Oberliga Mittelrhein
Axel Sierau: Der „alte“ Mann ist verrückt nach Handball
Der Torhüter des TuS Derschlag denkt mit 49 an viel – aber noch nicht ans Karriere-Ende. Im Bergischen schätzen sie ihn als Sportler und Menschen und im EHF auch als Management-Fachmann.

Yes! Auch mit 49 Jahren ist für Axel Sierau jeder gehaltene Ball noch ein Grund zum Jubeln. (Foto: Burkhard Kasan)

Du siehst diesen Torhüter und kommst aus dem Staunen nicht mehr heraus – weil da einer seiner „Arbeit“ nachgeht und offensichtlich sehr viel davon versteht. Die Reflexe? Perfekt. Das Stellungsspiel? Ebenso. Die Ausstrahlung? Ein Führungsspieler. Dass der Oberligist TuS Derschlag das Halbfinale des Mittelrhein-Pokals beim Regionalligisten TV Jahn Köln-Wahn beherrscht, ist nicht nur, aber maßgeblich mit sein Verdienst. Neun Gegentreffer lässt Axel Sierau vor der Pause zu und nachher sind es sogar nur acht. Die Gastgeber stehen beim 17:26 am Rande der Verzweiflung, weil sie immer wieder am Torhüter mit der Nummer 70 auf dem Trikot scheitern. Dann startet Derschlag, das eine durchaus komplizierte Vorbereitung hinter sich hat, zehn Tage später in die Meisterschaft. Es ist Derbyzeit, denn der TuS hat es vor 500 Zuschauern mit dem SSV Nümbrecht Handball zu tun. Derschlag liegt zur Halbzeit mit 11:12 hinten, übernimmt aber allmählich die Kontrolle und gewinnt letztlich klar mit 27:22. Keine Überraschung: Wieder hat der Mann mit der 70 eine tragende Rolle. Warum die Nummer so spannend ist: Axel Sierau hat sie sich selbst ausgesucht. Er wollte sie unbedingt als Symbol tragen. Es ist schließlich sein Jahrgang. Übersetzt: Sierau ist 49 Jahre alt. Er dürfte einer der jüngsten fast 50-er in Deutschland sein.

Seinen Trainer überraschen die Top-Vorstellungen des Keepers keineswegs. „Axel ist im positiven Sinne ein Handball-Bekloppter. Ich sehe das wie er auch. Entscheidend ist nicht das Alter, sondern die Leistung auf dem Platz“, sagt Ralph Weinheimer, der den Schlussmann seit über 20 Jahren kennt – und mit ihm einst gemeinsam etwa für den TuS Weibern in der Regionalliga gespielt hat, die damals die 3. Liga war. Am früheren Teamkollegen schätzt er nicht nur dessen hohe Handball-Qualitäten: „Er ist ein überragender Typ, ein überragender Mensch und ein überragender Sportler. Wir sind sehr froh, dass wir ihn in der Mannschaft haben.“

Mit dem Bergischen Land hatte Sierau als kleiner Axel noch nichts zu tun, denn er stammt ursprünglich aus der Wolfsburg in Niedersachsen. Zum Handball fand er als Siebenjähriger in der Kleinstadt Dannenberg – und es war der eher zufällige Beginn einer durchaus großen Karriere, denn er begleitete Klassenkameraden zum Sport. Beim großen Eignungstest durften alle sämtliche Positionen ausprobieren – und der Posten zwischen den Pfosten gehörte dazu. Logisch: Axel Sierau bekam den Job. Die Begründung: „Ich war der Einzige, der dem Ball nicht ausgewichen ist. Ich bin ihm entgegengegangen.“ Bereut hat er diese Entscheidung nie, zumal die Position maßgeschneidert zu sein scheint. Es ist ein fast philosophischer Ansatz: „Du bist so etwas wie ein Einzelkämpfer. Es ist wie das Beste aus beiden Welten. Ich frage mich immer, wie viel Leistung eines Torwarts jede Mannschaft braucht. Wichtig fürs Team ist er sicherlich.“

Abgewehrt: Sierau weiß genau, wie er den Kasten für den Schützen so klein wie möglich macht. (Foto: Burkhard Kasan)

Seine Begabung führte ihn vor fast 30 Jahren nach Köln, um dort ein Sportstudium zu beginnen. Für eine Saison pendelte Sierau noch in seine alte Heimat, ehe er für vier Jahre zum TV Jahn Köln-Wahn wechselte (dem Pokalgegner von oben): Dort trug gerade Kai Wandschneider die Verantwortung, der heute die HSG Wetzlar in der Bundesliga trainiert. Weitere Stationen waren der TV Forsbach, Weibern, mit dem er sogar an die Tür zur 2. Bundesliga klopfe, der TV Korschenbroich und der TV Weiden. Die Karriere des Axel Sierau umfasst derart viele Facetten, dass er darüber vielleicht irgendwann ein Buch schreiben sollte. Darin würde auch der späte Wechsel nach Derschlag ein eigenes Kapitel bekommen. Sierau trat zuerst kürzer und stand nur noch einmal pro Woche in der Halle, ehe er erneut für Köln-Wahn auflief – bis dort in einem Verjüngungsprozess kein Platz mehr für ihn war. Das Interesse des TuS, der einen weiteren Torwart suchte, kam da wie gerufen: „Ich wollte im Herbst meiner Karriere unbedingt noch einmal in Gummersbach spielen. Das hat ja damit geklappt.“

Klar: Axel Sierau ohne Handball geht sowieso nicht. Deshalb war er auch mit dem Kölner Hochschulteam unterwegs und erfolgreich (unter anderem Deutscher Meister, Dritter bei den Europameisterschaften). „Wir waren nicht die beste Mannschaft, aber das beste Team“, betont Sierau, der parallel längst begonnen hatte, sich als Trainer und Organisator zu betätigen. Das wiederum hat eine Menge mit seinem beruflichen Profil zu tun, denn er hat Lehraufträge im Bereich Management und Marketing – gerne im Bereich Sport und Handball. Das bringt ihn in der Szene so viel rum, dass sie selbst beim Europäischen Verband EHF mittlerweile gerne mit ihm zusammenarbeiten – etwa bei der alljährlich auf dem Programm stehenden Fortbildung für europäische Handball-Manager. Die ist passenderweise in Köln zu Hause – wo Sierau Heimrecht hat, weil er dort lebt. Noch besser: Köln ist Schauplatz des Final-Four-Turniers in der Champions League. Natürlich muss sich Sierau keine Sorge um eine vernünftige Eintrittskarte machen: „Das ist eben ein Bestandteil unserer Vereinbarung.“ Dabei scheint er innerlich zu grinsen.

Jenes Grinsen überkommt ihn in der Regel besonders dann, wenn er morgens nach einem guten Spiel in den Spiegel schaut. Größere altersbedingte Verschleißerscheinungen oder Beschwerden kann er dabei nicht feststellen – weshalb er exakt so lange weitermachen möchte, wie es ihm Spaß macht. „Ich habe bis jetzt mit allem viel Glück gehabt“, räumt Sierau ein, der keinem Ernährungs-Extrem nachhängt: „Ich rauche nicht und trinke Alkohol nur in Maßen. Aber man sieht mich gelegentlich in einem Burger-Restaurant meines Vertrauens.“ Axel Sierau nennt sich selbst einen Genuss-Menschen – obwohl er zugleich über ein exzellentes Zeit-Management verfügen muss. Nur deshalb konnte er sich in der vergangenen Saison überreden lassen, als Trainer der dritten Herren-Mannschaft in Derschlag einzuspringen. Inzwischen hat er die Verantwortung für die aus der Landesliga abgestiegenen TuS-Damen übernommen, die vor den Männern trainieren. Ticken Frauen anders? Wie klappt das in der eigenen Mannschaft mit jungen Leuten, die locker seine Kinder sein könnten? Axel Sierau scheint die Frage fast nicht zu verstehen: „Es kommt doch nur darauf an, wie du mit den Menschen sprichst.“ So einfach. Das ist dann wieder das Thema vom Anfang: Du hörst diesen Torhüter und kommst aus dem Staunen nicht mehr heraus.