31. Juli 2024 | Zurück zur Artikelübersicht » |
Der Handball stand tatsächlich auf der Kippe. In einer Region, in der einst Spieler wie Oliver Dasburg, der heute eine der Säulen des Drittligisten TuS 82 Opladen ist, und René Lönenbach, der inzwischen wieder für seinen Heimatverein TV Palmersheim spielt, in der Regionalliga für den TV Rheinbach auf der Platte wirbelten. Vor ein paar Monaten war der personelle Aderlass über die vergangenen Jahre im Verbund mit einer vertrackten Hallensituation dann so groß geworden, dass ein komplettes Auseinanderbrechen drohte – und für den 30 Jahre im Verein tätigen Dietmar Schwolow das Signal zum Ausstieg war. Für Schwolow, bis dahin nach dem Abstieg aus der Regionalliga zusammen mit Jan Hammann im Trainerteam fürs „Überleben“ in der Oberliga Mittelrhein zuständig, hätte ein Weitermachen wenig Sinn ergeben: „Ich sehe keine Perspektive mehr.“ Wie sich die Rheinbacher dennoch auf den fünften Platz in der bisherigen Oberliga Mittelrhein vorarbeiteten, war auch für Schwolow/Hammann ein versöhnlicher Abschluss. Was da bereits feststand: Es gibt eine Zukunft. In der wird allerdings fast alles anders – und die Rheinbacher, die es aus eigener Kraft nicht mehr besonders weit geschafft hätten, nehmen den Kampf um den Standort ihrer liebsten Leidenschaft zusammen mit zwei Nachbarn auf: Gemeinsam mit der zuletzt in der Landesliga angesiedelten SG Ollheim-Straßfeld, bei dem der TVR bereits Unterschlupf fürs Training in Swisttal-Heimerzheim gefunden hatte, und dem SV Rot-Weiß Merl aus der Kreisliga bilden sie nun eine Handball-Spielgemeinschaft, die unter dem Namen Wölfe Voreifel an den Start geht. Der Name eignet sich dabei wohl als Mutmacher: Wölfe gelten als Raubtiere, sie verteidigen ihre Reviere entschlossen, sie sind ausdauernd. Gleichzeitig sind sie nicht nur in Deutschland eine geschützte Tierart. Was sich daraus ergibt? Die neue Wölfe wollen sich mit allem, was an Leidenschaft für den Handball in ihnen steckt, ins Abenteuer stürzen. Und sie sind realistisch genug. Sie wissen, dass die Konkurrenz in der Gruppe 1 der nach dem Zusammenschluss der Verbände Mittelrhein und Niederrhein neu sortierten Oberliga Nordrhein womöglich ihren Mut und Entschlossenheit schätzt. Sie wissen aber zugleich, dass sie weder Geschenke erwarten dürften noch unter irgendeiner Form von Schutz stehen. Die anderen werden, weil sie eigene Ziele verfolgen, eher gar keine Rücksicht nehmen.
Markus van Zuilekom, als Spieler früher selbst bis in die Regionalliga hinein aktiv (damals noch die dritthöchste Spielklasse), weiß das alles. Und vielleicht hilft es den Wölfen ja, dass er aus seiner jüngsten Vergangenheit durchaus versteht, wie Aufstieg geht. Außerdem kennt er sich in der Oberliga ganz gut aus – kein Wunder nach vier Jahren Arbeit beim Nachbarn HSG Siebengebirge. Dort war er nicht nur Cheftrainer der zweiten Mannschaft, mit der er nach dem Abstieg in die Landesliga in die Verbandsliga zurückkehrte, und zuletzt Co-Trainer von Lars Degenhardt bei der ersten Mannschaft, die vor ein paar Wochen als souveräner Meister in der Oberliga Mittelrhein den Weg zurück in die Regionalliga Nordrhein schaffte. Van Zeulekom, den die meisten in der Szene der Einfachheit halber in der Regel „Zeule“ nennen, hatte bereits Monate vorher seinen Abschied aus dem Siebengebirge angekündigt und eigentlich fest vor, anschließend die Oberliga-Frauen des TV Erftstadt zu übernehmen – wozu es letztlich allerdings nicht kam. Diese Entwicklung sprach sich nun bald nach Rheinbach und zu den übrigen Wölfen herum, die dringend einen mit Wissen und Erfahrung sowie dem Sinn für ein kühnes Unternehmen ausgestatteten Trainer brauchten, um weitermachen beziehungsweise überhaupt loslegen zu können. Ergebnis: Markus van Zuilekom, als Trainer in der Vergangenheit in Bad Münstereifel, Ollheim-Straßfeld und Königsdorf unterwegs, sagte am Ende nach der nächsten Kontakt-Aufnahme tatsächlich zu. Dass auf ihn und seine Mannschaft eine ganze Menge Arbeit wartet, ist in diesem Zusammenhang fast eine Untertreibung – und konnte ihn dennoch nicht schrecken. „Wir sind in jedem Spiel der Außenseiter“, sagt van Zuielkom. Nach Angst hört sich das nicht an, eher nach passender Sachlichkeit – womöglich verbunden mit einer Menge Freude auf das spannende Vorhaben.
Aus dem Kader der vergangenen Saison stehen einige Spieler nicht mehr zur Verfügung – unter anderem Regisseur Marius Schmitz, der künftig wie sein Cousin René Lönenbach das Trikot des TV Palmersheim trägt. Insgesamt sind neun Mitglieder des alten Rheinbacher Aufgebots noch dabei und dazu gehören in Leon Thürnau (32) und Elias Hoven (25) zwei gute Torhüter, die ihre Qualitäten hinreichend oft unter Beweis gestellt und auch in der nächsten Saison nicht wenig Arbeit zu bewältigen haben. Das wiederum liegt nicht zuletzt weiter vorne am relativ dünn besetzten Rückraum, in dem auf einige Spieler deutlich höhere Anforderungen warten. „Wir mussten den ganzen Rückraum aus der Verbandsliga bauen.“ Das bedeutet: Grundsätzlich wird der eine oder andere, der Lust aufs Wölfe-Projekt hat, zwei Klassen hochspringen. Schließlich war die Zweite des TV Rheinbach in der vergangenen Serie erst mal mit ihren 18:30 Punkten auf Rang zehn kein Spitzenteam der Landesliga, ergatterte jedoch durch die Neuordnung aller Klassen in der Gruppe 5 die letzte zur Qualifikation für die Verbandsliga ausreichende Position. Und die SG Ollheim-Straßfeld lag als Achter mit ihren 21:27 Zählern auch nicht um Lichtjahre besser. Kein Problem – zumindest kein atmosphärisches – sieht van Zuilekom im Übrigen darin, dass aus einstigen Gegnern auf der Platte gerade ein neues Ganzes entsteht: „Alle haben Bock auf Handball.“ Um am Team-Zusammenhalt und an den spezifischen Details in Abwehr und Angriff zu arbeiten, bleiben den Wölfen jetzt weitere fünfeinhalb Wochen Zeit, ehe am 7. September mit dem Heimspiel gegen den BTB Aachen II in der Sporthalle Heimerzheim der Startschuss für die Serie 2024/2025 fällt.
Markus van Zuilekom, der Inhaber der B-Lizenz ist und damit offiziell Mannschaften bis hin in die 3. Liga trainieren darf, will sich als Coach nicht in einer festen Schublade unterbringen lassen: „Ich versuche, ein Kumpeltyp zu sein, ich kann aber auch laut werden. Grundsätzlich müssen sich die Spieler mit der Sache wohlfühlen.“ Als vorwiegende Möglichkeit einer reinen Jux- und Freizeitbeschäftigung sollte gleichzeitig seiner Ansicht nach niemand die Wölfe sehen. „Da sage ich den Spielern, dass sie sich für die Oberliga entschieden haben“, betont „Zeule“, der das sowohl auf die „alten“ als auch auf die neuen Spieler des Kaders bezieht. Was ohnehin allen gemeinsam sei: „Sie verdienen hier kein Geld.“ Trotz allem wird die Mannschaft, die keine Zugänge von außen zu verzeichnen hat, oft genug an ihre Grenzen und manchmal darüber hinaus gehen müssen. Und selbst dann, wenn das oft gelingt, besteht keine Garantie darauf, dass es in der Summe zu den für den Klassenerhalt benötigten Punkten reichen wird. „Natürlich werden wir alles versuchen, die Klasse zu halten“, betont van Zuielkom, „aber wir werden auch auf den Sack kriegen.“ Was den Wölfen dabei zumindest ein wenig in die Karten spielen könnte: Die Zusammensetzung der künftig drei Oberliga-Gruppen (vorher zwei) beinhaltet den einen oder anderen Verein, der nur durch den vermehrten Aufstieg den Sprung in die höhere Klasse geschafft hat – oder durch den Verzicht auf Absteiger in der bisherigen Oberliga Mittelrhein alleine deshalb dringeblieben ist.
Das fast van Zuilekom so zusammen: „Wir hätten es schlimmer erwischen können.“ Gegner werden etwa der MTV Köln II, die TSV Bonn rrh. II und der Polizei SV Köln als Dritter, Vierter und Fünfter der Verbandsliga 2023/2024 hinter dem Meister SC Fortuna Köln und dem Vizemeister 1. FC Köln sein. Der BTB Aachen II, Schwarz-Rot Aachen und der HC Weiden II belegten in der Oberliga die Ränge elf, zwölf und 14 – und wären sonst normalerweise abgestiegen. Als einen der ausgemachten Titelfavoriten sehen sie bei den Wölfen wie anderswo den Regionalliga-Absteiger Borussia Mönchengladbach, der tatsächlich eine Nummer zu groß sein dürfte. Ähnliches gilt wohl für den TV Birkesdorf, den Vierten der vergangenen Oberliga-Serie, und selbst der TuS Königsdorf (Neunter) und der TV Palmersheim (Zehnter) werden eventuell zu weit entfernt liegen. Höchstwahrscheinlich werden die Wölfe schon nach den beiden ersten Spieltagen wissen, wie ihre Chancen konkret aussehen – weil sie nach dem Debüt am 7. September gegen den BTB Aachen II eine Woche darauf am 14. September in Bonn antreten. Beide Spiele werden wohl die Frage beantworten, ob es Gegner auf Augenhöhe gibt – oder eben nicht. In der Voreifel richten sie sich natürlich auf maximalen Widerstand ein und sie wissen, dass sie einen sehr langen Atem brauchen werden. „Das Gute ist, dass wir vielleicht keine Chance sehen – und die wollen wir nutzen.“ Das ist doch schon eine ganze Menge in einer Region, in der der Handball vor Kurzem noch auf der Kippe stand.