3. Liga
Die Ratinger und ihr Blick in die Glaskugel
Aufsteiger Interaktiv.Handball ist für die höhere Klasse irgendwie noch auf der Suche nach sich selbst. Der Sportliche Leiter Stanko Sabljic verspricht aber Emotionen und Leidenschaft.

Wir schaffen das, oder? Die Verantwortung, die Stanko Sabljic und Torhüter Sebastian Bliß bei den Ratingern zu tragen haben, wird in der 3. Liga sicher nicht weniger. Beide wissen, was auf Interaktiv zukommt – unter anderem, weil sie 2023/2024 schon zum Team gehörten, das damals direkt wieder absteigen musste. (Foto: Thomas Schmidt)

Er gehört im Handball zu denen, die schon viel bis fast alles erlebt haben. Das wiederum ist kein Wunder, weil Stanko Sabljic früher als Profi unterwegs war – nicht nur in Kroatien, wo er 2016 mit RK Zagreb die Meisterschaft und den Pokal gewann, sondern auch in der Bundesliga, wo er direkt davor zuerst für den Bergischen HC und anschließend für den HC Erlangen auf der Platte stand. Über den ASV Hamm-Westfalen (damals in der 2. Bundesliga), den VfL Eintracht Hagen (2. Bundesliga), die SG Schalksmühle-Halver (3. Liga) und den Wilhelmshavener HV (2. Bundesliga) kam der 2,02 Meter lange Kreisläufer im November 2021 zu Interaktiv.Handball. Was er dort wollte und sollte? Einfache Antwort: Am Projekt „Rückkehr“ in die 3. Liga mitarbeiten und dazu beitragen, dass sich jenes einst als SG Ratingen firmierende Unternehmen dort etabliert. Sabljic sah/sieht sich dabei weder als Magier mit der Fähigkeit, etwaige Erfolge aus dem Hut zu zaubern, noch als Ein-Mann-Schau. Und er ist vor allem bereit, sein Wissen und seine Qualitäten mit der für manche Handballer typischen Leidenschaft einzubringen – sowohl als Spieler wie auch als das, was wohl unter der Bezeichnung „Funktionär“ durchgeht. Stanko Sabljic trägt längst als Sportlicher Leiter einiges an Verantwortung für die gesamte Entwicklung, die mittlerweile zu einem nicht geringen Teil durchaus als Abkehr vom Prinzip „Wir holen erfahrene Leute mit maximal viel Routine nach Ratingen“ gelten muss. Darüber hinaus bleibt er als Trainer zusammen mit Julian Fanenbruck für die A-Jugend tätig und die Anforderungen in diesem Bereich sind durch den Aufstieg in die 2. Bundesliga  nicht gerade geringer geworden, sondern deutlich gestiegen. Logische Konsequenz: Die bisher noch nicht vorliegenden Spielpläne werden auf jeden Fall ernorm viel Einsatz verlangen. Das Maximum an Leidenschaft werden die Ratinger im Übrigen auch benötigen, um mit der ersten Mannschaft im Jahr eins nach dem dritten Aufstieg dorthin die 3. Liga zu halten. In der Halle an der Gothaer Straße hat niemand richtig viel Lust, im Fahrstuhl wieder die falsche Richtung nach unten zu erwischen. An dieser Stelle lohnt sich erst mal ein Rückblick aufs vergangene Jahrzehnt.

Nach vier Aufstiegen hintereinander (ab 2011) schaffte Interaktiv zum ersten Mal den Sprung in die 3. Liga und dort im ersten Jahr mit Rang acht und 30:30 Punkten am Ende der Saison 2014/2015 das bis heute beste Ergebnis in der Vereinsgeschichte. Anschließend gelang auf Platz neun mit 27:33 Zählern ebenfalls sicher der Klassenerhalt, ehe der Absturz folgte: Mit nur 5:55 Punkten aus 30 Spielen musste Ratingen 2016/2017 als Letzter zurück in die 3. Liga – gemeinsam mit dem Nachbarn SG Langenfeld (Vorletzter/19:41). Am 7. Mai 2017 gab es das für einige Zeit letzte Drittliga-Spiel und anschließend mühte sich die SG mit hohen Investitionen vor allen Dingen im personellen Bereich, den Schaden zu beheben, was über mehrere Jahre bisweilen gründlich misslang – bis zum Sommer 2023, als erneut der Aufstieg aus der 3. Liga auf der Habenseite stand. Die nicht abwegige Idee damals: Nun sollte es aber reichen für eine Position am rettenden Ufer. Es kam jedoch alles etwas anders, denn nach überzeugenden und auf ein Happy End hinweisenden 12:12 Punkten nach zwölf Spieltagen gab es in den folgenden Monaten eine lange Durststrecke und folgerichtig musste Interaktiv als Letzter mit 17:43 Zählern wieder runter in die Regionalliga. Dass dort in der Saison 2024/2025 derart viele Puzzleteile passten und die mit der direkten Rückkehr in die 3. Liga verbundene Meisterschaft heraussprang, war kaum vorherzusehen. Und es ist bis heute eine größere Überraschung.

Als Absteiger konnte das Team seinerzeit nicht als ernsthafter Titelkandidat gelten, weil viele etablierte Spieler fortan nicht mehr zur Verfügung standen – darunter im Top-Torschützen Ante Grbavac, im spielenden Co-Trainer Alexander Oelze und in Kapitän Hendrik Stock sehr wesentliche Stützen. Sabljic hatte es damals genau ausgerechnet: „Insgesamt sind zehn Spieler weg. Das ist eine sehr schwierige Situation. Das Wichtigste ist, dass wir in der Liga bleiben.“ Ein weiteres Thema: Die neuen Leute kamen erst spät hinzu, sodass der Beginn der Serie 2024/2025 am 7. September mit dem 32:29 beim MTV Rheinwacht Dinslaken irgendwie ein Sprung ins kalte Wasser war. Trotzdem setzte sich Interaktiv bald oben fest und die 20:4 Zähler aus der Hinrunde waren eine Basis weit über dem Erhofften, ehe sich spätestens mit dem spektakulären 38:31 am 26. Februar 2025 beim bis dahin vermeintlich ernsthaftesten Titelkonkurrenten TSV Bayer Dormagen II das Tor zum vollkommenen Glück mehr als nur einen Spalt breit öffnete. Einen Monat später durchkreuzten die Ratinger dann sogar endgültig ihre eigene Idee vom „Bleiben in der Liga“, weil sie sich durch ein 32:25 über den HC Gelpe/Strombach vorzeitig die Meisterschaft und die direkte Rückkehr in die 3. Liga sicherten. Für Sabljic war der unerwartete Erfolg eine Mischung aus Wunder und verdientem Lohn: „Das war wieder, wie in der ganzen Saison, eine unglaublich gute Mannschaftsleistung. Ich bin stolz auf die Mannschaft, auf den heutigen Sieg, die ganze Saison und das, was wir geschafft haben. Die Arbeitsmoral und der Teamgeist – einfach top, top, top.“

In einer ähnlichen Größenordnung müssen die Ratinger demnächst in der am 23./24. August beginnenden Saison in der 3. Liga denken, in der sie der Gruppe Süd-West zugeteilt wurden – was das Wiedersehen mit ein paar Bekannten garantiert. Dafür werden nicht nur die Duelle mit dem Longericher SC, dem TuS 82 Opladen oder den Bergischen Panthern sorgen, sondern auch jene Spiele gegen den TV Homburg, den Mit-Absteiger aus der 3. Liga am Ende der Saison 2023/2024: Für den direkten Wieder-Mit-Aufsteiger ist unverändert Ante Grbavac aktiv, der vor einem Jahr mit den Ratingern abstieg, sich dann den ebenfalls in die Regionalliga (Süd-West) gerutschten Homburgern anschloss und dort mit seinen Treffern nicht unmaßgeblich an der Meisterschaft des TVH beteiligt war. Wann diese beiden Duelle zu spielen sein werden, steht bisher nicht fest – aber eventuell lässt sich der Zeitplan ja nach der erst in der vergangenen Woche erfolgten Gruppeneinteilung halbwegs zügig einrichten. Im Moment liegt der Ball eher noch im Feld der Vereine, die unter anderem die ihnen zur Verfügung stehenden Zeitfenster für ihre Heimspiele beim Verband hinterlegen sollen. Festgezurrt ist allerdings, auf wen Interaktiv neben den Longerichern, den Panthern, den Opladenern und den Homburgern noch trifft: HG Saarlouis, HLZ Friesenheim-Hochdorf II, HSG Dutenhofen-Münchholzhausen II, HSG Hanau, HSG Rodgau Nieder-Roden, MT Melsungen II, SG Schalksmühle-Halver Dragons, TSG Haßloch, TSG Münster, TV Gelnhausen, TV Kirchzell.

Mit einer Zielformulierung tun sie sich in Ratingen rund acht Wochen vor dem Beginn der neuen Saison noch schwer. Klar: Sofort wieder und somit zum dritten Mal abzusteigen, steht nicht auf dem Themenzettel. In einer realistischen Einschätzung kann es nun allerdings tatsächlich – sehr viel ernsthafter als vor zwölf Monaten – höchstens darum gehen, die Klasse zu halten. „Für uns wird es schwierig – egal, in welcher Gruppe wir gelandet sind“, sagt Stanko Sabljic, „ich erwarte eine sehr, sehr harte Saison mit sehr vielen Emotionen. Ich glaube, es wird bei uns viele Ups and Downs geben.“ Letzteres ist auch der Tatsache geschuldet, dass die früher große Fraktion der Ü30-er lediglich noch aus Team-Senior Sabljic (37) sowie Keeper Sebastian Bliß (35), Rückraumspieler Tim Koenemann (32), Linksaußen Tomislav Nuic (36) und Rechtsaußen Dusan Maric (31) besteht, der zuletzt mit 185 Toren in 25 Spielen der erfolgreichste Werfer der gesamten Regionalliga Nordrhein war. Auf der anderen Seite der Altersskala befindet sich der erst im April 18 Jahre alt gewordene Luca Schulz aus der eigenen A-Jugend. Wenig bis gar keine Erfahrung in der 3. Liga oder gar höher bringen fast alle Neuen mit und eine Ausnahme ist Rückraumspieler Nicolas Körber (20), der 2024/2025 immer wieder im Zweitliga-Kader des ASV Hamm-Westfalen stand. Linksaußen Mark Szabo (19) war für den TSV Bayer Dormagen II ebenso in der Regionalliga unterwegs wie Kreisläufer Richard Sibbel (24) vom HC Westfalia Herne und Rückraumspieler Fabian Büttner (23) vom OSC Rheinhausen. Torhüter Nicholas Plessers (30) kommt aus der belgischen Bene-League (HC Visé BM) und hat Erfahrung in der der European League in seiner persönlichen Statistik vorzuweisen.

Was für Sabljic zu hundert Prozent zutrifft: „Die Mannschaft ist sehr heiß, aber das kann in beide Richtungen gehen. Ich kann nicht erwarten, dass wir stabil sein werden. Was ich erwarten kann, ist, dass wir Gas geben. Wir freuen uns sehr, wieder dabei zu sein, und wir werden alles machen, um uns besser zu präsentieren.“ Ganz nebenbei: Die 17:43 Punkte von 2023/2024 hätten in der vergangenen Saison für einen Platz am rettenden Ufer genügt, wie es bei den Bergischen Panthern auf Platz zwölf der Fall war. Selbst die 16:44 Punkte der TSG Haßloch (13.) wären gerade noch ausreichend gewesen, während dahinter der TV Aldekerk (14./14:46) und der TV Korschenbroich (15./13:47) ihr Ziel verfehlten. Ob die Ratinger wirklich besser abschneiden als beim vergangenen Abenteuer 3. Liga, mag Stanko Sabljic nicht versprechen: „Ich habe keine Glaskugel dabei, um das zu sehen.“ Wenn das einer sagt, der schon viel bis fast alles erlebt hat im Handball, spricht das für eine Menge Respekt und Realitätssinn angesichts der anstehenden Aufgabe. Die Konkurrenz sollte und wird vermutlich trotzdem nicht den Fehler machen, diese Ratinger zu unterschätzen, die sich mittlerweile – anders als früher – die ganz lauten Töne einfach sparen.