16. Dezember 2024 | Zurück zur Artikelübersicht » |
Ich schrei vor Glück: Kreisläufer Paul Lipok (mit Ball) trug sich insgesamt vier Mal für seine Borussia in die Torschützenliste ein. Für den TV Geistenbeck konnten ihn Yanneck Wagenblast (links), Julian Krücken (Nummer 32) und Dominik Meißner (6) zumindest in dieser Szene nicht mehr stoppen. (Foto Markus Verwimp)
TV Geistenbeck – Borussia Mönchengladbach 27:28 (13:16). Es war mal wieder einer dieser seltenen und kostbaren Tage, die nur Gewinner produzieren. Und in Punkten ausgedrückt ging natürlich die Borussia aus diesem Derby als der ganz große Sieger hervor: Schließlich festigte die Mannschaft von Trainer Ronny Rogawska durch das Happy End im packenden Krimi ihre Führung in der Tabelle, die sie nun mit 21:1 Zählern aus elf Spielen ohne Niederlage mehr denn je als relativ klaren Aufstiegsfavoriten ausweist. Nur ein paar Millimeter dahinter kamen aber bereits die Geistenbecker, die als Zweiter mit 20:4 Punkten immer noch der Verfolger Nummer eins sind und sich am Ende des Gipfeltreffens wenig vorzuwerfen hatten – weil sie durch einen Auftritt voller Herz und Leidenschaft genauso viel zum außergewöhnlichen Abend beitrugen wie die Borussia. Und beide machten dann irgendwie gemeinsame Sache – für den Sport, für den Handball, der sich keine besseren Werbeträger hätte wünschen können. In diesem Punkt waren sich die Beteiligten hinterher auch einig und selbst die Gastgeber, nachvollziehbar vom nackten Ergebnis eher mäßig begeistert, stimmten zu. „Die beiden Gladbacher Teams haben sich einen absolut tollen Schlagabtausch geliefert“, stellte TVG-Trainer Thomas Laßeur fest, „das ist sehr, sehr bitter, dass man so ein Spiel mit einem Tor verliert, doch ich glaube, es war Handball zum Zungeschnalzen, es war ein sehr, sehr schönes Event und es war absolut Reklame für den Handballsport. Schade, dass man das nicht jede Woche erleben kann.“ Ebenfalls zur Atmosphäre rund um dieses Duell passte eine andere Einschätzung: „Glückwunsch nach Mönchengladbach, aber ich glaube, mit einem Punkt wären alle zufrieden gewesen. So hatte Borussia das glücklichere Ende, aber auch nicht unverdient.“ Sein Borussia-Kollege Ronny Rogawska zeigte sich ähnlich begeistert: „Es wurde alles geboten, was man sich wünschen kann bei so einem Lokalderby und bei einem Spiel Erster gegen Zweiter – letzter Spieltag vor Weihnachten, Emotionen, Spannung, taktische Sachen bei beiden Trainern.“
Die Halle Mülfort an der Realschulstraße 10 war für rund 500 Zuschauer und für diesen Abend zu einem Handball-Tempel geworden, der von der ersten Sekunde an brodelte. Dann erwischte die Borussia erst recht nach dem 1:0 (3.) von Niklas Berner den deutlich besseren Start, indem sie das 1:1 (3.) von Robin Geraedts für die Hausherren innerhalb von 169 Sekunden ins eigene 5:1 (6.) drehte und bis zum 7:2 (11.) derart dominierend auftrat, dass Geistenbeck direkt zu seiner ersten Auszeit gezwungen war. „Am Anfang habe ich probiert, Geistenbeck zu überraschen mit einem Sieben gegen Sechs, das hat auch gut geklappt“, fand Rogawska, „ich hatte das Gefühl, dass Geistenbeck erst mal überfordert war und das konnten wir bis zur Halbzeit eigentlich gut verwalten.“ Beim 10:11 (21.) hatte sich der TVG trotzdem wieder herangekämpft, ehe die Borussia übers 14:11 (25.) beim 16:13 (30.) mit einer Drei-Tore-Führung in die Pause ging. Laßeur sah sein Team zu diesem Zeitpunkt längst auf Augenhöhe unterwegs: „Die minus drei zur Halbzeit waren der Tatsache geschuldet, dass wir ein paar Chancen ausgelassen haben, aber wir waren voll im Spiel und haben an uns geglaubt. Dann haben wir erstmalig den Ausgleich gemacht und dann ging es die letzten 25 Minuten krimihaft zu.“ Tatsächlich entwickelte das Duell ab dem 17:17 (36.) noch einmal eine völlig andere Dynamik und ab jetzt schien sich die Waage kaum entscheiden zu können, auf welche Seite sie denn am liebsten kippen würde.
Leichte Vorteile lagen dabei immer auf der Seite des Tabellenführers, der die erfolgreichen Versuche der Hausherren regelmäßig ganz gut beantworten konnte – nach dem 19:19 (38.) etwa mit dem 21:19 (43.), nach dem 21:20 (44.) mit dem 23:20 (45.) und nach dem 23:23 (49.) mit 25:23 (52.). Was für die starke Moral der Geistenbecker sprach: Sie ließen keine Sekunden locker und suchten selbst nach dem 25:27 (57.) knapp dreieinhalb Minuten vor dem Ende weiter ihre Chance, die auch bald kam, weil Timo Hüpperling (57./Siebenmeter) und Alexander Meißner (58.) zum 27:27 ausglichen – und sich plötzlich sogar die Gelegenheit zur Führung bot. Thomas Laßeur hatte die Szene selbst mit etwas Abstand deutlich vor Augen: „Nach dem 27:27 konnten wir sogar in Führung gehen, aber Dominik Meißner ist nach einem Durchbruch am Torwart gescheitert .“ Jener Torwart war inzwischen Johannes Lyrmann, der in der 40. Minute den verletzt vom Feld gegangenen Matthias Hoffmann abgelöst hatte – und nicht nur in dieser Szene extrem wichtig für die Borussia war. „Er hat drei hundertprozentige Chancen gehalten und uns so den Rückhalt gegeben, den wir heute für den Sieg brauchten“, stellte sein Trainer Rogawska fest. Beim letztlich entscheidenden Treffer zeigte sich der Spitzenreiter wenig später konsequent: Nachdem Geistenbecks Julian Krücken eine Zeitstrafe kassiert hatte (59.), nutzte die Borussia den sich daraus ergebenden Freiraum schnell zum 28:27 (59.). Torschütze: Manuel Bremges – genau jener Rechtsaußen, der bis vor gut drei Jahren das Geistenbecker Trikot getragen hatte. Die folgenden letzten Auszeiten für beide Teams im Taktikduell in der letzten Minute erzielten anschließend keine große Wirkung mehr, auch jene der Hausherren genau 13 Sekunden vor der Schluss-Sirene nicht.
Den Geistenbeckern blieb später bei aller Enttäuschung über die knappe Niederlage der Stolz darauf, an einem denkwürdigen Handball-Abend beteiligt gewesen zu sein. „Die beiden Gladbacher Teams haben sich einen absolut tollen Schlagabtausch geliefert“, sagte Laßeur, „das Spiel war, wie aus unserer Sicht erhofft, auf Augenhöhe. Die Borussia hat in einer Überzahl-Situation den Deckel draufgemacht. Wir sind noch zweimal in Ballbesitz gekommen, aber es hat am Ende nicht sollen sein.“ Für Rogawska neben der Top-Leistung von Keeper Lyrmann ein weiterer wichtiger Faktor: „Wir haben hingekriegt, was unser Ziel war – wir haben Timo Hüpperling, den Torschützenkönig der Liga, gedoppelt und gedreifacht, damit er keine Feldtore macht. Bei Nico Reinarz, der bärenstark ist, war es die gleiche Geschichte.“ Hüpperling, mit insgesamt 116 Treffern die Nummer eins unter den Torjägern in der Gruppe 1 der Oberliga, konnte diesmal tatsächlich „nur“ sieben Siebenmeter verwandeln – was vor allem die wenig überraschende Einschätzung bestätigte, dass Borussia in der Breite über ein Plus verfügte: Bei ihr konnten sich auch zehn Spieler mit Toren beteiligen. Dass die Geistebecker dennoch eine Hand am ganz großen Wurf hatten, wertet auf der anderen Seite ihre Leistung genau deshalb noch auf. Es war eben mal wieder einer dieser seltenen und kostbaren Tage, die nur Gewinner produzieren.
TV Geistenbeck: Nordmann, Piel – Geraedts (4), D. Meißner (4), A. Meißner (6), Wagenblast (2), Genenger (1), Flock, Reinartz (3), Schimanski, Krücken, Lüttke, Schumacher, Hüpperling (7/7).
Borussia Mönchengladbach: Hoffmann, Lyrmann – Dicks (1), Prinz, Jennes (2), Weis (6/6), Bremges (2), Semrau (4), Weisz (2), Bremer (5), Stabospytskyi, Lipok (4), Markovic (1), Roth (1).