Oberliga
Neun Tore hinten? Kein Thema! Nümbrecht und der Wahnsinn von Wuppertal
Spitzenreiter macht im Gipfeltreffen beim LTV Wuppertal ein 13:22 wett und gewinnt mit 29:28. Rekordverdächtig waren vor 500 Zuschauern auch 21 Zeitstrafen, drei Rote Karten und 13 Siebenmeter.

Richtige Zeit, richtiger Wurf: Tobias Schröter, einst für den VfL Gummersbach unterwegs, war bei den Nümbrechtern in den letzten zwölf Minuten mit vier Treffern und dem späten 29:28 der Mann des Spiels. (Foto: Thomas Schmidt)

LTV Wuppertal – SSV Nümbrecht 28:29 (14:10). Es war ein denkwürdiger Sonntagnachmittag, der sich dann sogar bis in den frühen Abend zog, denn es ging mit einer Viertelstunde Verzögerung los – weil ein Spiel davor später als geplant zu Ende war. Dem mit Spannung erwarteten Gipfeltreffen in der Gruppe 2 der Oberliga Nordrhein tat das vielleicht zusätzlich gut, weil jede Minute des Wartens das Knistern in der Halle Buschenburg um das eine oder andere Grad in die Höhe trieb. Vielleicht hatte ja jemand geahnt, was später kommen sollte. Das war tatsächlich eine Partie, die in jeder Liste mit besonders kostbaren Raritäten ihren festen Platz finden würde – und bestimmt keinen ganz hinten. Passend dazu: Selbst die letztlich hauchdünn unterlegenen Wuppertaler konnten was sehr Positives auf ihrem Konto verbuchen, denn das alles wäre ohne ihr Mitwirken nicht möglich gewesen. „Es war für ein Top-Spiel auf jeden Fall ein würdiger Rahmen“, fand der für die Öffentlichkeitsarbeit zuständige Torhüter Jan Philipp Meißner, „es hat unheimlich Bock gemacht, in der Halle zu sein, die pickepacke voll war. Es war über 60 Minuten Werbung für den Handballsport. Das war, bis auf das Ergebnis am Ende, eine richtig geile Sache.“ Richtig geil fanden nachvollziehbar die Gäste, dass sie nach dem neunten Sieg in Folge mit einer makellosen Bilanz weiter an der Spitze liegen – vor der SG Langenfeld und dem LTV (beide 14:4). Was ebenfalls für Nümbrecht spricht: Der Tabellenführer hat die Hinrunden-Duelle mit den beiden härtesten Konkurrenten hinter sich und jenes gegen Langenfeld vor gut einem Monat am 12. Oktober ebenfalls mit 29:28 gewonnen. Falls Seinsches Mannschaft die Serie am 23. November gegen den TB Wülfrath (Neunter/7:11) und am 1. Dezember gegen den TuS 82 Opladen II (Rang 13/2:14) fortsetzen kann, tritt sie am 14. Dezember auf jeden Fall als Erster zum letzten Einsatz im Kalenderjahr 2024 an – beim Vierten Mettmann-Sport (12:6), der vorne zuletzt durch das 25:35 gegen Langenfeld und das folgende 31:38 beim MTV Köln (Sechster/10:8) einiges an Boden eingebüßt hat. Wuppertal spielt noch am 30. November in Wülfrath, am 8. Dezember gegen Mettmann und am 14. Dezember beim Ohligser TV (Elfter/5:9).

Als maximal ungewöhnliche Zutat im Gipfeltreffen durfte zuerst (aber nicht nur) der geradezu irrwitzige Spielverlauf gelten, der die Hausherren in der 42. Minute beim 22:13 bereits als den sehr wahrscheinlichen Gewinner sah. Auch ein Blick auf die Statistik, in denen sich die Entscheidungen der Unparteiischen finden ließen, sorgte für geradezu ungläubiges Staunen: Wuppertal etwa fand dort auf seiner Seite neun Siebenmeter und neun Zeitstrafen sowie die sich daraus ergebenden zwei Roten Karten gegen Corin Salz (50.) und Maximilian Breenkötter (56.). Für Nümbrecht sah das bei vier Siebenmetern und zwölf Zeitstrafen sowie der frühen Roten Karte gegen Tim Hartmann (27.) personell sogar noch heftiger aus. Nachkarten angesichts der insgesamt 21 Zwei-Minuten-Strafen, 13 Siebenmeter und drei Roten Karten? Fiel fast komplett ins Wasser – was in dieser Form sonst praktisch nie vorkommt. Für alle schien im Vordergrund zu stehen, dass sie vor rund 500 Zuschauern jeweils eine Hauptrolle in einem packenden Drama hatten, auf dessen finalem Teilstück das Pendel wirklich auf die Seite der Gäste ausschlug – die sich dafür nachvollziehbar nicht schämten, aber gleichzeitig irgendwie mit den Hausherren zu leiden scheinen. „Wir freuen uns darüber“, sagte SSV-Trainer Manuel Seinsche, „im Nachhinein ist es natürlich ein glücklicher Sieg, ein Unentschieden wäre schon gerecht gewesen.“ Das sah Meißner genauso: „Wir hätten auf jeden Fall einen Punkt verdient gehabt. Das wäre auch leistungsgerecht gewesen.“

Der LTV machte das 1:3 (9.) aus der bereits heftig umkämpften Anfangsphase durch drei Tore hintereinander zum 4:3 (13.) wett und lag ab da für einen sehr langen Zeitraum vorne. Übers 8:5 (18.) wurde es mit dem 12:8 (25.) etwas deutlicher, ehe Nümbrecht durch die Rote Karte gegen Rückraumspieler Hartmann (27./dritte Zeitstrafe) einen weiteren Rückschlag hinnehmen musste – und diese kritische Situation bis zum 10:13 (30.) erst einmal ganz gut überstand. Kurz nach der Pause setzte sich dann der Zeitstrafenhagel fort – mit erstaunlich widerstandsfähigen Gästen, denn der LTV konnte trotz doppelter Überzahl nach den zwei Minuten gegen die Nümbrechter Johannes Urbach (35.) und Fabian Benger (37.) aus dem 16:11 (34.) nur das 17:11 (37.) machen und musste wenig später sogar den Gegentreffer zum 12:17 (38.) hinnehmen. Gelaufen schien die Nummer trotzdem ein paar Minuten darauf zu sein, weil die Wuppertaler ihren Schwung übers 19:12 (40.) konsequent bis zum 22:13 (42.) transportierten – und niemand hätte inzwischen nur noch einen einzigen Cent auf den SSV gesetzt, der nun allerdings dieses Rezept herausholte: Jetzt erst recht. „Wir sind nach der Pause, glaube ich, dauerhaft in Unterzahl gewesen“, fand Seinsche, „und das hat Wuppertal, ein sehr, sehr starker Gegner, gnadenlos ausgenutzt, sodass wir in der 41.  Minute tatsächlich mit neun Toren in Rückstand geraten. Dann haben wir offensiver gedeckt – und irgendwie hat uns das mal den einen oder anderen einfachen Ballgewinn gegeben und das einfache Tor vorne.“ Noch beim 17:24 (45.) und 19:25 (48.) deutete allerdings wenig auf die später folgende Wende hin. Nach dem 22:25 (50.) begann sich das Spiel aber immer mehr zuzuspitzen – auch deshalb, weil Nümbrecht längst auf den Geschmack gekomen war. Es folgten sofort im nächsten Angriff verteilte Zeitstrafen für Corin Salz (dritte Zeitstrafe) beim LTV und Keeper Tom Rydzewski beim SSV (50.), ehe der Schluss-Akt den großen Auftritt des Nümbrechters Tobias Schröter brachte.

Der Rechtsaußen, der bereits das 21:25 (49.) markiert hatte, verkürzte zunächst auf 23:25 (51.) und 26:27 (54.). Danach war die Partie für einen zweiten Wuppertaler endgültig vorzeitig beendet, denn Maximilian Breenkötter, wie Salz als Kreisläufer und Abwehr-Ass eigentlich unverzichtbar, kassierte ebenfalls eine Rote Karte (56.) und Nümbrecht glich zum 27:27 (56.) aus, doch Timo Bum sorgte mit seinem 28:27 (58.) erneut für eine Führung der Gastgeber. Im Anschluss ans 28:28 (59.) gab es weitere zwei Minuten gegen den SSV – an die Adresse von Jannik Lang, als noch 47 Sekunden auf der Uhr standen. Der Rest entwickelte sich trotzdem zum kompletten Albtraum für die Hausherren, denn sie wussten aus ihrem Vorteil nichts zu machen. Präzise 25 Sekunden vor dem Ende suchte nun Nümbrecht in seiner letzten Auszeit eine finale Lösung – und wurde bei Schröter fündig, der neun Sekunden vor der Schluss-Sirene das 29:28 erzielte. „Wir haben immer noch mit Verletzten zu kämpfen und wir hatten Spieler, die angeschlagen ins Spiel gegangen sind“, meinte Meißner für traurige Wuppertaler, „wenn du dann noch zwei Spieler mit der dritten Zeitstrafe verlierst, ist das wahrscheinlich nicht mehr zu kompensieren. Wir sind zwar irgendwie stolz auf all das, was wir hinbekommen haben, aber es ist bitter, wenn du mit leeren Händen dastehst.“ Nümbrechts Coach Seinsche dachte nicht daran, zu widersprechen – und gleichzeitig versuchte er den Frust der Gastgeber etwas zu begrenzen: „Wuppertal steht zu Recht oben und ist ein starkes Team.“ In der Summe war es eben ein denkwürdiger Sonntagnachmittag.

LTV Wuppertal: T. Oppolzer, Ferner, Meißner – Gusewski (4), Knaupe (4), Flockert, Salz (2), Adam (6/5), L. Meißner, F. Breenkötter, Blum (10/2), Oberbossel (1/1), M. Breenkötter (1).

SSV Nümbrecht: Ort, Rydzewski – Benger (4), Urbach (1), Stürmann, J. Lang (4), Witthaut (1), Roth (9/3), Klose, T. Lang, Hartmann (1), Schröter (5), Dissmann (4), Donath.