03. September 2024 | Zurück zur Artikelübersicht » |
Diese Suppe haben sie sich selbst eingebrockt und das auch liebend gerne. Erstens: Für den VfL Gummersbach werden die Belastungen steigen. Zweitens: Das Team von Trainer Gudjon Valur Sigurdsson wird nicht verhindern können, dass die Erwartungen ebenfalls nach oben klettern. Einer der Hauptbestandteile in der DNA von Sigurdsson ist dabei sowieso unmissverständlich hinterlegt: „Wir wollen immer besser werden.“ Die Bilanzen der vergangenen vier Serien unter der Regie des 45 Jahre alten Isländers, der in seiner aktiven Karriere als Linksaußen einer der erfolgreichsten Spieler der Welt war, sprechen in diesem Fall tatsächlich für sich. Nach dem Abstieg aus der 1. Bundesliga am Ende der Saison 2018/2019 und Rang vier (31:17 Punkte) in der coronabedingt nach 24 Spieltagen abgebrochenen Saison 2019/2020 in der 2. Bundesliga konnten die Gummersbacher als Nachfolger von Torge Greve den Isländer ins Bergische lotsen, der damals gerade bei Paris St. Germain seine Karriere beendet hatte – und sich bald als Volltreffer für den VfL erwies, sowohl imagetechnisch als auch sportlich. Denn ab jetzt fuhr der Aufzug ausschließlich in die Richtung, in die er für nicht wenige Gummersbacher wie selbstverständlich gehört: Als Dritter (55:17) der 2. Bundesliga verpasste der Klub, der sein Umfeld gerne als „Heimat des Handballs“ bezeichnet, den Sprung zurück in die höchste deutsche Klasse hinter dem HSV Hamburg und dem TuS N-Lübbecke (beide 56:16) bloß um ein paar Zentimeter, holte den Wieder-Aufstieg aber in 2021/2022 mit 62:14 Punkten und einem großen Vorprung auf den Vizemeister ASV Hamm-Westfalen (49:27) im zweiten Anlauf nach. In der Comeback-Saison gewann der VfL auf dem Weg zum zehnten Platz (33:35) erstens den Respekt der Konkurrenz und zweitens die Zuversicht, sich schnell wieder oben etablieren zu können. Danach war der sechste Rang mit den 43:25 Punkten in der zurückliegenden Serie 2023/2024 der vorläufige Höhepunkt. Am Ende war der Verein damit sogar wieder auf der europäischen Bühne angekommen.
In der Qualifikation für die European League, die Gummersbach unbedingt überstehen will, obwohl de Wettbewerb finanziell eher als Zuschussgeschäft gilt, sollte nun Mors-Thy Håndbold nach einer intensiven Vorbereitung der erste richtige Gradmesser werden. Ein Grund zur Vorsicht: Der Klub aus dem Norden von Jütland hatte in der vergangenen Saison den fünften Rang in der 1. Liga Dänemarks belegt – was durchaus keine schlechte Empfehlung war. Das Hinspiel um die Eintrittskarte für die Hauptrunde stellte die Gummersbacher in der Sparekassen-Arena allerdings nicht vor die ganz große Herausforderung und am Ende stand ein zumindest in dieser Höhe kaum zu erwartender 35:22 (17:10)-Erfolg auf der Anzeigetafel. Niels Agesen, der Chefcoach der Gastgeber, fasst das Geschehen kurz und knapp zusammen: „Wir haben eine Lektion von einer Mannschaft gelernt, die 13 Tore besser war und ist als wir – das müssen wir einfach zugeben.“ Beim Stande von 7:1 in der siebten Minute sah sich Agesen bereits gezwungen, die erste Auszeit zu nehmen – in der er jedoch kein passendes Mittel finden konnte, um den VfL irgendwie unter Druck zu setzen. Übers 14:7 (22.) und 17:10 (30.) am Ende der ersten Halbzeit lag Gummersbach beim 27:17 (43.) zum ersten Mal zweistellig vorne, ehe sich beide Seiten im Anschluss ans 30:17 (46.) vorübergehend fast komplett aus dem Geschehen verbschiedeten. Mors-Thy verkürzte traf zwar zum 18:30 (48.), doch inzwischen nachlässigere Gummersbacher meldeten sich mit dem 31:18 (55.) durch Kristjan Horzen erst nach neun Minuten Unterbrechung zurück. Nennenswerte Gefahr entstand durch die Flaute jedoch nicht für die in allen Belangen überlegenen Gäste.
Welche Gefahr dafür besteht, dass die Gummersbacher die Hauptrunde im Rückspiel am kommenden Samstag um 16.30 Uhr in der Schwalbe-Arene doch noch verpassen? Realistisch gar keine, denn die 13 Treffer Differenz deuten einen Zwei-Klassen-Unterschied zwischen dem VfL und dem Gegner aus Dänemark an. Kurz vor dieser Aufgabe wird die auf Team und Trainer zukommende Beanspruchung allerdings ganz sicher zweihundert Prozent höher sein, weil bereits am Donnerstag um 19 Uhr die Bundesliga 2024/2025 beginnt – mit der Partie bei der TSV Hannover-Burgdorf. Das ist exakt jener Klub, an dem Sigurdssions Mannschaft in der jüngeren Vergangenheit vorbeigezogen ist: In der Saison 2022/2023 lag der VfL als Zehnter ein Stück hinter Hannover (38:30), das seinerzeit als Sechster ebenfalls die European League erreichte. Ein Jahr darauf lieferten sich die TSV und die Gummersbacher lange ein intensives Duell und es brachte den Niedersachsen am Ende wenig, dass sie ihr Konto auf 39:29 Zähler leicht verbessern konnte. Und ändern konnten daran selbst die jungen Nationalspieler Renars Uscins und Justus Fischer wenig, die noch bei den Olympischen Spielen vor wenigen Wochen auf dem aufregenden Weg zur Silbermedaille genmeinsame Sache machten mit Gummersbachs Kapitän Julian Köster machten. Beim 32:29 in der Rückrunde der vergangenen Saison trafen Uscins und Fischer jeweils sechs Tore, während Köster „nur“ auf vier Treffer kam – und später trotzdem mehr in der Hand hatte als die Kollegen aus Hannover. Was das Ergebnis vom 7. Februar 2024 allerdings zeigt: Ein Erfolg in Hannover ist vieles, aber keine Selbstverständlichkeit. In der Summe zeigt sich Julian Köster, einer der Hochbelasteten in Handball-Deutschland, allerdings zuversichtlich: „Natürlich freue ich mich, dass die Bundesliga wieder losgeht. Dieses Jahr war die Vorbereitung für mich im Verein ein wenig anders und ein bisschen kürzer, trotzdem habe ich ein gutes Gefühl.“ Dass er dennoch den höchsten Respekt vor der TSV hat, ist für ihn bei allem Wissen um die eigenen Stärken selbstverständlich.
Für Cheftrainer Sigurdsson wesentlich: Er hat in Kentin Mahé (zuletzt Telekom Veszprem/Ungarn), Torhüter Dominik Kuzmanovic (RK Nexe Nasice/Kroatien), Teitur Einarsson (SG Flensburg-Handewitt) und Torhürter Bertram Obling (HC Erlangen) keine reinen Ergänzungsspieler dazubekommen, sondern viel Erfahrung und Qualtität. Weil Sigurdsson ziemlich genau weiß, dass die einzelnen Teile trotzdem erst ihren richtigen Platz finden müssen, warnt er trotzdem vor zu großen Erwartungen: „Wir brauchen Zeit, bis alles so funktioniert, wie es funktionieren soll. Natürlich haben die Neuzugänge eine Qualitätssteigerung mitgebracht, sie müssen sich aber auch erst einfinden. Zudem haben wir komplett neue Torhüter und auch die müssen sich erst an die Abwehrreihen gewöhnen. Alle sind top Charaktere, die Gas geben und schon gut in die Mannschaft integriert sind.“ Auf eine konkrete Tabellenposition als Plan für die bevorstehende Bundesliga-Saison will er sich so wenig festlegen wie Christoph Schindler. „Wir verfolgen im Verein natürlich vielfältige Ziele, nicht nur auf der sportlichen Ebene“, sagt der VfL-Geschäftsführer, „übergreifend arbeiten wir jeden Tag daran, besser zu werden. Dazu gehört es, jeden Spieler besser zu machen, als Mannschaft besser zu werden und letztendlich als Verein besser zu werden. Das ist uns in den vergangenen Jahren gut gelungen. Bei der Zielsetzung geht es also nicht um Tabellenplätze, sondern darum, dass wir das bestätigen und übertreffen wollen, was wir in den letzten Jahren angefangen haben.“ Das ist derart ungenau, dass es beinahe schon wieder sehr präzise ist. Hannover wird auf jeden Fall überprüfen, wie das alles in der Wirklichkeit aussieht und wie hoch die Ambitionen im Oberbergischen tatsächlich sein können. Dass sie nur einen Platz in der oberen Tabellenhälfte wollen, werden sie in Gummersbach sowieso niemandem verkaufen können.
Mors-Thy Håndbold – VfL Gummersbach 22:35 (10:17).
VfL Gummersbach: Obling, Kuzmanovic – Vidarsson (5), Kodrin (4), Vujovic (2), Köster (6), Blohme (4), Häseler (1), Einarsson (2), Schluroff (2), Tskhovrebadze (4), Mahé (3), Pregler (1), Horzen (1), Zeman.