07. Oktober 2019 | Zurück zur Artikelübersicht » |
Es ist die Geschichte zweier Brüder, die derselben Leidenschaft verfallen sind. Beide sind Handballer auf einem hohen Niveau. Und beide sind echte kölsche Jungs mit allem, was dazugehört: Zusammenhalt, Heimat, Freude, Freunde, Feiern, mit dem anderen leiden. Da passt es eigentlich ganz gut, dass sie für verschiedene Vereine unterwegs sind: Dennis Mestrum (28) für den Longericher SC, Daniel Mestrum (26) für den VfL Eintracht Hagen. Am vergangenen Freitagabend erwartet der LSC den Zweitliga-Absteiger Hagen zur Top-Partie des siebten Spieltages. Die verantwortlichen Trainer Ulli Kriebel (Hagen) und Andreas Klisch wissen, dass die Mestrums auf dem Feld auf jeden Fall direkten Kontakt haben werden, weil der eine (Dennis) auf Rechtsaußen zu Hause ist und der andere auf Linksaußen. Heißt übersetzt: Als Abwehrspieler bekämpfen sie sich gegenseitig, als Angriffsspieler wollen sie gerne jede Lücke beim anderen nutzen. Trotzdem zögern die Trainer keine Sekunde mit der Start-Aufstellung, weil sie den jeweils größten möglichen Erfolg verspricht. Dass später vieles anders kommt, ahnt natürlich noch niemand. Feiern wird am Ende nur Gesamt-Longerich, weil der Außenseiter die über 60 Minuten spannende und am Ende dramatische Partie mit 27:26 für sich entscheidet.
Weil Kriebel und Klisch ihre Spieler und deren Einstellung zum Handball genau kennen, haben sie nichts dagegen, dass sie sich eine gute Stunde vor dem Anpfiff noch zum Gespräch mit den Harzhelden treffen. Das ist geprägt von einer freundschaftlichen, aber nicht albernen Stimmung – denn beide haben über den Handball hinaus etwas zu sagen. Und wenn es gleich zum direkten Zweikampf kommt? Tenor: Dann werde jeder seinen Vorteil suchen. Auf der anderen Seite ist es keinem gleichgültig, dass er da seinen Bruder vor sich hat. „Mit Absicht ein Bein werden wir uns natürlich nicht stellen“, betont der knapp drei Jahre ältere Dennis, der ein echtes LSC-Urgestein ist und inzwischen seit zwölf Jahren für die erste Mannschaft der Kölner auf die Jagd nach Toren geht. Sein Motto: Einmal Longerich, immer Longerich. Geschadet hat es bisher niemandem – weder dem Verein noch dem Studenten der Rechtswissenschaften, für den Handball als Profi-Sport nie richtig in Frage kam.
Die Karriere von Daniel Mestrum sieht etwas anders aus, denn er verließ den LSC im letzten Jahr als Jugendlicher, um es in der etwas größeren Handball-Welt zu versuchen. Über Dormagen, den DHC Rheinland, den TV Korschenbroich und den TuS Ferndorf schaffte er es bis in die Bundesliga zum bergischen Traditionsklub VfL Gummersbach – was zumindest die Erfüllung eines kleinen Traums war: „Ich stecke mir immer gerne Ziele. Und eins war, in die 1. Liga zu kommen.“ Seit 2017 gehört er nun zum Aufgebot der Hagener, die am Ende der vergangenen Saison als Vorletzter den Abstieg aus der 2. Liga hinnehmen mussten.
An den Arbeits-Bedingungen für die Eintracht-Handballer, die am liebsten den direkten Wieder-Aufstieg in die 2. Liga schaffen wollen, hat sich danach offensichtlich wenig geändert. „Ich bin Profi“, sagt Daniel Mestrum, der noch für die kommenden drei Jahre einen Vertrag beim VfL hat. Unter anderem für die Zeit nach der Sportler-Karriere hat er 2017 ein eigenes Unternehmen für TV-Halterungen gegründet. Da hat er dann auch keine Berührungsängste zu den Herrschaften mit dem etwas größeren Ball, denn zu seinen Kunden zählen unter anderem einige Fußball-Profis. Dennis Mestrum, als Außen ähnlich zügig unterwegs, zeigt jetzt trotzdem mal kurz mit dem Finger auf seinen Bruder: „Er hätte bei jedem Verein spielen können, wollte aber Köln einfach nicht verlassen.“ Das schränkt die Auswahl zwar ein, doch es gab ja offensichtlich in der erreichbaren Gegend in NRW durchaus die eine oder andere passende Alternative.
Dass der „Hagener“ seine Heimatstadt nicht verlässt, fördert zusätzlich den innerfamiliären Zusammenhalt, weil sich die Mestrums oft treffen, um beispielsweise über den Handball zu diskutieren oder einen Teil der Freizeit miteinander zu verbringen. Deshalb ist es kein Problem, dass die Trainer Kriebel und Klisch gerade das Zeichen für die jeweilige Mannschaftssitzung fürs bald beginnende Spiel geben. Die Brüder verabschieden sich nach einer herzlichen Umarmung in verschiedene Richtungen. Sie wissen: Gleich geht es zur Sache – im ersten direkten Pflichtspieltreffen der Brüder Mestrum. Sie glauben: Es wird ein toller Handball-Abend. Der letzte Punkt geht allerdings nur zum Teil in Erfüllung. Höchstens.
In der dritten Minute zeigt Daniel Mestrum zum ersten Mal seine Qualität, als er mit einem nicht zu verteidigenden Tempogegenstoß zum 2:0 für Hagen trifft. In der zwölften Minute bringt er Hagen mit 6:5 nach vorne und die Welt scheint in Ordnung zu sein. Plötzlich gibt es das erste Anzeichen dafür, dass etwas ganz und gar nicht stimmt, denn der Linksaußen greift sich nach dem Zurücklaufen an den Fuß. Wenig später ist er draußen und lässt sich behandeln. In vorsichtigen Versuchen testet er, ob es eventuell irgendwie weitergehen könnte. Das ist nicht der Fall und Mestrum verfolgt den Rest der ersten Halbzeit mit fast unbewegter Miene. In der Pause macht er sich dann sofort auf den Weg ins Krankenhaus, wo die eingehende Untersuchung ein klare Diagnose ergibt: Der Mittelfuß ist gebrochen. Sein Trainer Kriebel bringt auf den Punkt, was alle denken – selbstredend auch die Longericher Freunde: „Das ist ganz bitter für Messi.“ Nach der für Dienstag vorgesehenen Operation wird definitiv eine längere Pause folgen – womit das Handball-Jahr 2019 gelaufen wäre.
Während Daniel Mestrum längst in der Klinik ist, bekämpft der LSC die Hagener vorwiegend mit Leidenschaft – wie in jener Szene, als Dennis Mestrum beim Stande von 11:12 den Gegenstoß-Versuch des Hageners Valentin Schmidt durch höchsten Einsatz unterbindet. Später fiebert Mestrum eher von draußen mit, weil die Longericher umstellen, um die Gäste immer wieder vor neue Aufgaben zu stellen. Dass Dennis vorher keinen freien Wurf bekommt und demzufolge kein Tor erzielt, ist ohnehin sein geringstes Problem. Als Teamplayer feiert er später begeistert mit, nachdem Simon Schlösser in der allerletzten Sekunde zum 27:26-Erfolg getroffen hat. Und als Bruder leidet er mit Daniel. Vermutlich hat er ihm direkt die folgende Botschaft übermittelt: Wir sind kölsche Jungs. Du schaffst das.