19. Mai 2025 | Zurück zur Artikelübersicht » |
Vorne der Pott, hinten die Fans: Nachher gabs beim Allstar Game erst recht nichts Trennendes mehr. (Foto: Thomas Schmidt)
Es ist der Tag danach. Wir haben noch aufzuräumen, Dinge zu sortieren und einzupacken. Das hört sich nicht nur nach Arbeit an, das ist Arbeit. Und wir wollen das zu einem guten Abschluss bringen, was wir seit dem Sommer des vergangenen Jahres mit viel Leidenschaft und Einsatz vorbereitet haben. Dafür gönnen wir uns selbst einen Stimmungsbooster. Wir gehen in der Solinger Klingenhalle noch einmal runter aufs Spielfeld. Da suchen wir uns einen Platz im Mittelkreis und wir schließen die Augen. Es geht ein paar Stunden zurück, es ist plötzlich wieder Samstag, der 17. Mai 2025. Wir sehen die Menschen auf den Tribünen, wir hören viel Begeisterung, um uns herum herrscht eine großartige Stimmung, die für Gänsehaut sorgt. Team Mittelrhein und Team Niederrhein scheinen sich dabei nicht groß an uns zu stören. Sie machen einfach weiter, sie liefern uns und den Fans eine unglaubliche Partie. So hätten wir es uns fürs Allstar Game höchstens mit viel Fantasie ausmalen können, aber es ist Wirklichkeit geworden: Was beide Mannschaften vor 1000 Zuschauern auf die Platte legen, kann so vermutlich nur dieser Sport. Es ist die pure Freude am Handball, es ist spektakulär, es ist atemberaubend. Danke dafür, dass wir dabei sein durften, wie sich zwei Mannschaften über 60 Minuten beharken, ohne die Grenze des Erlaubten nachhaltig zu überschreiten. Danke für dieses Spektakel-Finale, das sich kein Krimi-Autor besser hätte ausdenken können. In reinen Zahlen steht zunächst ein 32:32 auf der Anzeigetafel. Es folgt ein Siebenmeter-Werfen, das bereits nach dem dritten Versuch (von fünf) entschieden ist. Team Niederrhein, das alle „Strafwürfe“ verwandelt hat, kann sich insgesamt für ein 35:32 feiern lassen, weil Team Mittelrhein keinen einzigen Siebenmeter unterbringt. Damit haben sie nach den allgemein verbindlichen Regeln dieses Spiel verloren und trotzdem stehen sie eindeutig auf der Gewinnerseite – wie alle, die sich diesen Abend nicht haben entgehen lassen.
Sie können das auch! Vor dem Allstar Game sorgte ein Spiel zwischen dem Team Max Camp und dem Nachwuchs des MTV Köln für Einblicke in den Inklusionssport. Es war ein besonderes Erlebnis. (Foto: Thomas Schmidt)
Vor unserem Auge läuft erneut der Spielfilm ab. Und wir wissen ja zum Glück schon, wie das aussehen wird – auf jeden Fall maximal ungewöhnlich. Gut drei Minuten dauert es, bis Malte Meinhardt (HC Gelpe/Strombach) das 1:0 erzielt und Lennart Niehaus (Longericher SC) per Tempogegenstoß schnell das 2:0 folgen lässt. Team Mittelrhein mit den Trainern Olaf Mast und Frederic Rudloff sprüht vor Spielfreude, versucht auch Kempa-Tricks einzustreuen – die knapp scheitern. Der Niederrhein nimmt mit Thomas Molsner (OSC Rheinhausen) und Patrick Losco (Meerbuscher HV) an der Seitenlinie beim Stande von 7:9 (18.) eine Auszeit, doch bis zum 13:15 (30.) am Ende der ersten Halbzeit bleibt es beim Rückstand, ehe der Start in den zweiten Durchgang bereits für die Entscheidung zu sorgen scheint: Der Mittelrhein legt eine 4:0-Serie zum 19:13 (37.) auf die Platte und die Angelegenheit ist damit fast durch. Und noch beim 24:20 (44.) sieht alles nach Klarheit aus. Was das letzte Viertel der Partie zeigt? Der Irrtum hätte kaum größer sein können. Der Mittelrhein wechselt weiter durch, der Niederrhein lässt sich nicht mehr abschütteln – auch nicht beim 27:30 (52.). Beim 31:31 (57.) beantragt der Niederrhein (ist in diesem Fall die Heim-Mannschaft) eine Auszeit und entwickelt dort die Idee fürs Finale – das mit dem 32:31 (59.) per Gegenstoß nach einem Fehlpass des „Gegners“ die erste Niederrhein-Führung in diesem Spiel bringt. Anschließend rettet Nils Schouren (TV Palmersheim) den lange so sicher führenden Mittelrhein durchs 32:32 (59.) ins Siebenmeterwerfen.
Der eigene Fanclub: Jan Lange vom MTV Jahn Köln-Wahn war bestens ausgestattet. (Foto: Thomas Schmidt)
Kein Wunder: Der Linkshänder gewinnt am Ende auch die Wahl zum Spieler des Spiels – verdient, weil er in Sachen Effektivität und mit insgesamt sieben Treffern erfolgreicher ist als alle anderen. Dass im Übrigen freut besonders die rote Wand der Palmersheimer Anhänger, die ihren Teil der Tribüne (und mehr) längst in eine große Partymeile verwandelt haben. Die Ursache dafür, dass der Mittelrhein kurz darauf tatsächlich noch verliert, trägt einen anderen Namen: Das Siebenmeter-Werfen wird die ganz große Show für Torhüter Marcel Johann – was passender nicht sein könnte. Der in Leverkusen geborene Wahl-Solinger, der eine Vergangenheit beim Bergischen HC hat und zuletzt mit dem Ohligser TV als Siebter in der Oberliga über die Ziellinie der Saison 2024/2025 kam, steht wie eine Wand zwischen den Pfosten. Er hat wohl beschlossen, den Kasten einfach komplett zu vernageln. Die Zeremonie beginnt mit dem Versuch von Sven Xhonneux (HC Weiden), der an Johann scheitert, bevor Yannik Nitzschmann (TB Wülfath) für den Niederrhein das 1:0 erzielt. Als Zweiter für den Mittelrhein probiert es Oliver Dasburg (TuS 82 Opladen), doch er scheitert ebenfalls an Johann. Anschließend besorgt Thomas Plhak (TV Aldekerk) das 2:0 und es folgt der Schluss-Akkord: Auch Noah Wudtke (BTB Aachen) kommt nicht an Marcel Johann vorbei. Jetzt dauert es vielleicht nur noch Sekunden. Und weil Cedric Linden (HSG Am Hallo Essen) trifft, versetzt er den ganzen Niederrhein (fast den ganzen jedenfalls) mit dem 3:0 in Euphorie. Das 35:32 in der Addition ist der fast irrwitzige Endpunkt einer wilden Achterbahnfahrt.
Wie immer sehr aktiv: Die „Räuberbande“ des TV Palmersheim war nicht zu überhören – sehr stark. (Foto: Thomas Schmidt)
Andere Dinge haben uns nicht weniger beeindruckt. Gerd Kamp hat seinen Sohn Julian mitgebracht und erzählt, wie es dem heute 28-Jährigen geht, der am 25. Juni 2021 in einem Qualifikationsspiel seines OSC Rheinhausen für den Aufstieg aus der Regionalliga in die 3. Liga komplett aus seinem bisherigen Leben gerissen wurde. Julian erleidet eine Hirnblutung und kämpft seitdem einen besonderen Kampf, bei dem ihn seine Familie und Freunde mit Hingabe unterstützen. Weil Standard-Behandlungen nicht ausreichen, ist das ein teurer Weg, den wir gerne mit einem Zuschuss begleiten: Dass wir den Betrag auf 1068 Euro „aufrunden“, hat mit Julians Trikotnummer zu tun, in der er auch diesmal in die Halle gekommen ist. Klar: Julians Schicksal geht vielen in Rheinhausen besonders nahe – besonders dem Vorsitzenden Klaus Stephan und Trainer Thomas Molsner, der für uns im Übrigen seinen Abschied in den handballerischen Ruhestand extra um zwei Wochen nach hinten geschoben hat. Seine Frage nach dem Spiel beantwortet sich dabei beinahe von selbst: „Es ist vorbei. Aber kann es einen besseren Abschied geben?“ Nein, kann es natürlich nicht. Und es hindert ihn ja keiner daran, hin und wieder auf den Trainerstuhl zurückzukehren – so, wie es Olaf Mast auf der anderen Seite für uns getan hat. Der einstige Bundesliga- und Champions-League-Spieler beim großen THW Kiel ist seit seinem offiziellen Ausstieg aus dem Geschäft „arbeitslos“. Beide sind 57 (wobei Olaf ab dem 20. Mai die „Trikotnummer“ 58 tragen wird) und beide haben dem Handball noch viel zu geben. Unser Wunsch: Bleibt dabei. Irgendwie und irgendwann.
Jaaaaa! Torhüter Marcel Johann (vorne) war fürs Team Niederrhein der Mann des Abends. (Foto: Thomas Schmidt)
Dieses Irgendwann holt uns plötzlich doch ein. Wie lange haben wir hier gestanden? Vermutlich war es gar nicht so lange. Wir haben in dieser Zeit einen wirklich starken Film gesehen – mit unfassbar guten Hauptdarstellern, mit einem tollen Inhalt, mit einem megacoolen Ende (was sie sicher am Mittelrhein so unterschreiben). Das nehmen wir mit aus diesem Allstar Game und das werden wir nie vergessen. Was wir jetzt aktuell mitnehmen? Es hat weniger mit Gefühlen und Gänsehaut zu tun, es ist die ziemlich unromantische Wahrheit am Tag danach. In einer Ecke stehen noch Kisten mit Trinkbechern, die wir aufbewahren wollen. Dort sehen wir noch leere Getränkekästen, die wir zum Abtransport auf eine Palette laden müssen. Hier stehen noch etwas Altpapier und ein wenig Müll herum. Es ist eben der Tag danach. Wir haben aufzuräumen, Dinge zu sortieren und einzupacken. Das hört sich nicht nur nach Arbeit an, das ist Arbeit. Danke an alle, die uns geholfen haben, das alles zu bewältigen.