Regionalliga Nordrhein
Derby an der Grenze: Weiden und Aachen sind heiß auf die „Hölle West“
Die beiden Nachbarn verbindet bei aller Rivalität eine Menge. Die Trainer "Giovanni" Heckhausen und Martin Becker sind befreundet. Besonders im Fokus steht Torjäger Simon Bock.

Das Ziel im Blick: Weidens Simon Bock (mit Ball) gehört zu den besten Werfern der ganzen Regionalliga. (Foto: Herbert Mölleken)

Das ist es nur auf den ersten Blick: Mittelmaß. Der Achte trifft auf den Neunten. In Wirklichkeit ist es aber das ungewöhnlichste Derby des Jahres. Die Paarung sagt schon alles: Der HC Weiden erwartet am Samstag den BTB Aachen. Die ganze Gegend in der Nähe der Grenzen zu Belgien und den Niederlanden fiebert dem Spiel seit Wochen entgegen. Es ist zuerst die Geschichte einer alten sportlichen Rivalität zwischen zwei Nachbarn. Es ist dann die Geschichte von Simon Bock, der in der Gegend zu Hause ist und im vergangenen Sommer aus Aachen nach Weiden ging. Und es zum Schluss die Geschichte zweier Trainer, die eng miteinander befreundet sind. Weidens Andreas „Giovanni“ Heckhausen und Aachens Martin Becker kennen sich selbst und die jeweils andere Seite so gut, dass es (fast) keine Geheimnisse mehr gibt. Das Spiel hat derart viele erstklassige Zutaten, dass sich Handball-Freunde auf ein Mehr-Gänge-Menü der gehobenen Klasse freuen dürfen – passende Getränke und Nachtisch eingeschlossen. Schauplatz ist die Halle an der Parkstraße in Würselen, die sie bei den Weidenern gerne „Hölle West“ nennen. Tatsächlich spricht viel für einen besonders heißen Handball-Abend.

Heckhausen und Becker kennen einander seit einer halben Ewigkeit. Der eine (Heckhausen) war zwischendurch auch Trainer des anderen – der später dessen Job als Trainer in Aachen übernahm. Heckhausen und Becker leben nur einen 50-Meter-Steinwurf voneinander entfernt und sie unternehmen auch privat in der Freizeit immer wieder Dinge, die nichts mit dem Handball zusammen. Was woanders eher undenkbar wäre, ist hier völlig normal: In dieser Woche hatten sie sich für Dienstagabend zum Bier und einer Runde Darts verabredet. Von Handball war in diesem kostbaren Zeitraum ausnahmsweise weniger die Rede. Die Herren brauchen sich gegenseitig sowieso wenig vorzumachen – weil es wohl kaum richtig gelingen würde. Was wiederum nicht heißt, dass sie nicht an etwas Neuem basteln. „Wir werden uns schon etwas einfallen lassen“, sagt Becker.

Auszeit: Aachens Trainer Martin Becker (rechts) will sich in Weiden das eine oder andere einfallen lassen. (Foto: Thomas Elllmann)

Besondere Motivationskünste brauchen beide nicht aufzubieten, weil auf natürliche Art und Weise viele Emotionen da sind. Eine der Hauptfiguren in diesem Spektakel wird Simon Bock sein, der als wurfstarker Linkshänder zu einer besonders begehrten Sorte Handballer gehört. Der gebürtige Herzogenrather wechselte nach seiner Zeit in Bardenberg und Westwacht Weiden zum damaligen Drittligisten TV Korschenbroich, der am Ende der Saison 2017/2018 in die Regionalliga abstieg. Da war Bock bereits nicht mehr an Bord, weil er nach nur sechs Monaten Korschenbroich zurück in seine Heimat ging und dort den BTB Aachen verstärkte. Hier erzielte er seine Tore bis zum Ende der Serie 2018/2019, ehe er ein Angebot des HC Weiden annahm. Ausgerechnet Weiden. Das haben ihm bis heute beim BTB längst nicht alle verziehen.

Simon Bock ist im Handball ein Spätberufener, denn er fing erst mit zwölf oder 13 Jahren an. Ganz genau weiß er es selbst nicht mehr. „Eigentlich komme ich vom Fußball und von der Leichtathletik“, erzählt der 23-Jährige, der an guten Tagen ein Spiel durch seine Tore ganz alleine entscheiden kann. Für den Über-Spieler schlechthin hält sich Bock trotzdem nicht: „Ich bin ein miserabler Abwehrspieler.“ Was ihm nach eigener Ansicht vorne fehlt, konnte er über 18 Monate bei Simon Breuer sehen – dem spielenden Sportlichen Leiter der Aachener, der auf dem Feld der Lenker und Denker des BTB ist: „Seinen Unterarmwurf und sein Verhalten in 1:1-Situationen hätte ich gerne.“ In der Summe ist Simon Bock jedoch ebenfalls ein extrem wertvoller Spieler. Wie Breuer kann er jederzeit den Unterschied ausmachen.

HC-Coach Heckhausen versucht, ein bisschen die Schärfe aus dem Derby zu nehmen: „Mir ist es auch wichtig, dass wir alle gemeinsam es schaffen, für den Handball in Aachen und in der Gegend zu werben.“ Für ihn ist es zugleich ein Treffen mit ganz vielen Bekannten, die er zum Teil bereits in der Jugend als Trainer unter seinen Fittichen hatte – wie etwa BTB-Routinier Breuer. Einer der Erfolge: Mit der Aachener C-Jugend wurde Heckhausen damals Mittelrheinmeister. „Am Samstag treffen jetzt zwei Mannschaften mit einer gewissen Strahlkraft in der Region aufeinander. Das sollten wir nutzen“, betont „Giovanni“. Klar: Dass es ein brisantes Treffen ist, lässt sich dennoch nicht ändern. Ab 19.30 Uhr werden auf beiden Seiten für rund 90 Minuten sämtliche Freundschaften ruhen.

Dienstgespräch: Weidens Coach Andreas Heckhausen (Mitte) wird aber vor dem Derby nicht mehr viele Worte verlieren müssen. (Foto: Thomas Schmidt)

Simon Bock, der Polizist in Ausbildung, ist inzwischen voll in Weiden angekommen – und mit ihm der HC in der Regionalliga. Bei der 25:33-Auftaktpleite in Korschenbroich musste der HC in der ersten Halbzeit einiges an Lehrgeld bezahlen, ehe er sich Stück für Stück steigern konnte. Bocks Trefferzahl in den ersten drei Partien: sieben (zwei Siebenmeter), sieben (zwei), sieben (einer). Anschließend gab es noch mehr Bock-Tore – was zu nicht unbedingt selbstverständlichen Siegen über die SG Ratingen (26:25) und SG Langenfeld (28:27) führte. Mit jeweils zwölf Treffern (fünf und vier Siebenmeter) festigte der 23-Jährige seinen Ruf als einer der Top-Werfer in der Regionalliga. Das ist übrigens nicht sein Hauptziel auf dem Feld: „Wenn ich 20 Assists gebe und wir dadurch gewinnen, verzichte ich gerne auf alle meine Tore.“ Handball will er ansonsten immer „nur“ als Hobby mit gehobenem Anspruch betreiben, weil sich mehr mit der Polizei-Ausbildung ohnehin kaum vereinbaren lässt.

Einen Favoriten fürs Derby können die Trainer nicht erkennen und sie gehen bei von einem klassischen 50:50-Spiel aus, in dem die Tagesform entscheidet. „Ich habe ein gutes Gefühl“, erklärt Martin Becker, „da ist viel Feuer drin. Wir freuen uns sehr darauf.“ Kollege/Freund Heckhausen streicht auf der einen Seite noch einmal die „vereinsübergreifende“ Bedeutung heraus – und er wird dennoch mit seinen Weidenern alles in die Waagschale werfen, um die beiden Punkte zu behalten. Irgendwie scheint die Gegend um Würselen und Aachen zu brodeln. Das Derby hat das Zeug zum Spiel des Jahres.