Regionalliga Nordrhein
Vier Wölfe: Eine ziemlich verrückte Familie
Dirk, Tom und Mats Wolf sind erfolgreiche Handballer. Alle drei wissen, dass sie ohne ihre Frau/Mutter Petra nie so weit gekommen wären.

Drei Männer und ein Tor: Tom, Dirk und Mats Wolf (von links) sind gemeinsam dem Handball verfallen. (Foto: Sven Frank)

Ob in Mönchengladbach oder Umgebung schon Wölfe gesichtet wurden? Naturforscher oder Tier-Wissenschaftler werden die Frage vermutlich nicht beantworten können – und falls doch, vermutlich mit einem Nein. Handballer verstehen die Frage wahrscheinlich nicht, weil die richtige Lösung eindeutig ist: Aber sicher. Das war früher schon so. Und es hat sich nicht geändert. Jetzt war das Rudel mal wieder fast komplett – passenderweise auch noch in der Waldsporthalle des TV Korschenbroich. Der Regionalligist stellte seine Spielstätte leihweise dem Handball-Zweitligisten HSG Konstanz zur Verfügung. Die Gäste vom Bodensee wollten sich am Abend zuvor in Ruhe auf das Meisterschaftsspiel bei TuSEM Essen vorbereiten – weil die Anreise am Spieltag selbst in der 2. Liga doch nicht mehr so richtig üblich ist. Kapitän der HSG: Tom Wolf (25). Trainer und Spielmacher des TVK: Dirk Wolf und Mats Wolf (22). Also konnte Tom Wolf in der alten Heimat erstens die Halle „buchen“ und zweitens ein Familientreffen organisieren. Um seine Eltern und den Bruder mal wieder ein bisschen länger zu sehen, hatte er sich sogar einen Tag früher als die Konstanzer Teamkollegen auf dem Weg ins Rheinland gemacht. Und er blieb anschließend einen Tag länger. Fazit: Die Familien-Zusammenführung gelang. Über den sportlichen Erfolg wird später noch zu reden sein.

Drei der Wolfs treffen sich mit den Harzhelden zum Gespräch. Drei Dinge sind festzuhalten. Es ist eine angenehme Runde. Bei allen ist die Leidenschaft für den Handball zu spüren. Außerdem ist es für Dirk, Tom und Mats Wolf so, als seien sie gerade zu viert. Der Satz, der Liebe und Respekt zusammenfasst: Ohne Petra Wolf, die Frau und Mutter, wäre das sportliche Leben der drei Männer so nicht möglich – gestern nicht und morgen nicht. Fahrdienst, Wäsche-Service, Trost oder gelegentlich eine klare Ansage gehören zu ihren wichtigen Beiträgen. Petra Wolf kann auch sachlich mitreden, weil sie früher selbst Handball gespielt hat und sich in der Szene auskennt. Wer hat da zu Hause den Hut auf? Dirk und Mats Wolf grinsen. Tom Wolf hält sich heraus: „Weiß ich nicht, ich wohne ja nicht mehr zu Hause.“

Sein aktuelles sportliches Zuhause ist momentan das fast 600 Kilometer entfernte Konstanz, das ihm eine perfekte Kombination bietet – für Handball unter professionellen Bedingungen auf der einen Seite und ein Studium der Psychologie auf der anderen Seite. Die Kooperation des Vereins mit der Uni Konstanz und die sich daraus ergebenden Möglichkeiten waren 2017 einer der Gründe dafür, dass Tom Wolf seine Heimat am Niederrhein verließ. Nachdem er zunächst aus Korschenbroich zur DJK Adler Königshof (damals Oberliga) gewechselt war und dort beim Aufstieg in die Regionalliga geholfen hatte, zog es ihn nun ins südliche Baden-Württemberg an die Grenze zur Schweiz. Dort musste die HSG zunächst den Abstieg aus der 2. in die 3. Liga hinnehmen, die im Sommer 2018 mit einer spektakulären Partie begann. Konstanz erlangte plötzlich bundesweit Berühmtheit. Im Mittelpunkt: Tom Wolf. Er wird den 25. August 2018 vermutlich nie vergessen. Handball-Deutschland auch nicht.

Sprechzeit: Dirk Wolf, Tom Wolf und Mats Wolf (von links) genießen die seltene Gelegenheit zum persönlichen Austausch. (Foto: Sven Frank)

Die HSG startet das Unternehmen Wieder-Aufstieg mit dem Spiel beim TuS Fürstenfeldbruck – der sich so heftig wehrt, dass er die Konstanzer am Rand einer Niederlage hat. Beim Stande von 23:24 haben die Gäste einen letzten Angriff – den der TuS abwehren kann. Die Unparteiischen geben allerdings noch einen Freiwurf. Aus dem entwickelt sich eine der irrwitzigsten Szenen. Tom Wolf tritt an. Ein winziges Plus: Er sieht sich „nur“ einer Fünf-Mann-Mauer gegenüber, weil Fürstenfeldbruck eine Zeitstrafe kassiert hat und dezimiert ist. Wolf lässt sich was einfallen. Er knickt artistisch zur Seite weg. Er bringt einen gefährlichen Aufsetzer zustande, den der TuS-Keeper nicht erreichen kann. Das Spielgerät macht sich auf den Weg ins rechte obere Eck. Konstanz richtet sich schon auf den großen Jubel ein. Und ist wenig später fassungslos. Der Ball bleibt kleben, genau im Eck zwischen Latte und Pfosten. (Zum Video)

Für die 650 Zuschauer in der tobenden Halle ist das eine unwirkliche Szene. Auch für Tom Wolf, der zuerst eine Weile fassungslos am Boden hockt, ehe er enttäuscht aufsteht und resigniert abwinkt. Die gesamte Szene verbreitet sich anschließend rasend schnell in der Handball-Welt. Wolf wäre damals, hätte es die Harzhelden bereits gegeben, der Harzheld des Jahres geworden. Viele nennen seinen Wurf dann das „Nicht-Tor des Jahrhunderts“. Und es ist auf jeden Fall ein Beleg dafür, wie faszinierend der Handball mit seinen Emotionen und Leidenschaften sein kann. Es ist eben manchmal ein Spiel, das auch Leiden schafft. Gut ein Jahr später sitzt Tom Wolf entspannt im Besprechungsraum der Waldsporthalle. Das Drama von damals hat ja am Ende keinen Schaden angerichtet, weil die HSG mit 51:9 Punkten trotz allem sehr souverän die Rückkehr in die 2. Liga schafft.

Mats Wolf kennt die Geschichte natürlich ebenfalls in- und auswendig. Dabei gönnt er seinem Bruder sowieso den maximal möglichen Erfolg – was ganz auf Gegenseitigkeit beruht. Wer der Bessere von beiden sei? Mats zeigte entspannt auf Tom: „Er.“ Und für den Studenten selbst käme ein derartig hoher Aufwand, wie ihn die 2. Liga erfordert, auch nicht in Frage – wobei Mats beinahe sogar in der „falschen“ Sportart gelandet wäre: „Ich habe ja zuerst mit Fußball angefangen.“ Letztlich konnte er dem Virus Handball in der Familie allerdings nicht entkommen und Mats ist sicher nicht weniger ehrgeizig als der ältere Bruder. Erstaunlich: Beide haben sogar dieselbe Position, denn sie sind auf der Rückraum-Mitte für die Lenkung des Spiels verantwortlich. Das war in der früheren gemeinsamen Zeit in Königshof kein Problem, weil Tom mit seinen 1,97 Metern einigermaßen mühelos in den halblinken Rückraum ausweichen kann. Mats bringt „nur“ 1,87 Meter auf die Platte und ist deshalb ein ganz anderer Typ Regisseur. Sollte er seinen TVK mittelfristig in die 3. Liga zurückführen können, hätte er auf seine Art trotzdem wenig dagegen. Langfristig könnten sich beide vorstellen, vielleicht noch einmal gemeinsam aufzulaufen.

Bei Vater Dirk Wolf ist der Stolz auf seine Söhne zu spüren. Dass er deren Weg weiter intensiv begleiten wird, steht fest. Der Weggang von Tom an den Bodensee hat seiner Frau Petra und ihm damals schon zu schaffen gemacht: „590 Kilometer sind weit. Die fährst du nicht mal eben zwischendurch.“ Deshalb genießen sie die seltener gewordenen Momente, in denen sie sich treffen können – wie jetzt auf der Reise der HSG Konstanz durch halb Deutschland. Dass sich dabei für keinen der Wolfs der erhoffte sportliche Erfolg einstellt, wissen sie beim Training in der Waldsporthalle noch nicht. Konstanz hat zuvor fünf unfassbar knappe Ergebnisse erzielt – 23:24 beim TV Hüttenberg, 23:25 gegen Bietigheim, 23:23 gegen ASV Hamm, 26:27 in Eisenach, 29:28 gegen Bad Schwartau. In Essen gibt es mit dem 21:32 die erste deutliche Niederlage. Kapitän Tom Wolf erzielt zwei Tore, die ihn aber nicht wirklich trösten können.

Dirk Wolf und Mats Wolf haben es einen Tag später im Spitzenspiel der Regionalliga mit dem TuS 82 Opladen zu tun. Der TVK trägt gemeinsam mit den Gästen zu einem tollen Duell bei, das vielleicht keinen Sieger verdient gehabt hätte. Wenige Sekunden vor der Schluss-Sirene gelingt aber Opladens Vincent Gremmelspacher das 24:23 – das  den TuS 82 glücklich macht und Korschenbroich enttäuscht zurücklässt. Klar: Korschenbroich hätte lieber gewonnen. Trotzdem gibt es eine ganz wichtige Erkenntnis: Mats Wolf ist nach einer langen Verletzungspause wieder da, denn er hält den TVK bis zum Schluss im Spiel und erzielt mit dem späten 23:23 den letzten seiner vier Treffer. „Eine richtig starke Leistung“, findet nicht nur Trainer-Vater Dirk Wolf. Später können sie zu viert von rechts nach links diskutieren, wie alles passieren konnte und wie alles zusammenhängt. Petra Wolf wird ihre Sicht der Dinge einbringen, Kritik loswerden oder Trost spenden. Das ist dann wie immer, wenn das Wolfs-Rudel komplett ist.