Regionalliga Nordrhein
Der Rücken: Marius Anger beendet Karriere
Der 29 Jahre alte Linkshänder ist ein echtes Kind des TuS 82 Opladen. Für seinen Verein lehnte er sogar mal ein Angebot aus der Bundesliga ab.

Unsanft gestoppt: Marius Anger entschied sich im Sommer gegen ein weiteres Jahr Handball – und für seine Gesundheit (Foto: Thomas Ellmann)

So spricht keiner, der in ein tiefes Loch gefallen ist und nicht mehr weiß, wie er sich daraus befreien soll. Dabei hat er ziemlich lange mit sich gerungen, um einen weitreichenden Entschluss zu fassen. Trotzdem macht Marius Anger den Eindruck, dass er mit sich und der Welt total im Reinen ist: „Es geht mir gut im Moment.“ Die Nachricht dahinter: Anger, der vielleicht beste Linkshänder in der Regionalliga Nordrhein, macht Schluss. Den Spieler Marius Anger wird es ab sofort nicht mehr geben. Er hört auf. Mit 29 und nicht ganz freiwillig. Doch der lädierte Rücken ließ ihm am Ende keine Wahl mehr. Der TuS 82 Opladen verliert einen über viele Jahre wichtigen Spieler und der Handball einen jener prägenden Rückraumspieler, die besonders auf dieser Position selten geworden sind.

Das Gefühl, dass Leidenschaft und Feuer nicht mehr ganz so brennen wie einst, hatte Anger bereits in der zurückliegenden Saison. Trotz anhaltender Rückenprobleme und der einen oder anderen Pause hielt ihn das allerdings nicht davon ab, insgesamt 128 Treffer zu erzielen – womit er selbstredend mal wieder der erfolgreichste Opladener Werfer war (vor Birger Dittmer/114). Der Alltag des Sportlers Marius Anger sah allerdings entsprechend aus: Um die Probleme und Schmerzen halbwegs in den Griff zu bekommen, wechselten sich Training und vor allem das Spiel pausenlos mit Besuchen beim Arzt und Physiotherapeuten ab. Medizinischer Hintergrund: Anger hat einen Gleitwirbel. Faustformel in seinem Fall: Je größer die Belastung, desto größer die Beschwerden. Und was fordert der Handball? Schnelles Beschleunigen, zügiges Abstoppen, Richtungswechsel, Landung nach dem Sprungwurf. „Das geht immer los, wenn der Handball dazukommt“, berichtet Marius Anger.

Irgendwann kam er außerdem zu der Einschätzung, dass es keine Dauerlösung sein kann, Schmerzmittel zu nehmen, um spielfähig zu bleiben. Also suchte er in Opladen nach dem Ende der vergangenen Serie das Gespräch mit Trainer Fabrice Voigt und dem Vorsitzenden Volker Leisner – die natürlich sofort wussten, um was es ging. Sie hatten zuerst vielleicht noch die leise Hoffnung, dass es ein Weitermachen geben könnte. Also verabredeten beide Seiten folgendes Modell: Anger lässt Teil eins der Vorbereitung aus, geht dann – wie die gesamte Mannschaft – in die Pause und versucht es in Teil zwei der Vorbereitung wieder. Dazu kam es nicht mehr, weil der Linkshänder zu einer festen Entscheidung gekommen war: „Ich höre auf.“ Die Opladener hatten es zu diesem Zeitpunkt (Mitte August) mittlerweile geahnt und mussten trotzdem schlucken.

Marius Anger war beim TuS 82 nicht ein Spieler von vielen, sondern unter anderem ein Ur-Opladener. Als Dreijähriger begann er bei den Minis mit dem Handball – wie Christopher Göddertz und Aaron Ellmann aus dem aktuellen Regionalliga-Team. Schnell klar: Der Linkshänder war vielen Altersgenossen körperlich überlegen – und er hatte das Talent für Höheres. Mit 18 Jahren gab er als A-Jugendlicher in der Regionalliga West sein Debüt in der Ersten, in der damals unter anderem der heutige Trainer Fabrice Voigt als Spieler aktiv war. Angers Qualitäten sprachen sich bald überall herum und es lagen ihm oft interessante Angebote vor – selbst aus der 1. Liga, als ihm der Traditionsclub  VfL Gummersbach, der da schon nicht mehr den Glanz von früher hatte, einen Wechsel ins Bergische schmackhaft machen wollte. Anger sagte ab, weil ihm der Aufwand zu hoch und der mögliche Ertrag zu gering war. „Natürlich habe ich mir ein paar Gedanken darüber gemacht“, erzählt Anger. Riskiert hätte er es höchstens dann, wenn einer der Top-5-Vereine aus der Bundesliga an ihn herangetreten wäre: „Flensburg oder Kiel, das wäre was gewesen.“ Es dauert nur ein paar Sekunden, bis der Realist Anger durchkommt: „Wahrscheinlich hätte es dafür bei mir sowieso nicht gereicht.“ Es klingt sehr ehrlich.

Die obere Etage: Wenn Marius Anger zum Wurf ansetzte, konnte die Abwehr oft nur von unten zuschauen. (Foto: Thomas Ellmann)

Der Verzicht war eine Entscheidung für die sichere berufliche Zukunft als Projekt-Ingenieur im Anlagen-Bau. Außerdem wollte Anger unbedingt einen Master-Abschluss in Angriff nehmen, sodass sich insgesamt neben der körperlichen sowieso auch eine intensive zeitliche Belastung ergab. Und der wichtigste Aspekt in der Karriere des Handballers Marius Anger: Er ist heimatverbunden, er liebt seine Familie und seine Freunde, mit denen er so viel Zeit wie eben möglich verbringen möchte. Deshalb wird das aktuelle Team für ihn nie Vergangenheit sein, sondern stets Gegenwart bleiben: „Mit diesem Zusammenhalt macht das Bock. Diese Mannschaft ist echt geil.“ Weil das so ist, kam ein Wechsel im Grunde niemals ernsthaft in Frage. Und wenn das interne Klima anders (schlechter) gewesen wäre, hätte er die Karriere wohl früher beendet.

Als vor knapp einer Woche die Saison in der Regionalliga begann, gewann der TuS 82 bei der HSG Siebengebirge sehr überzeugend mit 30:22 – was der Handballer im vorzeitigen Ruhestand ziemlich großartig fand und in seinem Schritt sogar bestätigte: „Es fühlt sich auf jeden Fall richtig an. Und ich habe derzeit keine Probleme mit dem Rücken.“ Darüber hinaus genießt er das Gefühl, sich nicht mehr zum Training oder zum Spiel quälen zu müssen. „Diese Freiheit ist mir viel wert“, betont Anger. So freut er sich riesig darauf, am kommenden Wochenende an der Geburtstagsfeier eines guten Freundes teilnehmen zu können, während die Opladener bei ihrer Heimpremiere gegen den TV Jahn Köln-Wahn eine schwierige Aufgabe angehen. Ursprünglich hatte der TuS 82 geplant, den ehemaligen Kapitän an diesem Samstag vor „seinem“ Heimpublikum gebührend zu verabschieden. Das werden sie nun am 5. Oktober rund ums Heimspiel gegen den TV Aldekerk nachholen.

Es wird sicherlich eine Portion Wehmut bei allen mit an Bord sein. Die Verantwortlichen und die Spieler haben sich aber auf der anderen Seite auf die Veränderung rechtzeitig eingestellt. „Wir sehen jetzt den neuen TuS 82“, sagt Trainer Voigt, der zu Marius Anger ein sehr vertrauensvolles Verhältnis hatte: „Auf Marius konnte ich mich immer voll verlassen.“ Der nun ehemalige Spieler geht übrigens gleichfalls fest davon aus, dass die Opladener ohne ihn ebenfalls eine gute bis sehr gute Rolle einnehmen werden: „Wir haben von der Bank weg eine sehr starke Mannschaft. Sie hat das Zeug, unter die ersten drei zu kommen.“ Klappt das, würde es sogar perfekt zum Steigerungslauf des TuS 82 in den vergangenen Jahren mit den Plätzen sechs, fünf und vier passen. Dann wären alle Opladener mit sich im Reinen. Marius Anger ist es jetzt schon.