06. November 2019 | Zurück zur Artikelübersicht » |
Das wird und wird einfach nicht besser. Dabei ist es immer noch jener MTV Rheinwacht Dinslaken, der die Handball-Fans in der vergangenen Saison Stück für Stück in seinen Bann zieht. Das Team von Trainer Harald Jakobs, damals im Jahr eins nach dem Aufstieg aus der Oberliga in der Regionalliga am Start, beginnt im November 2018 eine fast unglaubliche Serie. Die sieben Spiele ohne Niederlage am Anfang? Eine Kleinigkeit. Es folgt ein Steigerungslauf von zwölf Auftritten mit zehn Siegen und zwei Unentschieden. Ein Ausrufezeichen: Im Februar gewinnt der MTV beim höher eingeschätzten Titelkandidaten SG Ratingen in einem denkwürdigen Duell mit 23:22. Die Krönung: Am 24. März zerlegt Dinslaken den Meisterschafts-Konkurrenten TuS 82 Opladen in der rappelvollen Douvermannhalle und behält mit 27:19 die Oberhand. Die Meisterschaft scheint nur eine Formsache zu sein, weil nahezu alle Puzzleteile am richtigen Platz liegen. Viel besser kann die Mannschaft nicht spielen. Gut acht Monate später steht fest: Der MTV hat danach nicht mehr annähernd so stark aufgetrumpft. Es folgt eine Zeit voller Leidenschaft, die den Dinslakenern vor allem Leiden schafft. Nach sechs Runden in der Saison 2019/2020 steckt der Vorjahresmeister mit 3:9 Zählern als Vorletzter auf einem Abstiegsplatz fest. Nur über die günstigere Tordifferenz hält sich der MTV vor dem punktgleichen Schlusslicht HSG Siebengebirge. Für Macher Heinz Buteweg, der in Dinslaken Obmann heißt und anderswo wohl den Titel Sportlicher Leiter oder Manager tragen würde, ist die Lage keine besonders große Überraschung: „Es ist eine schwierige Situation, aber unter diesen Umständen habe ich fast damit gerechnet.“ Anders ausgedrückt: Das Team zahlt jetzt einen späten Preis für den damaligen Parforceritt, der nach dem Triumph über Opladen erst richtig zur Tortur zu werden beginnt.
Es folgen zwei Siege und zwei Niederlagen, sodass die Ratinger plötzlich wieder alle Vorteile auf ihrer Seite haben. Es ist kurz darauf auch ein irrwitziger Terminplan, der das Finale bestimmt. Der längst sehr müde wirkende MTV verliert an einem Samstagabend mit 26:34 beim TV Korschenbroich, sodass die erfahrenen Ratinger jetzt wissen, dass ihnen am Sonntagnachmittag bei TuSEM Essen II ein Punkt zum Titel reicht. Essen sorgt jedoch mit seinem 29:28 dafür, dass in Ratingen die große Tristesse ausbricht und der MTV tatsächlich Meister wird. Beide Vereine weisen 38:14 Punkte auf und der SG hilft das deutlich bessere Torverhältnis kein bisschen weiter (plus 85 zu plus 47). Im entscheidenden direkten Vergleich liegt Dinslaken vorne, weil es zwei Mal gegen Ratingen gewonnen hat (30:27, 23:22). Haken: Der Weg in die 3. Liga, der wie ein Traum wäre, führt über eine lange Qualifikation. Buteweg hält das ganz grundsätzlich für einen schlechten Witz: „Ich verstehe das nicht. Der Meister muss doch auf jeden Fall aufsteigen.“
Irgendwo im Hinterkopf taucht kurz die Überlegung auf, es vielleicht lieber gut sein zu lassen und auf den Quali-Marathon zu verzichten. Es siegt trotzdem die Einstellung, die Chance wahrzunehmen. Sie ist schließlich nicht zuletzt für die Spieler die Belohnung für eine unter dem Strich großartige Saison 2018/2019, in der alle so viel Herzblut investiert haben. Der MTV tritt an – und sofort wird klar, dass es vermutlich nicht reichen wird. „Es war ein tolles Erlebnis. Und es ist nicht so, dass wir nicht aufsteigen wollten. Wir hätten wirklich gerne 3. Liga gespielt“, betont Buteweg. Hauptgrund für das folgende Scheitern: „Die Mannschaft war in der Phase der Aufstiegsspiele schon total kaputt.“ Mancher, der längst eine Auszeit gebraucht hätte, legt den Schalter eben auf Reserve um.
Dinslaken scheitert in der Qualifikation zunächst am TV Plochingen – 28:28, 29:34. Auch in der zweiten Runde (Gruppenspiele) reicht es nicht – 23:29 beim HSC Bad Neustadt, 20:24 gegen den TV Kirchzell. Die beiden MTV-Kontrahenten haben es geschafft, während Dinslaken draußen ist. Eigentlich stehen nun Mitte Juni – also fast sechs Wochen nach dem letzten Regionalliga-Spieltag – die gesuchten zehn Aufsteiger zur 3. Liga fest – was dem Deutschen Handball-Bund jedoch nicht genügt. Er will für den extrem unwahrscheinlichen Fall der Fälle, dass Nachrücker gesucht würden, selbst die Plätze elf und zwölf ausspielen. Dinslaken hätte demnach am Pfingstsamstag in Stralsund antreten sollen und am Montag die Gäste von der Ostsee zu Hause erwartet. Jetzt reicht es selbst den Handballverrückten beim MTV und in Stralsund: Weil alle Akkus leer sind, soll gelost werden. Ob und wann das geschieht, interessiert am Niederrhein inzwischen keinen mehr.
Während viele andere Vereine und deren Spieler mit der Vorbereitung beginnen, muss der MTV jetzt zur Erholung dringend jeden Handball in die Ecke legen. Erst im August geht es weiter – aber nicht richtig und mit Volldampf. Personell muss Trainer Jakobs praktisch pausenlos von der Hand in den Mund leben, weil permanent größere Teile des Kaders nicht an Bord sind. Völlig logisch: Wenn fünf Stammkräfte aus der ersten Sieben fehlen, stellt das jeden vor riesige Probleme. Rückraumspieler Max Reede etwa muss die komplette Vorbereitung sausen lassen, auch Dennis Backhaus oder Abwehrspezialist Robert Jakobs hat es erwischt. Entsprechend zerfahren geht es am 15. September los, denn beim TV Jahn Köln-Wahn gibt es eine 26:27-Niederlage – die allerdings trotz aller Sorgen völlig unnötig ist.
Bei der Heimpremiere verkauft sich Dinslaken gegen den starken TV Korschenbroich teuer, verliert aber erneut mit 26:27. Es scheint das nächste Hindernis zu sein: Vor einem Jahr konnte der MTV knappe Spiele sehr oft für sich entscheiden, nun schlägt das Pendel meist in die andere Richtung aus: „Uns fehlt manchmal das Quäntchen Glück.“ Der 32:29-Sieg beim TV Alderkerk ist wie ein Licht am Ende des Tunnels, doch kurz darauf folgt direkt die nächste Hiobsbotschaft: Philipp Tuda, ein echter Führungsspieler, hat einen Kreuzbandriss erlitten. Buteweg: „Er fehlt uns an allen Ecken und Enden.“ Trotzdem erkämpft sich die Mannschaft ein Unentschieden gegen TuSEM Essen II (29:29), bevor sie mit Niederlagen in Ratingen (21:25) und gegen die SG Langenfeld (29:30) tiefer in den Keller rutscht. Zu allem Überfluss verlängert sich die Liste der Verletzten wieder um Dennis Backhaus (Knöchel).
Weil Heinz Buteweg über eine jahrzehntelange Erfahrung im Handball verfügt, weiß er die Lage einzuordnen. Seine Reaktion auf die wenig erbauliche Platzierung weit unten: „Wir verfallen nicht in Panik.“ Bei der Mannschaft hat er erkannt, dass sie aus Angst vor Fehlern zu sehr den Fuß vom Gaspedal nimmt und auf Tempo-Handball verzichtet – was sich seiner Ansicht nach möglichst bald zumindest ein Stück weit ändern sollte. Parallel zur Analyse in Gesprächen mit Trainer Jakobs und den Spielern wollen die Dinslakener auf die Suche gehen und probieren, ob sie vielleicht kurzfristig eine Verstärkung für den geplagten Kader bekommen können. Logisch: Diese Idee ist mitten in einer Saison definitiv doppelt schwierig. Vor allem für den Rest der Hinrunde ist das Ziel ohnehin bescheiden. „Ich hoffe, dass bis Weihnachten noch der eine oder andere Punkt hinzukommt“, meint Heinz Buteweg, „ich traue der Mannschaft zu, dass sie das alles wegsteckt.“
Möglicherweise kann der MTV die Handball-Fans sogar wieder in seinen Bann ziehen, indem er sich Schritt für Schritt aus seiner angespannten Situation befreit. Dass die anderen dabei keine Geschenke verteilen, liegt auf der Hand und wird die Dinslakener nicht überraschen. Am Samstag etwa beim Aufsteiger HC Weiden, der zuletzt im Derby gegen den BTB Aachen chancenlos war (21:26), geht es für beide Seiten um eine Menge. Wer gewinnt, darf aufatmen – Dinslaken erst recht. Sollte der MTV verlieren, führt endgültig kein Weg mehr daran vorbei: Dann schwebt Rheinwacht richtig in Abstiegsgefahr. So richtig glauben mag es noch keiner.