollte Entscheidung der entsprechenden Stellen.
Beim Kunststück der Rostocker werden sie vermutlich bei der HSG Krefeld Niederrhein etwas genauer hingeschaut haben, weil sie mit dem Klub von der Ostsee einiges verbindet. Beide waren zuletzt Zweiter in ihrer jeweiligen Gruppe, beide wollen zurück in die 2. Bundesliga – und auf dem Weg dorthin kreuzten sich die Wege schon im Frühjahr 2019 in zwei dramatischen Aufstiegs-Duellen. Die Eagles hatten das Hinspiel mit 24:25 verloren und sie kamen im letzten Angriff des Rückspiels zum 24:22 durch Kevin-Christopher Brüren, das bei der HSG eine Explosion der Gefühle auslöste. Rostock, seinerzeit im Tal der Tränen, kletterte später ebenfalls die Liga-Leiter empor – und musste sie wie die Krefelder kurz darauf doch wieder verlassen. Zuletzt erreichten beide Vereine vor rund drei Monaten das Halbfinale in der Aufstiegsrunde – und gingen im Parallelslalom erneut leer aus. Während Empor in zwei engen Partien an Eintracht Hildesheim scheiterte (32:27/24:30), fehlte der HSG Krefeld Niederrhein gegen die HSG Konstanz nicht viel (22:22/30:32).
Viel fehlte den Eagles jetzt erneut nicht, denn das Team von Trainer Mark Schmetz wäre den Rostockern im Heimspiel gegen den personell ziemlich umgekrempelten Zweitligisten TuSEM beinahe in die zweite Runde gefolgt. Übers 11:5 (17.) und 14:8 (26.) zeigten sich die Hausherren von ihrer besten Seite – mit einer starken Abwehr vor einem guten Torhüter Sven Bartmann und konsequenter Nutzung sich bietender Chancen. Was niemand ahnen konnte: Jener Treffer von Tim Hildenbrand war für die Hausherren eher der Anfang vom Ende. Essen, bis dahin chancen- und ideenlos von einer Verlegenheit in die nächste stolpernd, nahm ab sofort entschlossener am Spiel teil, kämpfte sich über einen 5:0-Lauf bis zur Pause auf 13:14 (30.) heran und glich mit dem 16:16 (33.) zum ersten Mal nach dem 4:4 (9.) aus. Beim 20:19 (40.) von Jörn Persson lag die HSG noch einmal vorne, ehe sich die Waage langsam auf die andere Seite neigte: Ab dem 22:21 (41.) führte anschließend regelmäßig Essen, das auf jeden Versuch der Eagles eine passende Antwort fand und zudem deren sich häufende Fehler nutzte. So war es etwa nach dem 26:26 (58.), als Felix Eißing mit seinem Doppelpack in der 59. Minute das 27:26 und 28:26 besorgte und Essen dadurch in die nächste Runde brachte. HSG-Coach Mark Schmetz war trotz des Ausscheidens nicht enttäuscht: „Ich bin mit einem großen Teil zufrieden, wie wir gespielt haben. Um solche Spiele zu gewinnen, muss man das über 60 Minuten durchziehen können. Wir haben zwei Phasen, in denen wir kein Tor schießen und falsche Entscheidungen treffen. Wir waren definitiv nicht schlechter und wir sind auf einem sehr guten Weg.“ Kollege Daniel Haase wirkte nach seinem Pflichtspiel-Debüt als TuSEM-Coach angesichts der katastrophal schlechten Anfangsphase vor allem erleichtert. „Wir haben am Ende verdient gewonnen“, fand der Nachfolger von Michael Hegemann (jetzt beim ASV Hamm-Westfalen), „wir haben noch eine Menge Arbeit vor uns.“ Vor den Essenern liegt allerdings gleichzeitig die demnächst folgende Auslosung für die zweite Runde des DHB-Pokals (1. bis 3. Oktober). Zu den möglichen Gegnern gehören der VfL Gummersbach und sogar die Füsche Berlin oder der THW Kiel. Ganz klar: Bei TuSEM lebt der Traum von einem Kracherlos.
HSG Krefeld Niederrhein – TuSEM Essen 26:29 (14:13).
HSG Krefeld Niederrhein: Juzbasic, Bartmann – Krass (2), Klasmann, Schneider (4), Noll (3), Lehmann, Hildenbrand (5/2), Siegler, Schulz, Marquardt (1), Hüller, Jagieniak (3), Persson (5), Ingenpaß (3).
TuSEM Essen: Wipf, Plaue – Wilhelm (4), Göttler (5), Hermeling, Wolfram, Homscheid (6/3), Reimer, Eißing (8), Szuharev, Neuhaus (1), Kostuj (3), Mast (2), Werschkull, Schoss.