Harz beiseite
Marcus Johnen: Der Schiri, der auch Paare traut
Der Wegberger ist ein Organisations-Talent zwischen Familie, Pädagogik, Politik und Sport - in dem er viel gelernt hat.

Die „Predigt“ davor: Marcus Johnen (in der Mitte rechts) und sein Kollege Carsten Müller (links daneben) erklären vor einer Drittliga-Partie den Spielern des TuS Spenge (links) und des Longericher SC, wie sie sich den Lauf der Dinge vorstellen. (Foto: Thomas Schmidt)

Er ist die reine Gelassenheit und von Hektik weit und breit nichts zu spüren. Marcus Johnen nimmt sich Zeit für ein Gespräch über alles Mögliche – über Gott und die Welt und natürlich nicht zuletzt über den Handball. Das verwundert kaum, denn der 41-Jährige hat früher selbst gespielt und anschließend seine Leidenschaft fürs Pfeifen vorangetrieben. Johnen gehört an der Seite von Carsten Müller dem Drittliga-Kader des DHB an. Auch für die kommende Saison. Bis hierhin sieht alles halbwegs normal aus. Die Wirklichkeit? Ganz, ganz anders. Marcus Johnen muss mindestens als Mega-Organisationstalent gelten, weil er Aufgaben für 36 oder mehr Stunden in einem Tag mit 24 Stunden unterzubringen vermag. Stress? Blendet er aus oder baut ihn beim Laufen ab – und beim Handball. Seine Familie: Frau und vier Kinder. Seine berufliche Position: Aktuell Leiter einer Grundschule. Ein Ehrenamt: Prädikant im Dienst der Evangelischen Kirche. Ein Ziel: Bürgermeister. Johnen tritt am 13. September bei den Kommunalwahlen als Kandidat der Christdemokraten fürs Amt des ersten Mannes in Wegberg an. „Das ist eine Riesenherausforderung“, sagt sogar Johnen zum Gesamtpaket. Es klingt allerdings weniger beunruhigt, sondern mehr wie selbstverständlich. Sein Antrieb: „Ich muss immer was machen.“

Er hat das Wort: Als Prädikant war es für Marcus Johnen im wahrsten Sinne des Wortes eine Ehre, die kirchliche Trauung seiner Schiedsrichter-Kollegin Kimberly Seemann mit Nils Wegener vorzunehmen. (Foto: MJ)

Der Handball hat ihm auf seinem bisherigen Weg eine Menge mitgegeben. „Du brauchst Präsenz und Durchsetzungsvermögen“, findet Johnen, „du musst in der Lage sein, fünf mal gerade sein zu lassen. Wenn dir in einer Halle wie Wilhelmshaven 1000 Zuschauer die Hölle heißmachen, darfst du nicht beeindruckt sein.“ Damit keine Missverständnisse entstehen: Marcus Johnen hat weder etwas gegen die Spieler und Fans des WHV noch gegen die kaum weniger leidenschaftlichen in manchen NRW-Hallen. Johnen und Spannmann Müller nehmen für sich auch nicht in Anspruch, alles richtig zu machen – im Gegenteil: „Wir wollen zwar nicht aufsteigen, aber es gibt viele Schwächen, an denen wir noch arbeiten müssen.“ Deshalb machen beide wie selbstverständlich die entsprechenden Lehrgänge (digital/Video) zur Vorbereitung auf 2020/2021 mit.

Warum der Sport im randvollen Terminkalender von Marcus Johnen immer einen Platz gefunden hat/findet, lässt sich vor allem mit Entspannung erklären: „Vor einem Spiel bin ich gezwungen, mich voll auf den Handball zu konzentrieren.“  Bei diesen Gelegenheiten blendet er alles andere aus, dann ist er weder Familienvater noch Lehrer oder Seelsorger, sondern einfach Schiedsrichter. Mit den Jahren hat er verinnerlicht, dass eine vernünftige Kommunikation mit allen Beteiligten am Ende einfach mehr bringt – ohne dass er sich als Unparteiischer die Butter vom Brot nehmen ließe. Die Ohren stellt er trotzdem selbst bei relativ heftigen Beschwerden bisweilen auf Durchzug, um den „Sündern“ praktisch eine zweite Chance zu geben und dem Handball nicht die Emotionen zu rauben. Das passt vor allem dann, wenn Respekt und Verständnis auf Gegenseitigkeit beruhen. „Sicher machen Carsten und ich Fehler. Die können wir dann auch zugeben“, betont Johnen. Gegen faire Diskussionen nach einer Partie hat er deshalb wenig einzuwenden.

Der Privatmensch: Marcus Johnen scheint auch über einige handwerkliche Fähigkeiten zu verfügen, wenn es um das Mitmachen bei einem Anbau am Haus geht. (Foto: MJ)

Ähnlich stellt sich Johnen als Vorgesetzter den Umgang mit Kollegen vor: „Ich will, dass Menschen ihre Meinung sagen.“ Das galt/gilt noch bei seiner Tätigkeit im pädagogischen Bereich, der ihn nach dem Referendariat unter anderem zum Lehrer an der Gesamtschule in Neuwerk, zum Inklusionskoordinator für das Schulamt im Kreis Heinsberg und zum Leiter der Gemeinschafts-Grundschule Kückhoven werden ließ. Den Einstieg in die Politik vollzog er erst vor rund drei Jahren, weil er sich als sachkundiger Bürger aus Überzeugung um die Bereiche Integration und Soziales oder Wohnen und Bauen kümmern wollte. Was sich daraus entwickeln könnte, ahnte Johnen seinerzeit nicht mal im Ansatz: „Nein, das war nicht mein Wunschtraum.“ Andere hatten dafür längst erkannt, dass ihnen da ein Talent für Reden und Themen „zugelaufen“ war. So kam am Ende, was kommen musste: Marcus Johnen wurde im März 2019 zum Vorsitzenden seiner Partei in Wegberg gewählt und im Oktober 2019 offiziell als Bürgermeister-Kandidat nominiert. Johnen hätte es wissen müssen: „Ich kann nicht nein sagen.“

Liebend gerne und sehr schnell war er dabei, als Schiedsrichter-Kollegin Kimberly Wegener (damals noch Seemann), die dem Frauenkader für die 3. Liga angehört und ebenfalls dort pfeift, ihrem Mann Nils das kirchliche Ja-Wort gab. Marcus Johnen hat eine Ausbildung zum Prädikanten hinter sich – was in der Evangelischen Kirche in etwa einem ehrenamtlichen Pfarrer entspricht. Dass Johnen diesen Weg einschlagen würde, hat er seinem Vater zu verdanken, denn der Handballer Johnen ist in einem Pfarrer-Haushalt aufgewachsen. Daher rührt wohl auch die Bereitschaft, Menschen in Not zuzuhören. Und deshalb gehört seine Mitarbeit im „PSU-Team“ der Freiwilligen Feuerwehr Wegberg zu den wichtigsten Bereichen in der Freizeit. PSU steht für Psychosoziale Unterstützung und bedeutet Hilfe für Feuerwehrleute, die bei ihren Einsätzen nicht selten auch belastende Erlebnisse verarbeiten müssen.

Der Politiker: Drucken ist ein Handwerk, das Marcus Johnen (rechts) für seine Werbematerialien den Fachleuten Hubert Winkels, Fabian Soto-Perez und Manfred Rütten (links) von HS Grafik + Druck überlässt. (Foto: HS)

Ist Marcus Johnen also ein Zauberer, der die Grenzen von Zeit und Raum aufheben kann? Seine Antwort ist eher ziemlich menschlich: „Das alles geht nur, wenn du eine unfassbar starke Familie hinter dir hast.“ Frau und vier Kinder sind Halt und Rückzugs-Schutzzone zugleich. In Auszeiten ziehen sich die sechs regelmäßig in ein Ferienhaus in den Niederlanden zurück – was auch in diesem Sommer wieder so sein wird. Das eine oder andere Mal wird Johnen in diesem Jahr allerdings mit dem Auto eine Stippvisite zu Hause einbauen (müssen), weil sich eben nicht alles digital erledigen lässt. Und danach? Was Johnen nicht weiß: Ob er gewählt wird. Was er sicher weiß: Dass er rund um den 13. September und die Tage direkt danach mit dem Ergebnis der Wahl und deren Folgen beschäftigt sein wird. Deshalb hat er schon mal was aus- und nachgerechnet: „Vor dem 27. September werde ich nicht pfeifen können.“ Ausgeschlossen ist, dass ein Bürgermeister Johnen weiter eine Grundschule leitet. Ziemlich ausgeschlossen ist darüber hinaus, dass ein Bürgermeister Johnen im früheren Umfang Spiele in der 3. Liga pfeifen würde. Einen Traum hätte er dann trotzdem: Sehr würde er sich ein Abschiedsspiel in einer stimmungsvollen Halle wünschen. Dafür würde der Handball-Fan vermutlich irgendwo sogar die 37. Stunde eines Tages auftreiben. Mit reinster Gelassenheit und ohne jede Hektik, versteht sich.