16. Oktober 2019 | Zurück zur Artikelübersicht » |
Diese Zeiten sind vorbei. Zumindest vorerst. Leichlingen nennt sich ja die Blütenstadt. Aber große Träume blühen im Moment nicht mehr. Und es hat viel damit zu tun, was im Portemonnaie zu finden ist – jenem kleinen Behältnis zum Aufbewahren von Geld. Einfaches Beispiel: Wer mal hundert Euro ausgegeben hat und jetzt nur 50 hat, muss sein Verhalten den neuen Gegebenheiten anpassen. In der Übertragung auf einen Sportverein allgemein und eine Handball-Mannschaft besonders ergibt sich daraus ein Zwang zum Sparen – weil die Mittel sonst nicht reichen und im schlimmsten Fall sogar der Spielbetrieb bedroht ist. So ähnlich stellte sich die Entwicklung beim Leichlinger TV dar, der einst zu den Top-Teams der Klasse gehörte und regelmäßig ziemlich weit vorne zu finden war. Noch am Ende der Saison 2017/2018 wurde der LTV in der Abschluss-Tabelle Dritter – direkt hinter den heutigen Zweitligisten TuS Ferndorf und TSV Bayer Dormagen. Am Anfang der Serie 2018/2019 kam Lars Hepp als neuer Trainer, der mit dem Team über eine starke Hinrunde und eine deutlich schwächere Rückrunde als Neunter abschloss. Sein durch den Verein festgelegter Arbeitsauftrag: Sparkurs fortsetzen, Umbau weiterführen. Damit war längst klar, dass die Mannschaft künftig ein anderes Gesicht haben wird.
Die meisten Neuen kamen aus unteren Klassen – wie Alexander Senden (TV Jahn Köln-Wahn/Regionalliga), Tim Blum (LTV Wuppertal/Oberliga), Thorben Richartz (Bergischer HC II/Oberliga), Fabian Graef (SG Überruhr/Landesliga) und Fynn Natzke, den die Leichlinger aus der eigenen zweiten Mannschaft aus der Kreisliga hochzogen. Drittliga-Erfahrung brachten Maurice Meurer (SG Langenfeld) und Torhüter Linus Mathes (TSB Heilbronn-Horkheim) mit, während Lars Jagieniak (HSG Krefeld/TSV Bayer Dormagen) sogar schon in 2. und 3. Liga unterwegs war. Sie alle sind um die 20 oder nur etwas darüber und stehen fast durchweg am Anfang ihrer Entwicklung. „Das ist der neue Weg in Leichlingen“, sagt Hepp, der die Vorgaben natürlich mitträgt, „wir wollen mit jungen und unfertigen Spielern arbeiten, die im Extremfall einen Bezug zu Leichlingen haben. Wir wollen ein Ausbildungsverein sein – durchaus für die Spieler mit dem Blick auf die 1. und 2. Liga.“
Der Kurs ist nicht ohne Risiko – weil im Handball nicht nur Einzelfertigkeiten zu berücksichtigen sind. Der Sport ist komplex und es dauert immer eine ganze Weile, bis Abläufe richtig sitzen. Das gilt schon dann, wenn eine Mannschaft im Umbau durch relativ viele erfahrene Kräfte ergänzt wird – und erst recht dann, wenn eine ganz andere Mischung an den Start gehen soll. Trotzdem war der Start in die Saison sehr schmerzhaft, zumal bei den Rhein Vikings (30:31), gegen den Wilhelmshavener HV (23:27), beim TSV GWD Minden II (31:31), gegen die SG Menden Sauerland Wölfe (22:25), gegen den TuS Spenge (23:25), bei LiT Tribe Germania (25:27) durchaus der eine oder andere Punkt mehr drin gewesen wäre. Besonders die Niederlage gegen die Wölfe tat richtig weh, weil die SG bisher bloß genau diese Partie für sich entscheiden konnte.
Nicht unbedingt schön war das Heimspiel gegen den OHV Aurich, aber am Ende sahen sich die Leichlinger für ihren Einsatz und ihre Leidenschaft belohnt – 22:21, weil Tim Blum auf den letzten Drücker einen Siebenmeter nutzte. Der erste Saison-Erfolg war vielleicht die Initialzündung, auf die sie beim LTV fast sehnsüchtig gewartet haben, denn eine Woche darauf passierte fast Unmögliches: Hepps Mannschaft gewann beim Zweitliga-Absteiger VfL Eintracht Hagen – nicht mal glücklich, sondern verdient, wie auch Hagens Coach Ulli Kriebel einräumte. Aus dem 13:18 der ersten Halbzeit machte der krasse Außenseiter beim 18:18 (37.) den ersten Ausgleich und ab dem 19:18 (38.) gab er die Führung nicht mehr ab. Das Tor zum 14:18 (31.) erzielte der „Alt-Leichlinger“ Maik Schneider, der etwas später zum 23:20 traf (47.). Die acht Treffer dazwischen teilten sich die „Neu-Leichlinger“ Lars Jagieniak (4), Fynn Natzke (2) und Maurice Meurer (2). Es war eine Phase, in der die veränderte Mischung besonders gut funktionierte.
Die beiden Siege bedeuten bestimmt nicht, dass die Leichlinger in Sicherheit sind. Auf Rang elf beträgt der Vorsprung zum Schlusslicht Wölfe ja weiter nur zwei Zähler. „Die Lage ist ernst“, weiß Hepp. Auf der anderen Seite haben alle Beteiligten am Projekt LTV 2.0 viel Zuversicht gewonnen: „Die Entwicklung geht bergauf und wir haben jetzt die Gewissheit, dass wir mit den anderen Vereinen mithalten können.“ Erfahrene Kräfte wie Maik Schneider (31) und Alexander Kübler (30) sind dabei aufgrund ihres Erfahrungs-Vorsprungs als Vorbilder weiter besonders gefragt, zumal zwei Stammkräfte langfristig ausfallen werden: Allrounder Sebastian Linnemanstöns (Knöchel) und Rückraumspieler Alexander Senden (Knie) sind verletzt.
Lieber gestern als heute sähen die Leichlinger ihren über viele Jahre überragenden Regisseur zurück auf dem Feld. Valdas Novickis hat die Folgen eines Achillessehnen-Risses auch gut überstanden und ist längst heiß auf sein Comeback – das im Moment aber zu früh sein dürfte, zumal der LTV den routinierten Denker und Lenker (33) im weiteren Verlauf der Serie vermutlich noch dringend braucht. Die 3. Liga ist schließlich in diesem Jahr extrem ausgeglichen und kein Verein in Sicht, der frühzeitig den Anschluss verliert. Auch die neuen Leichlinger scheinen ja grundsätzlich mithalten zu können, ohne dass sich darauf eine Garantie auf weitere Siege ableiten lässt. Die große Chance, noch mehr festen Boden unter die Füße zu bekommen, bietet das Heimspiel am Freitagabend gegen den punktgleichen VfL Gummersbach II (beide 5:11).
Den Gummersbachern ging es zuletzt ebenfalls nicht besonders gut, ehe sie am vergangenen Wochenende den deutlich höher eingeschätzten Longericher SC mit 36:29 beherrschten. Schlussfolgerung: Der VfL bringt ebenfalls neues Selbstbewusstsein mit und er wird auf Leichlinger Befindlichkeiten wenig Rücksicht nehmen. Der LTV will dem erneut mit Leidenschaft begegnen, um vielleicht den dritten Sieg hintereinander einzufahren. Der wäre aus seiner Sicht das nächste Signal dafür, dass der schwierige Umbau trotzdem zu einem festen Platz in der 3. Liga führt. Das ist unter dem Strich so etwas wie der neue Traum der Leichlinger. Alles andere sind Träumereien und diese Zeiten zumindest vorerst vorbei.