Regionalliga Nordrhein
Verrückt: Absteigen will keiner – aufsteigen auch nicht
Die kommende Saison in der Regionalliga dürfte von Aachen bis Remscheid und von Bonn bis Ratingen noch spannender werden als die vergangene.

Wir sind bereit: Auch beim HC Weiden mit Trainer Marc Schlingensief (Zweiter von rechts) wissen sie aber, dass eine Saison voller Herausforderungen wartet. (Foto: Thomas Schmidt)

Wie war noch die vergangene Saison in der Regionalliga? Verrückt irgendwie. Und maximal spannend. Nur ein einziger Klub hatte es damals gewagt, seinen Hut für den Aufstiegskampf ernsthaft in den Ring zu werfen. Tatsächlich schaffte es der TV Korschenbroich – nicht ohne Schwierigkeiten allerdings und nicht ohne einen frühen Wechsel auf dem Trainerstuhl von Gilbert Lansen zu Dirk Wolf, dem vorübergehenden Rückkehrer aus dem handballerischen Ruhestand, in dem er sich inzwischen wieder befindet. Hinter den Korschenbroichern landete vor ein paar Monaten unter anderem der Neu-Regionalligist TSV Bayer Dormagen II, der vielleicht gerne nach oben geklettert wäre, und es gab andere, die ihre Position ziemlich weit vorne mitnahmen, ohne ernsthaft für den Titel in Frage kommen zu können. Vom Dritten TSV Bonn rrh. ging das über den HC Weiden bis hin zur HG Remscheid so – und gleichzeitig wussten alle um einen entscheidenden Vorteil: Mit dem Blick nach unten oder gar dem Thema Abstieg hatten sie nichts zu tun. Das galt jedoch für das komplette Feld ab dem BTB Aachen und Platz sechs, was den Irrwitz dieser Saison ausmachte: Auf die Frage nach den Absteigern gab es erst auf den letzten Drücker eine zuverlässige Antwort. Simon Breuer, der Aachener Trainer, erinnert sich noch sehr gut daran, wie eng alles war: „Wir sind Sechster geworden und haben den sicheren Klassenerhalt erst am vorletzten Spieltag in der Tasche gehabt.“ Vielleicht werden sämtliche Klubs aber in ein paar Monaten feststellen, dass diese alte Saison 2023/2024 nur ein Abklatsch gegenüber dem war, was 2024/2025 gebracht hat. Geht das vielleicht noch enger? Vermutlich. Zumindest ist es nicht ausgeschlossen.

Ganz vorne fehlt komplett jemand, der sich aus der Deckung traut: Niemand äußerst ein offenes Interesse am Aufstieg in die 3. Liga – wobei immerhin sicher ist, dass am Ende ganz bestimmt einer den ersten Tabellenplatz belegt und so Meister der Regionalliga ist. Andererseits: Noch wird niemand zum Aufstieg gezwungen. Das wiederum sieht im Bereich der Absteiger anders aus, denn fest sollen es diesmal drei sein, weil von unten aus der auf drei Gruppen erweiterten Oberliga (bisher zwei) ein Team mehr in die Regionalliga drängt. Außerdem bliebe wiederum die Entwicklung in der 3. Liga zu beachten: Die Zahl der Absteiger von dort, die in die Regionalliga Nordrhein müssen, beeinflusst zusätzlich die Zahl der Absteiger in die Oberliga. Wir wagen diese Prognose: Das Hauen und Stechen wird noch intensiver. Und es geht direkt am ersten Spieltag los, wobei Vorsicht selbst der letztjährige Vizemeister Dormagen II walten lässt, bei dem in Moritz Adam (kam vom MTV Köln) als Nachfolger von Martin Berger (nun beim Nachwuchs der Rhein-Neckar Löwen in verantwortlicher Position) ein neuer Trainer für eine umgebaute und sehr junge Mannschaft an Bord ist. „Unser Kader hat sich relativ stark verändert. Insbesondere ältere Führungsspieler haben den Kader verlassen“, sagt Adam, „die Lücke müssen wir jetzt mit einer neuen Rollenverteilung schließen, andere Spieler müssen zu Leistungsträgern werden und Verantwortung übernehmen. Wir wollen erst einmal nix mit dem Abstieg zu tun haben. Unsere Hauptaufgabe in der U 23 ist es, Spieler zu entwickeln. Wir sind da nicht so ergebnisorientiert, wenngleich die Jungs sich selbst die höchsten Ziele setzen.“

In den Augen des ersten Gegners gilt der TSV Bayer II trotz aller Zurückhaltung als eins der Top-Teams – und er ist sicher beim Aufsteiger HSG Siebengebirge auch kein krasser Außenseiter. „Dormagen ist für uns zum Saisonstart durchaus der Favorit“, sagt HSG-Trainer Marcel Trinks, „wir wollen uns unbedingt in unserem ersten Heimspiel die ersten Punkte verdienen und es Dormagen so schwer als möglich machen. Wir werden alles reinwerfen müssen, um zu den ersten Saisonpunkten zu kommen. Wir werden uns keineswegs verstecken und wir wollen unsere Regionalligatauglichkeit unter Beweis stellen. Wir erwarten ein temporeiches und spannendes Spiel auf Augenhöhe bis in die letzten Minuten.“ Die Ziele für den Meister der Oberliga Mittelrhein 2023/2024 setzt er gleichzeitig gar nicht besonders defensiv an: „Als Aufsteiger wollen wir schnell in der Liga ankommen und für jeden Gegner zu einer unbequemen und unangenehm zu spielenden  Herausforderung wachsen. Persönlich freue ich mich sehr auf meinen Einstand vor dieser tollen Kulisse. Mein Team ist hochmotiviert, kennt die an uns gestellten Aufgaben und Ziele und wird alles geben. Unser Saisonziel ist das gesicherte Mittelfeld mit Tendenz nach oben.“ Ein bisschen vorsichtiger betrachtet demgegenüber der Mit-Aufsteiger Unitas Haan als Meister der Oberliga Niederrhein das Unternehmen Regionalliga. „In das erste Spiel gehen wir mit gemischten Gefühlen“, erklärt Unitas-Trainer David Horscht, „die personelle Situation ist etwas angespannt, aber die Vorfreude auf die Regionalliga ist natürlich enorm. Wir wollen uns gegen einen starken Gegner aus Weiden gut präsentieren und, wenn möglich, natürlich was mitnehmen. Ansonsten gilt es sich in den kommenden Wochen möglichst schnell an die Liga zu gewöhnen, sich weiterzuentwickeln und Punkte für den Klassenerhalt zu sammeln.“

Jener HC Weiden, der Auftaktgegner in Haan, orientiert sich beim Blick nach vorne zunächst am Blick in den Rückspiel. „Unser Ziel ist, die letztjährige Punkteausbeute von 29 Punkten zu bestätigen. Das ist ambitioniert und schwer genug. Wir freuen uns, dass es losgeht“, betont Trainer Marc Schlingensief. Ruckelfrei verliefen die vergangenen Wochen aus seiner Sicht allerdings nicht: „Mit fast unverändertem Kader gehen wir in die nächste Saison. Unsere Halle war drei Wochen gesperrt und neben den üblichen Urlauben gab es vermehrt größere und kleinere Verletzungen. Dadurch sind wir nicht so weit wie gewünscht, aber das Positive ist, dass wir uns das Fundament bereits in den letzten beiden Jahren gelegt haben. Das könnte uns jetzt zugutekommen. Mit den ersten beiden Spielen gegen die Aufsteiger aus Haan und Siebengebirge haben wir direkt zwei dicke Bretter zu bohren, da beide mit sehr viel Enthusiasmus und viel Selbstvertrauen in die neue Saison gehen werden.“ Grundsätzlich erwartet Schlingensief, dass die gesamte Liga noch dichter zusammenrückt.

Bedeckt bei der Formulierung einer bestimmten zu erreichenden Position halten sie sich auch im Bergischen beim Vorjahresfünften HG Remscheid mit dem neuen Trainergespann Alexander Oelze/Jens-Peter Reinarz. „Wir wollen uns weiterentwickeln“, sagt Oelze, „die Mannschaft hat in der letzten Saison in vielen Top-Spielen ganz gut performt, aber sie war ein wenig zu unkonstant. Wir müssen eine gewisse Grundkonstanz reinbringen. Die Liga wird wieder sehr ausgeglichen sein.“ Hinten soll eine bewegliche Abwehr die Gegner aktiv und pausenlos vor neue Probleme stellen, vorne geht es vor allen Dingen um ein Höchstmaß an Geschwindigkeit. Das hört sich in der Summe fast wieder wie ein Plan fürs Vordringen ins vordere Drittel an, den sie so oder ähnlich im Oberbergischen beim HC Gelpe/Strombach wohl ebenfalls unterschreiben würden. Trainer Markus Murfuni sieht sein Team trotz einer relativ komplizierten Vorbereitung unter anderem durch die Neuzugänge Kai Lösebrink und Julius Walch (beide SG Schalksmühle-Halver Dragons) ganz gut aufgestellt: „Ich glaube, dass die Liga wieder sehr ausgeglichen sein wird. Für mich ist auch nicht relativ klar, wer absteigt. Wir sind einfach froh, wenn wir irgendwo ab dem siebten Platz nach oben gucken können. Grundsätzlich denke ich, dass wir in diesem Jahr auch in der Liga die eine oder andere Überraschung erleben werden. Ich hoffe, dass wir im positiven Sinne dabei sind.“ Insgesamt folgt daraus, dass weniger als Rang sieben – wie im vergangenen Jahr – offensichtlich eine Enttäuschung wäre für Murfunis Mannschaft, die diese neue Saison am Freitagabend mit dem Heimspiel gegen Remscheid eröffnet.

Ein spannendes Projekt begleitet bei der TSV Bonn rrh. der neue Trainer Florian Benninghoff-Lühl als Nachfolger von Frank Berblinger (zum Drittliga-Aufsteiger TV Korschenbroich). Dass sich der dritte Rang von 2023/2024 wiederholen lässt, scheint dabei unwahrscheinlich zu sein. „Wir sind jetzt das zweite Jahr in einem größeren Umbruch. Jetzt ist noch mal ein großer Stamm mit Tim Wilhelms, Fabian Struif und Daniel Roeloffs in die Handballrente gegangen. Das waren wichtige Spieler. Deswegen sind wir zwangsläufig dabei, den Kader wieder zu verjüngen.“ Seine Einschätzung für die Zukunft ist eine Mischung aus Zurückhaltung und Freude auf das, was da kommen mag: „Der dritte Platz ist nicht unbedingt der Maßstab für diese Saison und es erwartet keiner in Bonn, daran einfach anknüpfen zu können. Wir haben eine spannende Findungsphase. Es wird die Hinrunde dauern, dass wir uns komplett einspielen können und ein neues Team formen. Ich bin gespannt, wie schnell das funktioniert. Wir wollen nicht am Anfang unten reingeraten, um dann nach der ersten Saisonhälfte ein hoffentlich ambitioniertes Ziel ausrufen zu können. Das wird insgesamt eine extrem enge und spannende Saison.“

In Teilen klingt das beinahe so, als hätte sich Benninghoff-Lühl mit dem Kollegen Kelvin Tacke von der HSG Refrath/Hand abgesprochen. Dessen größte Aufgabe hat ebenfalls mit wechselndem Personal zu tun: „Mit einer Zielsetzung bin ich sehr zurückhaltend, besonders deshalb, weil wir in diesem Jahr den zweiten Umbruch vor der Brust haben. Wir haben zum Saisonende fünf Spieler verloren, die aufgehört haben, und wir haben im Endeffekt, zusammen mit den Spielern aus der Zweiten, sieben Neue dazubekommen.“ Dabei freut sich der Trainer-Routinier allerdings sowohl auf den Saisonstart als auch auf den nicht kleinen Umbau. „Ich muss sagen, dass ich ein Stück weit echt happy bin über die Veränderungen“, sagt Tacke, „wir haben extrem viele junge „Fetzen“ dazubekommen, die einfach Spaß machen. Ich wünsche mir, dass wir weiter unsere Entwicklungsschritte schaffen, die wir machen müssen, dass sich die jungen Leute auf dem Niveau etablieren und dass wir Handball spielen, der Spaß macht. Wir hoffen, dass wir da heraus Erfolge generieren.“ Gegen ein ähnliches Abschneiden wie zuletzt (achter Rang) hätte er wohl wenig einzuwenden, doch festlegen wollen sich die Refrather gleichfalls nicht: „Man muss erst ein Gefühl für die Liga kriegen und die ersten Spiele spielen, um einen Eindruck zu bekommen, wo man sich da einpendelt. Mit einer Zielsetzung bin ich sehr zurückhaltend.“

Eine noch viel kompliziertere Aufgabe wartet auf die Aachener – die gleichwohl heiß darauf sind, zurück auf die Platte zu kommen. „Grundsätzlich freuen wir uns, dass es losgeht“, betont Trainer Breuer, „auf  der anderen Seite wird es eine sehr spannende, herausfordernde Saison für uns, einfach vor dem Hintergrund, dass uns zum Saisonende schon fünf Jungs verlassen haben. Unser Kreisläufer ist ein halbes Jahr im Ausland, dazu hat sich vor zwei Wochen unser Kapitän Philipp Widera so schwer verletzt, dass er beschlossen hat, gar nicht mehr zu spielen. Das ist eine herbe Schwächung für uns und zusätzlich wird noch Milan Monteiro Pai ab Mitte Oktober einen halbjährigen Studien-Aufenthalt in Hamburg haben. Aufgefüllt haben wir mit Spielern aus der Zweiten und der A-Jugend und unser Saisonziel ist eindeutig. Am ersten Spieltag wird auch der eine oder andere privat oder beruflich verhindert sein, sodass wir mit sehr schmalem Kader anreisen. Unser Saisonziel ist eindeutig, das kann einfach nur der Klassenerhalt sein von der ersten Sekunde an.“ Stolz sind die Aachener bei allen personellen Problemen darauf, wie sie die Situation bewältigen können/konnten: „Das birgt auf der andere Seite Chancen für Jungs, sich zu zeigen, und wir sind stolz darauf, dass das alles Eigengewächse sind. Am Wochenende sehen wir zum ersten Mal, wozu wir vielleicht in der Lage sein könnten.“ Dass der Stand der Dinge in Essen bei TuSEM II mit dem neuen Trainer Sebastian Hosenfelder schwierig einzuschätzen ist, macht die Hürde für den TB nicht kleiner.

Packen wir es an! Der spielende Sportliche Leiter Stanko Sabljic (Nummer 77) und Trainer Filip Lazarov (rechts) sind in Ratingen nach dem Abstieg aus der 3. Liga zunächst mit umfangreichen Umbau-Maßnahmen beschäftigt. (Foto: Thomas Schmidt)

Eine ziemlich verschwommenes Bild gibt kurz vor dem Start in die Saison 2024/2025 der Ex-Drittligist Interaktiv.Handball ab. Was in diesem Fall besonders gilt: Ein Absteiger muss in der tieferen Klasse nicht zwangsläufig zu den Titelkandidaten gehören und die Ratinger backen tatsächlich kleinere Brötchen – was für viel Realitätssinn spricht. Die Mannschaft von Trainer Filip Lazarov hat viele Spieler verloren, darunter den spielenden Co-Trainer Alexander Oelze (40/Trainer bei der HG Remscheid), den Top-Torschützen Ante Grbavac (30/zum TV Homburg) und Kapitän Hendrik Stock (23/zum TuS Ferndorf). „Insgesamt sind zehn Spieler weg“, berichtet der Sportliche Leiter Stanko Sabljic, „das ist eine sehr schwierige Situation. Das Wichtigste ist, dass wir in der Liga bleiben.“ Für den Kroaten allgemein und persönlich besonders wichtig: „Wir wollen junge Leute fördern.“ In diesem Zusammenhang passt es ganz gut, dass Sabljic gemeinsam mit Julian Fanenbruck die A-Jugend des Vereins trainiert und so besonders intensiv im Auge hat, wie Talente am besten den Weg in den Seniorenbereich finden. Was ein Plus sein oder werden könnte: „Wir haben eine engagierte Mannschaft. Die Jungs haben Bock, wir wollen Gas geben.“ Was zusätzlich zu bearbeiten ist: Die nur drei Neuzugänge Nick Surowka (21/SG Menden Sauerland Wölfe), Akihisa Yamada (27/Japan) und Luca Wenzel (27/HC Erlangen) stießen erst spät bis sehr spät zu Interaktiv. „Wir haben nur eine kurze Zeit“, sagt Sabljic, „aber wir wollen nicht weinen.“ Ganz nebenbei ist der Sportliche Leiter nicht nur in der Theorie und Planung für Interaktiv am Start, sondern parallel dazu weiterhin als Spieler – mit 36 als neuer „Senior“ der Mannschaft, die in der Tat weder auf seine Erfahrung noch auf seine Qualitäten als Kreisläufer verzichten kann. Wenn wir am Ende alles mal zusammenrechnen von Aachen bis Remscheid, von Bonn bis Ratingen: Diese nächste Saison wird verrückt, mindestens so verrückt wie die vergangene. Und maximal spannend wird sie auch wieder. Deshalb muss es losgehen. Jetzt!