Regionalliga Nordrhein
Der Umbruch: Aldekerk will sich neu erfinden
TVA hat nach Abstieg viel Erfahrung verloren und unter anderem Kapitän Jonas Mumme. "Wir müssen nicht auf Biegen und Brechen zurück in die 3. Liga", sagt Trainer Tim Gentges.

Vorsprecher: Trainer Tim Gentges sieht im Aldekerker Abstieg unter dem Strich keinen Rückschritt, sondern eher als Startpunkt für einen Weg zu neuen Ufern. (Foto: Sven Frank)

Es war eine wilde Fahrt in den vergangenen drei Jahren. Und es begann damals in der Regionalliga Nordrhein – am 5. April 2022 mit dem 36:32-Sieg beim Titelkonkurrenten Interaktiv.Handball, der eigentlich die besseren Karten im Kampf um die Meisterschaft zu haben schien. Sechs fast irrwitzige Wochen später gabs am 19. Mai erneut ein Treffen mit den Ratingern, das Aldekerk mit Nils Wallrath als Trainer und Tim Gentges als Regisseur/verlängertem Arm auf der Platte ebenfalls gewann und durch das 36:34 im Finale der Saison 2022/2023 den Sprung in die 3. Liga unter Dach und Fach brachte. Das Abenteuer dort begann wie im Traum für den TVA, der nach drei Spieltagen makellose 6:0 Punkte vorweisen konnte, nach sieben Runden bei 12:2 Zählern stand und am Ende der Hinrunde trotz einer Serie von sechs Partien ohne weiteren Erfolg auf ausgeglichene 13:13 Zähler blicken konnte. Spätestens nach dem 32:26 vom 21. Januar 2023 beim VfL Gladbeck stand anschließend bei 21:15 Punkten bereits ein dicker Haken hinter dem Thema Klassenerhalt, der schließlich mit Rang acht und 25:27 Punkten nicht mal ansatzweise in Gefahr war. Dass dabei keins der letzten sechs Spiele einen weiteren Sieg brachte, deutete vor allem eins an: Der TVA verfügte schon seinerzeit über eine hohe Leidensfähigkeit – die er in den beiden folgenden Jahren nach dem Umzug aus der Gruppe West in der Gruppe Süd-West auch sehr gut gebrauchen konnte. Eine Startserie von vier Niederlagen hintereinander und eine weitere von fünf Pleiten in Folge kurz darauf sorgten 2023/2024 dafür, dass Aldekerk von Beginn an intensiv gegen den Abstieg zu kämpfen hatte, und es war letztlich der April 2024, der die Basis zum späteren Klassenerhalt brachte – 36:30 gegen die HSG Nieder-Roden, 34:27 bei der TSG Haßloch, 29:26 gegen den TuS 82 Opladen. In der Summe lag Aldekerk, dem in Rückraumspieler David Hansen wegen einer Verletzung (Rippen) eine sportliche Lebensversicherung lange fehlte, später auf dem soeben rettenden Rang 13 mit 20:40 Punkten knapp vor dem TV Homburg (19:41). Hingabe und Leidenschaft reichten diesmal noch zum Klassenerhalt – aber ein Jahr später mit einer sich verändernden Mannschaft nicht mehr.

Ob es anders gekommen wäre, wenn Tim Gentges nicht schnell den Entschluss gefasst hätte, sich endgültig selbst als „Teilzeit-Arbeiter“ weitgehend vom aktiven Mitmachen zu verabschieden und lieber die Mannschaft gemeinsam mit Nils Wallrath als Trainerteam zu führen, wird Spekulation bleiben und sich nie schlüssig beantworten lassen. Sein Überblick und sein Auge für die Situation fehlten allerdings fortan an allen Ecken und Enden, zumal ja inzwischen in Julian Mumme (zum Bevo HC in die Niederlande) einer der zentralsten möglichen Schlüsselfiguren im Rückraum sowieso nicht mehr an Bord war. Ebenfalls ein massives Handicap: Wegen einer Schulterverletzung musste David Hansen erneut lange passen, sodass sich Aldekerk aus der Not heraus mitten in der Saison sogar zu einer Nach-Verpflichtung gezwangen sah und Ante Simic (vorher Bergische Panther) für ein paar Monate in die Vogteihalle holte. In der Summe verhinderte allerdings keine der Maßnahmen, dass der TVA beständig in größter Not steckte und letztlich – dann nicht mehr überraschend – den Sprung ans rettende Ufer verpasste. Weder das dramatische 32:31 über die Bergischen Panther am 14. Februar 2025 noch das 30:27 über Schlusslicht VTV Mundenheim am 8. März oder das 31:28 am 11. April beim TV Korschenbroich konnte das Blatt entscheidend wenden. Unter dem Strich belegte Aldekerk mit 8:22 Punkten in der Heimbilanz den drittletzten Platz und in der Auswärts-Tabelle mit 6:24 Punkten den 13. Rang. Auch die 814 selbst erzielten Treffer (drittschlechtester Wert) und die 972 Gegentore (zweitschlechtester) sowie die 6:24 Zähler aus der Hinrunde in Kombination mit jenen 8:22 aus der Rückrunde (insgesamt damit 14:46) waren für eine Position über dem Strich einfach zu wenig. Was der TV Aldekerk jetzt von manchen unterscheidet: Eine tiefere Depression ist nicht ausgebrochen. Ob der Abstieg aus der Regionalliga Nordrhein vielleicht eher neue Kräfte freisetzt, ist jedoch wieder eine ganz andere Frage. Der Verein hat sich immerhin für eine klare Ausrichtung entschieden.

Ein letztes Mal: Jonas Mumme, der sein Team so oft aufs Feld geführt hat, wird dem TV Aldekerk sicher sehr fehlen. (Foto: Carsten Wulf)

Tim Gentges, der sein Bleiben in Aldekerk weit vor der Entscheidung im Abstiegskampf der 3. Liga zugesagt hatte, hat dabei keinen Millimeter an Hingabe für sein Amt verloren. Fast scheint das Gegenteil der Fall zu sein: Dem personellen Umbau/Neuaufbau fiebert er irgendwie entgegen. „Wir haben einen Umbruch, wie es ihn in Aldekerk seit zehn oder zwölf Jahren nicht gegeben hat“, sagt der 38-Jährige, in dessen Team inzwischen ein hohes Maß an Erfahrung fehlt. Der für alle schmerzlichste Verlust ist dabei das Karriereende von Jonas Mumme (31), der in der Vogteihalle weit mehr war als nur Kreisläufer: Der Kapitän galt seit einer halben Ewigkeit als Identifikationsfigur, als Vorbild, als Bindeglied zwischen Verein, Team und Trainer. Schmerzhaft für den Verein sind zudem die Abgänge von David Hansen (34/Karriere-Ende) und Lukas Ellwanger (33/zur HSG am Hallo Essen in die Regionalliga), während das Engagement von Ante Simic (27/jetzt beim UHC Hollabrunn in Österreich) immer auf das Ende der abgelaufenen Saison 2024/2025 befristet war. Neu im Kader sind unter anderem Kreisläufer Oliver Perey (24) vom Drittligisten SG Schalksmühler Halver-Dragons und Linkshänder Niels Poot (29), der vom Bevo HC aus den Niederlanden kommt. Ein Schwerpunkt in den Planungen: Aldekerk will noch mehr als zuletzt auf Talente aus den eigenen Reihen setzen – also auf junge Leute wie Rückraumspieler Tim Könnes oder Torhüter Nick Buchmüller, die jeweils aus der A-Jugend des ATV den Sprung in die erste Mannschaft geschafft haben und die Chance bekommen, sich mit dem Blick auf die nächsten Jahre Stück für Stück zu entwickeln. Sie sollen zum Beispiel das bringen, was manche als „frischen Wind“ bezeichnen.

Ganz ohne eine unverzichtbare Portion Routine müssen sie in Aldekerk allerdings auch nicht leben. Besonders weit vorne in Sachen Erfahrung: Rechtsaußen Thomas Plhak, der mit seinen 35 Jahren der deutliche „Teamsenior“ ist und den Altersschnitt ein Stück weit anhebt. Die Nummer zwei dahinter geht an Linkshänder Fabian Küsters (31), der ein paar Monate älter ist als Keeper Paul Keutmann (30). Weitere Spieler, die durchaus schon länger im „Geschäft“ dabei sind: Neuzugang Poot und Spielmacher Roman Grützner (28), der seit der A-Jugend beim TVA spielt. Sie alle werden führende Aufgaben übernehmen (müssen) im Versuch, eine neue und für die Regionalliga in allen Belangen wettbewerbs-/konkurrenzfähige Mannschaft zu bauen. Einen Teil der Vorbereitung haben Mannschaft und Trainer dabei bereits hinter sich – und genau jetzt trennen sich die Wege für 14 Tage: Die Spieler betätigen sich vier Mal pro Woche intensiv bei handball-spezifischen Übungen in einem örtlichen Fitness-Studio und sie werden anschließend die Vorbereitung in der Halle fortsetzen. Dann wird auch Tim Gentges zurück an Bord sein, der sich zurzeit im Urlaub befindet, auf Hawaii tatsächlich mal vom Handball abschalten will und seiner Mannschaft im Übrigen zutraut, dass sie das zu erledigende Programm (findet ohnehin unter fachkundiger Anleitung statt) seriös bearbeitet.

Dass die versammelte Konkurrenz kaum besonders intensiv dabei helfen wird, den Neu-Aufbau in Ruhe zu gestalten, ist den Aldekerkern bewusst. „Diese Regionalliga ist attraktiv“, findet Tim Gentges, der den eigenen Standort zusammen mit dem Team erst herausarbeiten muss: „So richtig kann ich das noch nicht abschätzen. Ich traue den Jungs aber eine Menge zu.“ Eine konkrete Zielvorgabe für die Tabelle gibt es vorerst nicht, wohl aber die Idee, „80 bis 90 Prozent der Heimspiele zu gewinnen“. Darüber hinaus wäre es ganz gut, sich hinten um die 25 bis 26 Gegentore zu bewegen und vorne etwa 28 bis 32 Treffern selbst zu erzielen. Was daraus folgt: Falls denn alles so eintrifft, würde der TVA vermutlich kräftig im Kampf um die Meisterschaft mitmischen – was allerdings so in den Gedankenspielen der Verantwortlichen nicht vorkommt: „Wir müssen nicht auf Biegen und Brechen zurück in die 3. Liga.“ Wichtiger ist – nicht nur für den TVA-Trainer – die Entwicklung für die nächsten Jahre, immer verbunden mit Fortschritten in die entsprechende Richtung. Wie Potenzial und Leistungsvermögen der meuen Aldekerker einzuordnen sind, steht im Übrigen vielleicht schon früh in der neuen Serie fest: Los geht es am 20. September mit dem Heimspiel gegen den VfL Gummersbach II, den Absteiger aus der Gruppe Nord-West in der 3. Liga. Es folgen zwei Duelle mit Aufsteigern aus der Oberliga – am 27. September bei der HSG am Hallo Essen und am 4. Oktober gegen Borussia Mönchengladbach. Sicher ist vor allem, dass es weder hier noch am 12. Oktober bei der HSG Refrath/Hand (Neunter in der vergangenen Saison) oder später etwas geschenkt gibt. Für die wilde Fahrt dürften diesmal eher andere in Frage kommen.