13. September 2024 | Zurück zur Artikelübersicht » |
Was haben sie in der Vergangenheit nicht alles erlebt beim TV Jahn Köln-Wahn. An die sportlichen Glanzzeiten können sich in Köln vielleicht nicht mehr viele erinnern, weil sie ja schon eine Weile zurückliegen. In der Saison 1996/1997 gelang unter der Regie der heutigen Trainer-Legende Kai Wandschneider der Aufstieg in die Regionalliga – die damals die 3. Liga in Deutschland war. Direkt danach katapultierte sich der Klassen-Neuling auf Rang fünf und ihm fehlte dort bei 29:23 Punkten nur ein Zähler auf die HSG Römerwall (30:22), die als Vierter das letzte Ticket für die Teilnahme an der Aufstiegsrunde zur 2. Bundesliga löste. Wie sehr sich die Dinge verändert haben, zeigt unter anderem ein tiefer Blick in die Statistik: Der TV Jahn hatte es seinerzeit unter anderem mit Unitas Haan zu tun – und er konnte dem späteren Vizemeister in eigener Halle immerhin einen Punkt abnehmen. Das amtliche Ergebnis damals? 15:15. Es sind Zahlen, die inzwischen im neueren Handball als ausgeschlossen zu gelten haben. Und ebenfalls neu hat sich längst der gesamte Verein aufgestellt, der die Vergangenheit als wichtigen Teil seiner Geschichte sieht und daran aus gegebenem Anlass noch einmal zurückdenkt. Die Handball-Abteilung des TV Jahn Köln-Wahn wird jetzt 100 Jahre alt und wird das entsprechend feiern, rund um den Heimspieltag am 21. September. Die erste Mannschaft trifft dann im Übrigen auf einen alten Weggefährten von damals, denn es geht gegen den TuS Niederpleis. Zu Hause sind beide mittlerweile ein paar Etagen tiefer in der Verbandsliga.
Einer, der die alten „Helden“ live erlebt hat, ist der heutige Abteilungsleiter Tobias Carspecken. „Das war die Zeit, wo ich mich mit dem Handball-Virus infiziert habe“, sagt der 37-Jährige, der zuerst als junger Zuschauer halbwegs neutral mitbekam, wie der Verein die finanziellen Herausforderungen weiter oben nicht mehr stemmen konnte und letztlich am Ende der Saison 2001/2002 mit 10:50 Punkten als Tabellenletzter absteigen musste. Die Rechnung war einfach: Kein Geld mehr, keine 3. Liga mehr, ab jetzt bescheidenere zur Verfügung stehende Mittel und der Verzicht auf zu große finanzielle Risiken. Weil sich Carspecken einige Jahre später als Erwachsener nicht mehr aus der Verantwortung raushalten konnte und wollte, stieg er als gleichberechtigter Stellvertreter von Bernd Liberka in die Führung des Vereins ein – den er seit dessen Tod 2017 als verantwortlicher Abteilungsleiter Handball führt. Und die sieben Jahre danach bilden schon wieder eine sehr bewegte Geschichte ab, die in der Saison 2015/2016 unter der Regie der Trainer Keno Knittel/Jan-Heiner Lück mit dem Aufstieg aus der Oberliga Mittelrhein in die damals gerade ins Leben gerufene Regionalliga Nordrhein (4. Liga) begann: Wahn sicherte sich damals als bester Kölner Verein mit 41:11 Punkten die Vizemeisterschaft hinter dem jetzigen Drittligisten TuS 82 Opladen (44:8) und vor aktuellen Regionalligisten wie TSV Bonn rrh., BTB Aachen und HSG Siebengebirge. Auch die erste Saison in der Regionalliga lief ziemlich vielversprechend: Der TV (35:17 Punkte) wurde Dritter hinter den Bergischen Panthern (42:10) und dem TV Aldekerk (ebenfalls 35:17), die beide derzeit ebenfalls in der 3. Liga unterwegs sind.
Über Rang acht (33:23) in der Saison 2017/2018 und Platz elf (20:32) in der Saison 2018/2019 ging es in die Serie 2019/2020, in die ab dem Frühjahr die Corona-Pandemie entscheidend eingriff. Beim Saison-Abbruch im März 2020 lagen die gefährdeten Kölner mit 13:25 Zählern auf Rang zwölf und sie wären womöglich abgestiegen. Kurz darauf stand der nächste Neustart fest – zumal der Verein ohne seinen Trainer Olaf Mast und ohne seinen langjährigen Kapitän Gregor Pohl hätte weitermachen müssen. In einer Mischung aus personellen Gründen und einem besonders für die Regionalliga relativ schmalen Budget folgte dieser radikale Schnitt zur sportlichen Neu-Ausrichtung: Die bisherige zweite Mannschaft geht in der Verbandsliga als eigentliche Erste der TV Jahn Köln-Wahn an den Start. Weil die Serie 2020/2021 mit dem sehr zeitigen Abbruch noch stärker durch Corona beeinflusst war, konnte der Verein nach dem Rückzug aus der Regionalliga auf eine besondere „kölsche Lösung“ zurückgreifen, denn der Verband garantierte ihm darin, für 2022/2023 auf jeden Fall einen Platz in der Oberliga zu bekommen. Als Vierter der Aufstiegsrunde (reichte nicht zum Aufstieg aus eigener Kraft) griffen die Wahner im Mai 2022 tatsächlich auf dieses garantierte Oberliga-Ticket zurück – ohne dass ihnen eine Etage höher ein durchschlagender Erfolg gelungen wäre, denn der vorletzte Platz mit 9:51 Zählern führte auf direktem Weg zurück in die Verbandsliga. Dort brachte Rang acht (24:28) nur Mittelmaß und vom durch den Ligen-Umbau im neuen Verband Handball Nordrhein erhöhten Aufstieg war die Mannschaft weit entfernt. „Diese Saison war enttäuschend“, räumt Carspecken ein.
Insgesamt sind sie beim TV Jahn Köln-Wahn jedoch mehr denn je davon überzeugt, den richtigen Weg eingeschlagen zu haben. „Wir setzen schon sehr, sehr stark auf Eigengewächse“, betont Carspecken, „und wir bekommen in den Heimspielen viel Unterstützung. Insofern hatte der Rückzug in die Verbandsliga viele positive Neben-Effekte. Uns geht es um Treue und Identifikation, um eine persönliche Beziehung zu denen, die auf dem Feld stehen. Auch der Handball hat sich verändert, aber es ist unsere feste Überzeugung, dass unverhandelbare Werte gelten müssen. Wir sind glücklich und stolz, diese Werte aufrechtzuerhalten.“ Was er bei allen Überlegungen und der Kader-Planung festgestellt hat: „Es gibt keine Aufwands-Entschädigung. Die Jungs haben auch nicht das Verlangen, bezahlt zu werden. Es geht um das Wir-Gefühl.“ Praktisch als Leuchtturm-Beispiel dafür, dass der TV Jahn selbst ohne besondere Mittel attraktiv für starke Spieler zu sein scheint, ist in seinen Augen die Rückkehr von Jan Lange. Der 26 Jahre alte Rückraumspieler, der in der Saison 2022/2023 als Dreh- und Angelpunkt des Teams mehr als 200 Treffer erzielt hatte, wechselte zur Serie 2023/2024 zum TuS Königsdorf, um dort weiter Oberliga spielen zu können – ehe er sich in der Rückrunde wieder seinem Heimatverein anschloss, aus dessen Jugend er stammt. Dass ein Eigengewächs der einzige „Neuzugang“ ist, kommt wahrscheinlich nicht jeden Tag vor.
Fast neu bei den Wahnern ist Cheftrainer Kevin Bartz als Nachfolger von Thomas Radermacher. Bartz (31), der in der Saison 2017/2018 die A-Jugend des Vereins zur Mittelrheinmeisterschaft führte, stand am Anfang gar nicht ganz oben auf dem Zettel, machte das Rennen allerdings letztlich überzeugend. „Seine Bewerbung hat mit imponiert“, berichtet Tobias Carspecken, „und er kennt einige von früher. Die Antenne zu den Jungs war einfach. Er weiß, wie sie ticken, und er kann seine Botschaft gut rüberbringen.“ Bartz gíbt die Komplimente zurück: „Ich bin sehr gut aufgenommen worden und darf eine sehr intakte Mannschaft trainieren, wie ich es in dieser Form bislang selten erlebt habe. Es ist phänomenal, was die Jungs bereit sind, auf sich zu nehmen. Davor kann man nur den Hut ziehen.“ Aufgrund der starken Auftritte in der Vorbereitung (zehn Spiele ohne Niederlage) sind Team und Trainer nun halbwegs optimistisch für die Saison 2024/2025 und der 28:20-Erfolg über den SSV Nümbrecht II war der passende Einstieg in die Meisterschaft. Dass sich in Wahn wenig ums Geld dreht, ändert am Ende sowieso nichts an Ehrgeiz und Leidenschaft für den Erfolg: „Auf absehbare Zeit wollen wir gerne zurück in die Oberliga.“ Diesmal führt aber nach Ansicht der Wahner kein Weg am HC Gelpe/Strombach II vorbei, den sie als klaren Favoriten sehen.
Was dem Verein aktuell Sorgen bereitet, ist der Blick in den männlichen Nachwuchsbereich – der zwar mit einer A-Jugend besetzt ist, aber weder mit einer B- noch einer C-Jugend. „Es ist trotz unserer 100 Jahre nicht alles Gold, was glänzt“, findet Carspecken – der sehr genau weiß, dass dieser Punkt kein Dauerzustand bleiben darf, weil sich das in gar nicht so ferner Zukunft zwangsläufig bei der A-Jugend bemerkbar machen würde. Vielleicht entdecken sie am 21. September rund um die Feier zum 100. Geburtstag ein paar weitere Ansätze und möglicherweise bringt sie Kai Wandschneider mit: Der Kulttrainer von einst hat in seiner Vita als Stationen unter anderem den TSV Bayer Dormagen (2008 Aufstieg in die 1. Bundesliga) und die HSG Wetzlar stehen (2012 bis 2021), 2013 und 2017 war er jeweils Trainer der Saison in der 1. Bundesliga. Anschließend trat er in den Ruhestand. Doch ganz sicher kann sich Wandschneider noch an die alten Glanzzeiten unter seiner Regie erinnern. Außerdem gilt er mit 64 selbst als „Rentner“ als einer, dem die Förderung von jungen Spielern und Talenten am Herzen liegt. Mithin ist er genau richtig beim TV Jahn Köln-Wahn.