Regionalliga Nordrhein/Oberliga
Hoch, höher, am höchsten: HSG am Hallo ist bereit für die Regionalliga
Essener waren 2020 noch Bezirksligist und sind seitdem mit einem kontinuierlich verstärkten Kader vier Mal aufgestiegen. Eine Art "Königstransfer" ist nun Dennis Szczesny, der vom Zweitligisten TuSEM kommt.

Volle Fahrt voraus: HSG-Neuzugang Dennis Szczesny lebt und liebt den Handball. Davon können sich Essener Handball-Fans auch in Zukunft in der Halle am Hallo überzeugen – und Szczesny kennt dort jeden Winkel. Vor seinem Wechsel in die Regionalliga wird er eine halbe Ewigkeit für den TuSEM aktiv gewesen sein, der seine Spiele in derselben Halle austrägt. Dort folgen bis zum Saisonende noch drei Heimspiele – am 27 April gegen den Dessau-Roßlauer HV, am 18. Mai gegen die HSG Nordhorn-Lingen und am 1. Juni gegen den VfL Lübeck-Schwartau. (Foto: Herbert Mölleken)

Eins haben sie sowieso schon: Mindestens eine der schönsten Sportstätten am Niederrhein, die wahrscheinlich sogar die Nummer eins ist. Was mit der offiziellen Post-Adresse Ernestinenstraße 57 so sehr amtlich daherkommt, ist ja in Wirklichkeit die „Halle Am Hall0“ – vermutlich ein wenig besser bekannt als Ort, an dem der Zweitligist TuSEM Essen seine Meisterschaftspartien austrägt. Der wirkliche Hausherr dort ist aber jener 1983 gegründete Verein, der den Hallentitel in seinem Namen trägt: HSG am Hallo Essen. Und wenn das so weiterginge (was sie selbst für unmöglich halten), könnte der Klub aus dem Stadtteil Stoppenberg im Essener Norden über kurz oder lang sogar die Nummer eins im Ruhrgebiets-Handball angreifen. Der Höhenflug in den vergangenen Jahren ist jedenfalls abenteuerlich genug – und seit ein paar Wochen steht bereits fest, dass die aktuell von Peter Nauen trainierte Mannschaft in der Saison 2025/2026 in der Regionalliga antreten wird. Nach dem 36:24 am 23. März 2025 gegen den Vorletzten ASV Süchteln sind die Meisterschaft in der Gruppe 3 der neuen Oberligen und der damit verbundene Sprung in die nächsthöhere Klasse klar. Der Zweite HSV Dümpten (damals 33:11 Punkte), den die HSG (42:2) zwei Wochen vorher klar mit 36:26 bezwungen hat, kann den Spitzenreiter bei elf Zählern Vorsprung und nur vier übrigen Spieltagen nicht mehr abfangen. Der anhaltende Trend ist derart atemberaubend, dass sich die Dinge nun erst mal setzen sollen.

„Der ganze Verein und die Strukturen müssen wachsen“, sagt der Vorsitzende Alexander Gerke, den in Essen alle Alex nennen. Er ist der Motor hinter allen Erfolgen – als einer, der den Verein, für den er als Torhüter mehr als 20 Jahre gespielt hat und bei dem er mehr als 30 Jahre als Mitglied zu Hause ist, nahezu in- und auswendig kennt. Sie haben deshalb einen neuen Plan aufgestellt: Bis 2030 soll sich der Klub unter den besten sechs in der Regionalliga etabliert haben. Ein Blick aufs zur Verfügung stehende Personal wird weiter unten jedoch zeigen, dass sich die Konkurrenz lieber sofort auf einen richtig starken Gegner einstellen sollte. Prognose: Die HSG am Hallo Essen wird für viele von Anfang an eine harte Nuss sein und für den einen oder anderen vielleicht ein unlösbares Rätsel. Weniger rätselhaft ist für die Verantwortlichen allerdings das Wissen darum, dass ein Top-Team bei den Männern noch keinen großen Verein ausmacht – was auch einer der Gründe für seinen Einstieg als Fuktionär gewesen sei, erklärt Gerke: „Ich wollte etwas zurückgeben. Die Jugendarbeit war fast tot.“ Frauen-Handball, Rohlstuhl-Handball (vor drei Jahren ins Leben gerufen) und den Nachwuchs-Bereich bezeichnet der Vorsitzende als genauso wichtig, weil erst alles zusammen ein stimmiges Bild ergebe. Klar aber: Bis aus den eigenen Reihen der eine oder andere Jugendspieler den Sprung in die Regionalliga-Mannschaft schaffen kann, braucht es viel Geduld und Arbeit.

Vor etwas mehr als fünf Jahren gewinnen die Essener am 8. März 2020 in der Bezirksliga mit 41:15 bei der SG TuRa Altendorf II, verbessern ihr Konto auf makellose 32:0 Punkte – und landen kurz darauf wie alle Vereine im sportlichen Aus: Ab jetzt herrscht zunächst die Corona-Pandemie und die Saison 2019/2020 wird abgebrochen. Der Verband verzichtet dann zwar auf Absteiger, vergibt aber den Aufstieg in die Landesliga – logischerweise an die HSG. Anschließend dauert der Neustart genau sechs Wochen und nach dem 23:20 am 10. Oktober 2020 steht zwar das Konto bei 12:0 Zähler, aber direkt darauf wieder alles still: Die Serie 2020/2021 hat dadurch insgesamt praktisch nie stattgefunden – und ein knappes Jahr darauf geht das Ganze 2021/2022 von vorne los. Die HSG am Hallo scheint dabei erst mal einen etwas längeren Anlauf zu nehmen, denn sie begnügt sich fast mit 32:20 Punkten und dem vierten Platz – was der Vorbote für 2022/2023 ist. Hier steht als finaler Einsatz in der Gruppe 4 der Landesliga das 39:28 über den SV Wersten 04 vom 14. Mai 2023 in der Statistik der HSG, die als Meister mit 49:3 Punkten über die Ziellinie kommt und damit den Sprung in die Verbandsliga schafft. Dort hält sich Essen wiederum nur eine Saison auf und sie belegt in der Gruppe 2 am Ende der Saison 2023/2024 mit 45:7 Punkten hinter dem Ersten Bergische Panther II (48:4) den zweiten Platz. Ein 35:26 vom 4. Mai 2024 bei der MTG Horst Essen ist hier die bislang letzte Verbandsliga-Marke der HSG: Weil es künftig im neuen Verband Handball Nordrhein drei Oberligen gibt und deshalb zusätzliche Aufsteiger „gebraucht“ werden, bringt diesmal die Vizemeisterschaft einen weiteren Sprung nach oben. Mit an Bord sind inzwischen längst erfahrene Kräfte wie Simon Ciupinski, Damian Janus oder Torhüter Mathis Stecken, die allesamt schon in 2. Bundesliga und 3. Liga unterwegs waren (HSG Krefeld Niederrhein, SG Ratingen, Leichlinger TV). Auch Linkshänder Cedric Linden, der im Sommer 2024 kommt, hat in seiner Zeit beim TV Aldekerk bereits in der 3. Liga gespielt. Als eine Art „Alterspräsident“ gilt ab jetzt Marijan Basic, der früher unter anderem das Trikot des TSV Bayer Dormagen und des TuS Ferndorf in der 2. Bundesliga trug.

Ansprache: Peter Nauen, Lehrer aus Mönchengladbach, war vor seinem Engagement in Essen als Co-Trainer der HG Remscheid und beim TV Anrath tätig. (Foto: Bianca Fleuth)

Was sich 2024/2025 früh abzeichnet: Auch diesmal wird die HSG am Hallo Essen eine Rolle bei der Vergabe der Meisterschaft haben. Und es wird ein Duell mit dem HSV Dümpten geben – dem Mitaufsteiger, der sich in der Gruppe 1 der Oberliga bei 46:2 Punkten mit einem großen Vorsprung auf den Zweiten HSG VeRuKa (36:12) den Titel gesichert und überragende 872:623 Tore (plus 249) in der Bilanz stehen hat. Einer der großen Pluspunkte: Sie kommt mit Matthis Blum nach oben, der in der Gruppe 1 der Verbandsliga mit 182 Treffern in 22 Partien (8,27 pro Partie) der überragende Werfer war. Dann kommt es am 3. November 2024 in Dümpten zu einem echten Gipfeltreffen, weil beide Klubs mit jeweils 12:0 Punkten gestartet sind – und die HSG gibt mit ihrem 32:29, den selbst Blums 14 Tore nicht verhindern können, einen ersten Hinweis darauf, wer am Ende vielleicht die Nase vorne hat. Rund vier Monate später stehen sich die HSG, die am 25. Januar 2025 mit dem 27:28 beim Dritten HSV Überruhr ausnahmsweise mal eine Niederlage kassiert hat, und der HSV erneut gegenüber. Und weil Essen an diesem 8. März nach einer Demonstration der Stärke sogar mit 36:26 die Oberhand behält, steht der Meister bereits so gut wie sicher fest und nach jenem 36:24 gegen Süchteln sogar zu hundert Prozent. Das Team mit den beiden Kapitänen Stecken und Damian Janus ist am vorläufigen Ziel der Träume – was neben der Platte nachvollziehbar auch den Vorsitzenden Alexander Gerke und den Sportlichen Leiter Felix Linden begeistert. Den einst bei der HSG Krefeld Niederrhein in der 2. Bundesliga und in der 3. Liga tätigen A-Lizenz-Trainer, nach dessen Aussage ja „Handball wie Schach“ ist, kennt sich natürlich in der Szene bestens aus und kann entsprechende Ideen mit entwickeln.

Beide wehren sich gemeinsam gegen die Vermutung, dass sie neue Leute über eine mehr oder weniger großzügige Einkaufstour zur HSG am Hallo locken. „Wir schauen auf die Charaktere“, sagt Linden, „bei uns bekommt keiner übermäßig Geld, bei uns gibt es keine Mondsummen.“ Soll sogar heißen: Anderswo selbst in der nun erreichten Regionalliga seien die Zuwendungen an Spieler höher. Beide wehren sich zudem gegen die Vermutung, durch die Bank erfahrene Kräfte auf der Zielgeraden ihrer Karriere nach Essen zu lotsen – was der Kader für 2025/2026 tatsächlich in drei Fällen widerlegt: Aus der Bundesliga-A-Jugend des TuSEM Essen stoßen in Tim Schuppe, Jari Reissing und Jeremy Lange drei talentierte Außen zum Kader – die sich im Team des Regionalliga-Aufsteigers einen Namen machen können und gleichzeitig mit dafür sorgen sollen, dass die Struktur im Kader mit einer Mischung aus Routine und Nachwuchskräften in der Waage bleibt. An dieser Stelle passt einer der Neuen im Übrigen beinahe in gar kein Schema, denn er hat schon eine Menge erreicht als Handballer, ist doch erst 21 Jahre alt und mit einer fest eingebauten Tor-Garantie versehen: Eben jener Matthis Blum, zurzeit noch beim Meisterschafts-Konkurrenten HSV Dümpten, wird 2025/2026 für die Essener auflaufen. Blums Bilanz vor der Pause über Ostern nach 23 Einsätzen: 216 Tore in 23 Spielen (Durchschnitt 9,39). Vor seiner Zeit bei den Rhein-Neckar Löwen, mit denen er Deutscher Meister der A-Jugend wurde, war er beim TSV Bayer Dormagen aktiv und vor seinem Wechsel ins Ruhrgebiet für den Zweitligisten VfL Lübeck-Schwartau – den er im Sommer 2023 wieder verließ, um den Schwerpunkt aufs Studium zu legen.

Etwas mehr handballerische Erfahrung bringt Dean Christmann (27) mit, der zuletzt zwischen den Pfosten des Regionalligisten MTV Rheinwacht Dinslaken stand und einst das Tor des TuSEM Essen in der 2. Bundesliga hütete. TuSEM ist dann zum Schluss noch einmal ein gutes Stichwort, denn von dort kommt ein Spieler, der wohl das Prädikat „Königstransfer“ verdient: Dennis Szczesny (31) ist seit 2014 eine der Seelen des Esseners Spiels und in der jetzt zu Ende gehenden Saison nicht nur Abwehrchef, sondern auch Kapitän der Mannschaft, mit der er 2020/2021 und 2021/2022 einen Ausflug in die 1. Bundesliga unternehmen konnte. Wie Dennis, der in Dinslaken geboren und aufgewachsen ist, zur HSG am Hallo fand? Erstens: Er wollte seine Karriere als Handballer auf Profiebene beenden. Zweitens: Dennis Szczesny und HSG-Kreisläufer Christoph Enders sind beste Freunde, sodass der Draht zwischen Spieler und Verein kurz und der Kontakt schnell hergestellt war. In der Summe aller Einzelteile müssten die Essener nun in der nächsten Saison angesichts ihrer personellen Ausstattung schon eine Menge falsch machen, um nicht zumindest den sicheren Klassenerhalt zu schaffen. Dass es die eine oder andere Niederlage mehr geben wird als zuletzt, mag trotzdem sein. Und Geschenke wird die neue Konkurrenz vermutlich auch nicht verteilen wollen.