17. April 2024 | Zurück zur Artikelübersicht » |
Es sind zwei Tage Handball-Wahnsinn. Mit unglaublichen Typen, mit unglaublichen Leistungen, mit einer unglaublichen Dichte. Du siehst innerhalb von gut 24 Stunden die pure Weltklasse auf der Platte und das auch noch zum Anfassen. Fast jedenfalls. So etwas gibt es in dieser Form sonst nicht – in Deutschland nicht, irgendwo anders auf der Welt nicht. Manch einer aus dem Kreis derjenigen, die zu den Besten gehören, hat dabei offensichtlich auch keinerlei Berührungsängste: Wenn sich etwa Paul Drux, der Kapitän der Füchse Berlin, unter die „normalen“ Menschen mischt, die mutmaßlich nicht ganz so gut mit dem Ball umgehen können wie er, hat das was Natürliches: Es sieht danach aus, dass sich Paul von nebenan mit Freunden oder Nachbarn unterhält. Dass er dabei gelegentlich mit seinen 1,96 Metern und mehr als 100 Kilo formschön im Weg steht – geschenkt. Am Ende gibt es im Übrigen keinerlei Diskussionen darüber, dass im Champions-League-Sieger SC Magdeburg beim Final-Four-Turnier in der Kölner Lanxess-Arena, die viele als den Handball-Tempel schlechthin bezeichnen, die richtige Mannschaft den DHB-Pokal gewinnt: Nach diesen zwei Siegen beim 30:25 im Halbfinale gegen die Füchse Berlin und im Finale beim 30:19 gegen die MT Melsungen wäre jeder andere Gewinner ungerecht gewesen. Dass ausgerechnet das Endspiel gegen Melsungen zunehmend an Spannung verlor und später sogar einseitig war, störte letztlich irgendwie auch die Füchse, die ja im Halbfinale am großen Konkurrenten gescheitert waren und sich gerade in der 1. Bundesliga einen maximal engen Zweikampf mit dem SC liefern: Erster Berlin (49:7), Zweiter (48:6) Magdeburg. Was uns besonders aufgefallen ist und was hängenbleibt nach dieser mit jeweils 19750 Zuschauern an beiden Tagen größten Veranstaltung des deutschen Handballs, macht in der Summe schon Appetit auf mehr. Und das Warten auf den 12./13. April 2025 zieht sich damit nicht ganz so hin.
SC Magdeburg Trainer Bennet Wiegert hat unter anderem, aber nicht nur in seiner isländischen Achse mit Gisli Kristjansson und Omar Ingi Magnusson zwei Ausnahmekönner im Kader. Die tragen die ganze Last zur Not alleine, weil sie sowieso kaum zu kontrollieren sind. Was beeindruckend war: Magdeburg trat auf, als habe sich die vor dem Turnier entstandene Unruhe um die positive Dopingprobe bei seinem Torhüter Nikola Portner nie gegeben. Dessen sonstiger Kollege auf dem Posten zwischen den Pfosten erledigte seinen Teil der Arbeit noch dazu so gut, dass er am Ende völlig korrekt zum besten Spieler des Final Four gewählt wurde. Sergey Hernandez erreichte im Halbfinale gegen die Füchse mit 15 Paraden eine Quote von 37,5 Prozent an gehaltenen Würfen und im Endspiel gegen Melsungen setzte der Spanier mit 17 Paraden und beinahe unwirklichen 47,22 Prozent noch was drauf. „Leidtragender“ war aber letztlich selbst der kurzfristig als Portner-Ersatz aus Dänemark (Aalborg) verpflichtete und mitfeiernde Schwede Mikael Aggefors nicht, der auf keine einzige Einsatz-Minute kam. Außergewöhnlich auch: Bei der Siegerehrung später war selbst Nikola Portner ein bisschen mit dabei, weil Teamkollege Michael Damgaard im Torwart-Trikot des Schweizers aufs Podest kletterte.
MT Melsungen Der Tabellenfünfte der aktuellen Bundesliga muss zwar weiter auf einen nationalen Titel und den ersten Sieg im DHB-Pokal warten, hatte sich aber wenig vorzuwerfen. Als auffälligste Erscheinung kam natürlich Dainis Krištopāns auf die Platte, der mit einer Länge von 2,15 Metern und einem Gewicht von über 130 Kilo eine herausragende Erscheinung ist – doch nicht nur deswegen. Passend zum Äußeren zeigte der Lette, der natürlich nicht zu den filigranen Bewegungsabläufen der Spieler aus der Kategorie Kristjansson/Magnusson in der Lage ist, einen ausgeprägt guten Teamgeist und immer wieder ein starkes Auge für die Mitspieler. Wie früher in ganz jungen Jahren bei den Melsungern offensichtlich sehr verrückt nach Handball: Carsten Lichtlein. Der einstige Nationalkeeper (43), mit 712 Einsätzen immer noch Bundesliga-Rekordspieler und nach dem Karriereende seit dem Sommer 2022 als Torwarttrainer der MT im Einsatz, war auch von der Bank aus (auf der er nur selten saß) so etwas wie der emotionale Anführer der Melsunger. Die allgemeine Belohnung dafür war der Einzug ins Finale, in dem sich allerdings bei aller Leidenschaft wegen nachlassender Akkus gegen personell breiter besetzte Magdeburger vor allem in der zweiten Halbzeit wenig ausrichten ließ.
SG Flensburg-Handewitt Die Flensburger, zuletzt 2015 Pokalsieger und 2019 Deutscher Meister, erwischten im Halbfinale beim 28:33 gegen Melsungen einen eher gebrauchten Tag – wie ein Jahr zuvor beim 31:38 gegen die Rhein-Neckar Löwen. Bis auf Linksaußen Emil Jacobsen (neun Tore/vier Siebenmeter) und Simon Pytlik (sieben Tore) strahlte vorne fast niemand echte Torgefahr aus und die hundertprozentige Leidenschaft für den Erfolg schien zu fehlen. Der sonstige Anführer Jim Gottfridsson – nicht wirklich überzeugend. Die Torhüter Benjamin Buric und Kevin Möller – mit Werten von um die 20 Prozent bei den gehaltenen Würfen ebenfalls enttäuschend. Im Spiel um den dritten Platz beim 31:28 gegen die Füchse war Flensburg bis kurz nach der Pause chancenlos und im Begriff, sich mit dem wertlosen Rang vier begnügen zu müssen. Kapitän Johannes Golla (sechs Tore), auch Spielführer der deutschen Nationalmannschaft, und wiederum Pytlick (sieben) führten die SG jedoch zur Wende gegen zunehmend rat- und wehrlose Berliner. Unter dem Strich ging Flensburg trotzdem nicht voller Euphorie aus der Halle. „Wir hatten an diesem Wochenende nicht den dritten Platz als Ziel. Heute war diese Platzierung aber das Optimum, das wir erfüllen konnten“, fand Trainer Nicolej Krickau. Auch Golla nahm offensichtlich das leicht reduzierte Programm eher als Trostpreis mit: „Nun haben wir zwei Mal den Pokal nicht gewonnen. Zumindest bedeutet der dritte Platz, dass wir in der nächsten Saison eine Pokalrunde weniger haben werden.“ In der Übersetzung bedeutet das, dass die Flensburger wie Magdeburg und Melsungen erst im Achtelfinale einsteigen müssen, während die Füchse bereits in der Runde der letzten 32 dabei sind.
Füchse Berlin: Die Mannschaft von Trainer Jaron Siewert hat in Matthias Gidsel den für viele aktuell besten Handballer auf diesem Planeten in ihren Reihen – und die Wahl zum Welthandballer des Jahres 2023 war ja kein Zufall. Trifft Gidsel nicht selbst, stürzt sich immerhin nicht selten die halbe Abwehr auf den Dänen – und macht so den Weg frei für den Landsmann Lasse Andersson auf der anderen Seite. Das funktionierte im Halbfinale gegen Magdeburg nahezu perfekt, weil beide zusammen auf 16 Tore kamen. Und doch reichte es nicht, weil Gidsel/Andersson im Zweierpack aus dem Rückraum gegen diesen SC zu oft alleine standen. Das konnte nicht genügen, zumal Rechtsaußen-Dauerbrenner Hans Lindberg (42) zwei Siebenmeter nicht zu nutzen wusste. Dass im kleinen Finale nach einem guten Start später nicht mehr viel lief, hatte mit der eigenen Abschluss-Schwäche zu tun und mit der immer stärker werden Flensburger Abwehr, die vor dem diesmal ebenfalls guten Keeper Kevin Möller (16 Paraden/36,36 Prozent) streckenweise Beton anrührte. Vielleicht tröstet es die Füchse, dass ihnen ihr Kapitän Paul Drux dafür durchaus nicht wenige Sympathiepunkte sicherte.
Das Drumherum Wirklich beeindruckend war zum Beispiel, was sich am Abend des ersten Turniertages draußen abspielte. Weil die äußeren Bedingungen mit milden Temperaturen echt einladend waren, standen und saßen überall Gruppen von Handball-Fans zusammen – hier und da eine ebenso bunte wie friedliche Mischung aus Magdeburgern, Berlinern, Flensburgern und Melsungern. Hin und wieder schienen sich die Feier-Verrückten vielleicht an das ortsübliche Getränk (Kölsch) gewöhnen zu müssen, doch insgesamt lief es im wahrsten Sinne des Wortes ganz gut. Klare Gewinner des Abends drinnen wie draußen waren im Übrigen die Fans des SC Magdeburg, die auch in der Halle zahlenmäßig und in der Geräuschkulisse den meisten Raum für sich beanspruchten.
Wesentlich weniger hochwertig fiel das Fazit für einen Teil dessen aus, was sich drinnen abspielte. Dass mancher dabei glaubt, dass es unbedingt in jeder spielfreien Sekunde ein Maximum an aus riesigen Boxen dröhnenden Lautstärke sein muss – störend, aber zweitrangig. Nicht gar so lustig ist die ständige Fragerei durch Moderation und Hallensprecher. Jeder wusste zum Beispiel schon beim ersten Mal die Antwort: „Wo sind die Fans des SC Magdeburg?“ Das sinnfreie Quiz traf dabei, keine Überraschung, alle Mannschaften. Noch furchtbarer: „Wie ist die Stimmung?“ Das hört sich alles so megakünstlich an – und wäre sowieso gar nicht notwendig gewesen. Lasst es doch einfach bleiben. Der Handball hat das nicht nötig und in diesem Tempel seines Sports schon gar nicht. Ganz nebenbei: Wer ein paar hundert Euro für ein Ticket beim Final Four ausgibt, sollte sowieso in guter Stimmung mitmachen. Sonst wäre das alles zum Fenster rausgeworfenes Geld für zwei Tage Handball-Wahnsinn. Mit unglaublichen Typen, mit unglaublichen Leistungen, mit einer unglaublichen Dichte.