Oberliga
Geistenbeck gegen Mönchengladbach: Eine Stadt im Handball-Fieber
Der Zweite TVG erwartet Spitzenreiter Borussia zum Gipfeltreffen. Es ist ein Derby und das Spiel des Jahres.

Vollversammlung: Die Geistenbecker basteln zurzeit intensiv an dem, was im neuerem Deutsch als Matchplan durchgeht. Ob Trainer Thomas Laßeur (Mitte), Julian Krücken (links/Nummer 32), Timo Hüpperling (92), Sven Pöstges (9) und Felix Schumacher (rechts/88) mit der gesamten Mannschaft wieder die richtigen Mittel auf die Platte bringen können, wird sich am Freitagabend gegen die Borussia zeigen. (Foto: Thomas Schmidt)

Der Erste trifft auf den Zweiten. Der mit dem besten Angriff trifft auf den mit der besten Abwehr. Was damit schon mal feststeht: Mehr Spitzenspiel geht nicht – weder in dieser Gruppe 1 der Oberliga noch sonstwo. Es ist einfach Spektakelzeit. Dabei kommt es – was eigentlich fast nicht sein kann – sogar noch besser: Es ist auch Derbyzeit. Und es sieht fast so aus, dass eine Stadt im Handball-Fieber liegt, mindestens für knapp zwei Stunden am Freitagabend ab 20.30 Uhr in der Halle an der Realschulstraße 10 in Mülfort. Dort trifft der TV Geistenbeck mit Trainer Thomas Laßeur auf die Borussia Mönchengladbach mit Trainer Ronny Rogawska. Was beide Seiten eint: Sie sind maximal heiß aufs ungewöhnliche Duell. „Für uns steht gegen die Borussia das Spiel des Jahres an“, sagt etwa Laßeur, „beide Teams aus Mönchengladbach sind sehr gut unterwegs und es geht um die Tabellenspitze. Das Spiel hat natürlich Brisanz und wir rechnen mit einer vollen Hütte. Wir freuen uns schon sehr darauf, weil wir uns das auch erarbeitet haben.“ Kollege Rogawska sieht die Partie ebenfalls als passenden Höhepunkt zum richtigen Zeitpunkt am Ende des Handball-Jahres 2024 und aktuell bestimmen auf jeden Fall beide Mönchengladbacher Teams den Lauf der Dinge: Hinter der Borussia, die mit 21:1 Punkten und 353:279 Toren (plus 74) auf dem ersten Platz steht, folgen mit 22:2 Punkten und 386:333 Toren (plus 53) direkt die Geistenbecker als momentan einziger echter Konkurrent im Kampf um die Meisterschaft. Der Dritte TSV Bonn rrh. (16:6) hat dahinter noch am ehesten eine Art Verfolgerrolle – anders als der Vierte TV Palmersheim (14:8), der Fünfte TV Birkesdorf (13:9) und der Sechste Wölfe Voreifel (13:9).

Die Borussia hat als einzige Mannschaft noch keine Partie verloren  – was aber grundsätzlich nicht überraschend kommt, weil sie am Ende der Saison 2022/2023 als Meister der früheren Oberliga Niederrhein die Rückkehr in die Regionalliga geschafft hatte (nach dem Abstieg von dort 2016/2017) und ohnehin davon ausgegangen war, unter Rogawskas Regie mit entsprechendem Personal mittelfristig den Sprung in die 3. Liga anpeilen zu können. Anschließend verlief die Serie 2023/2024 allerdings nicht mal im Ansatz wie erhofft: Nach einem noch brauchbaren Start mit 5:7 Punkten folgte eine Serie von sechs Niederlagen hintereinander – ein Strudel, aus dem sich die Mannschaft nie mehr richtig befreien konnte, sodass am Ende der Wieder-Abstieg nicht mehr zu verhindern war (Letzter). Die Enttäuschung aus dem Mai 2024 hat die Borussia aber abgehakt und aktuell sieht sie sich selbst auch auf dem richtigen Weg: „Ich bin sehr zufrieden mit unserem Stand der Dinge mit 21:1 Punkten. Wir haben am ersten Spieltag gegen die sehr gute Mannschaft von Bonn II gespielt mit A-Jugendlichen, die letztes Jahr in der Bundesliga gespielt haben. Seitdem haben wir uns kontinuierlich gesteigert in der Abwehr und im Angriff, alles läuft rund und wir benutzen den ganzen Kader in der Breite. An den Ergebnissen sieht man, dass wir uns über mehrere Monate mit sehr viel Steigerung auf ein gutes Level im Moment bewegt haben.“ In Schwierigkeiten geriet der Tabellenführer, der im September noch gar keiner war, nach jenem 27:27 gegen den Dritten TSV Bonn rrh. II sowie direkt darauf in zwei Auswärtsspielen – 32:29 beim MTV Köln II, 21:20 beim 1. FC Köln. Anschließend gab es sieben zum Teil sehr deutliche Erfolge als klaren Hinweis darauf, dass die Mannschaft bereit ist für große Aufgaben.

Ähnliches könnten allerdings auch die Geistenbecker von sich behaupten, die ja überhaupt erst 2020 in der Oberliga auftauchten – weil sie damals nach 18 Spielen als Tabellenführer der Verbandsliga (Gruppe 2) in der coronabedingt im März abgebrochenen Serie 2019/2020 mit 34:2 Punkten nach oben befördert worden waren. Was der TVG in der Saison 2020/2021 zu leisten in der Lage gewesen wäre, wird immer ein Geheimnis bleiben, denn nach der sechsten Runde war im Oktober auf Rang zehn (4:8) schon wieder Schluss. Die Saison 2021/2022, das erste volle Jahr in der höheren Klasse, brachte anschließend immerhin den achten Platz (21:27) und mit dem Thema Abstieg hatten die Geistenbecker wenig zu tun. Auch 2022/2023 reichte der neunte Rang (22:30) letztlich, um drinzubleiben – obwohl sich die Mannschaft damals erst deutlich in Sicherheit befand und sich am Ende noch eine Serie von sieben Spielen ohne Sieg leistete (fünf Niederlagen, zwei Unentschieden), die das Konto aus dem Positiven (20:18) ins Negative beförderten. Im Nachhinein scheint es jedoch fast nur der Anlauf für 2023/2024 gewesen zu sein, denn jene Serie brachte über den vierten Platz bei 34:18 Zählern ein insgesamt überragendes Resultat. „Nach einer sehr guten vorherigen Saison haben wir in der neuen Oberliga nahtlos an unser Leistungsvermögen der letzten Saison angeknüpft“, sagt Laßeur, „wir stehen, glaube ich, nicht zu Unrecht da, wo wir stehen. Wir fühlen uns wohl in dieser Gruppe 1 der Oberliga, die spielerisch interessant ist, und wir haben viele knappe Duelle abwickeln müssen, weil das Leistungsniveau sehr hoch ist mit viel Tempo, und es fallen sehr viele Tore.“ Daran ist im Übrigen gerade der TV Geistenbeck nicht ganz unschuldig: Die bisher in elf Partien erzielten 386 Treffer bedeuten einen Durschnitt von 35,09 Toren pro Partie. Weder der Erste Mönchengladbach (353/32,09), der bisher an jedem Abend genau drei Tore weniger erzielt hat, und der Dritte Bonn (364/33,09), der zweimal weniger getroffen hat, kommen in diesem Punkt mit.

Dass die Gastgeber momentan auf Hochtouren produzieren, macht sie zusammen mit einer nahezu unbändigen Lust aufs Spiel zu einem Widersacher, der dem Tabellenführer gleichwertig begegnen könnte. Gleichzeitig hat Borussia-Trainer Rogawska sowieso einigen Respekt vor dem Projekt Geistenbeck: „Ich habe ja vor der Saison gesagt, dass Geistenbeck in meinen Augen oben mitspielen würde. Ich sehe, wie Thomas Laßeur seine Jungs mit einer sehr guten und vernünftigen Arbeit immer zusammenhält und jedes Jahr mehr und mehr drauflegt. Sie sind gut eingespielt und leben von ihrer Abwehr, wo sie immer mit viel Härte ihren Gegner bearbeiten. Das wird auch auf uns zukommen und da geht es drum, erst mal diesen Kampf anzunehmen. Timo Hüpperling, Nico Reinarz und Vincent Schimanski sind die treibenden Kräfte, vor allem Hüpperling und Reinarz machen sehr viele Tore.“ Obwohl sie das in Geistenbeck natürlich sehr gerne hören, sehen sie für sich eine klare Rolle. „Borussia ist sicherlich der Favorit“, betont Laßeur, „denn sie haben einen Kader, der von der Tiefe her besser ist als unserer. Sie haben viele regionalliga-erfahrene Leute dabei und kommen aus der Regionalliga und sie haben jetzt schon eindrucksvoll bewiesen, zu welchen Leistungen sie fähig sind.“

Laßeurs Idee für den Freitagabend: „Wir wollen alles in die Waagschale werfen, ein tolles Event bestreiten und als Gastgeber alles geben, um Borussia auf Augenhöhe begegnen zu können. Ob uns das gelingt, muss man sehen. Wir werden auf jeden Fall alles dafür tun. Die Vorfreunde bei uns in Geistenbeck ist sehr, sehr groß.“ Das mit der Freude unterschreibt Rogawska einerseits blind – und anderseits hält er viel davon, überlegt ans Werk zu gehen: „Wir müssen sehen, dass wir die Coolness und Ruhe bewahren, auch wenn es eng ist, und dass wir nicht zu viel wollen in diesem Derby, das hitzig sein wird. Nichtsdestotrotz ist es nur ein Spiel, dass unabhängig davon, wer gewinnt oder verliert, noch nicht entscheidet. Wir freuen uns erst mal, dass wir eine Situation Erster gegen Zweiter haben. Wir wollen mit Ehrgeiz und Spaß arbeiten und selbstverständlich etwas mitnehmen.“ Einfache Lösung, um herauszufinden, für wen das Jahr ein Happy End bereithält: Lasset das Spiel beginnen. Bis Freitagabend gegen 22 Uhr ist eine Stadt erst mal im Handball-Fieber.