Regionalliga Nordrhein
Das Rätsel Ratingen: Viel Prominenz, zu wenig Ertrag
Die Mannschaft von Trainer Ace Jonovski verfügt über erstklassige Einzelspieler. Trotzdem könnte auch der dritte Anlauf zur Rückkehr in die 3. Liga scheitern.

Star-Treffen: Ace Jonovski (stehend, links), Ali Oelze (Mitte/verdeckt) und Filip Lazarov (rechts) wissen eigentlich, wie der Handball funktioniert. (Foto: Thomas Schmidt)

Der Trainer ist Ace Jonovski (38). Er hat Champions League und Bundesliga gespielt, er gehörte zur Nationalmannschaft Mazedoniens. Ein Eckpfeiler im Rückraum ist Ex-Profi Alexander Oelze, der mit dem Bergischen HC in der Bundesliga und mit den früheren Rhein Vikings bis zu deren Insolvenz in der 2. Liga unterwegs war. Inzwischen ist er der Kapitän der Ratinger. Ebenfalls von den Rhein Vikings zu den Ratingern kam vor etwa einem Jahr Thomas Bahn (29), ein Rückraumspieler mit exzellenter Qualität in der Abwehrarbeit. Beide stießen damals zu einer Mannschaft, in deren Reihen seit sechs Monaten schon Filip Lazarov (34), mazedonischer Nationalspieler und WM-Teilnehmer 2019. Andere wie die Kreisläufer Kai Funke (29) und Christian Mergner (28) können zumindest auf Einsätze in der 3. Liga zurückblicken. Daraus ergibt sich: Beim Training in der Halle an der Gothaer Straße trifft sich viel Prominenz. Daraus ergibt sich auch: Der Aufwand ist hoch, die Besetzung erstklassig – und der Ertrag im Verhältnis dazu ziemlich bescheiden. Das galt bereits für die vergangenen Saison, als die SG auf der Zielgerade den Griff nach der Meisterschaft verpasste. Und das gilt für die aktuelle Serie, in der die Ratinger das Versäumte eigentlich nachholen wollten.

Die heutige SG Ratingen ist ein Kind von Bastian Schlierkamp, der das Projekt 2011 ins Leben rief – in Fortsetzung des Handballs beim Verein „interaktiv“, der sich mit dem TB Ratingen zur neuen SG zusammentat. Es war der Beginn eine Ehe, die zunächst nur eine Richtung kannte: Es ging stetig nach oben, die ersten Herren erreichten nach vier Aufstiegen hintereinander die 3. Liga – über eine dramatische Qualifikation gegen den Longericher SC, den Meister der Oberliga Mittelrhein. Das erste Drittliga-Jahr überstand die SG mit Rang acht und 30:30 Punkten glänzend und auch die folgende Ausbeute mit Platz neun und 27:33 Zählern war sehr anständig.  Alles und alle schienen weiter auf Erfolg getrimmt zu sein, ehe sich ab 2016/2017 vieles änderte für den Verein, bei dem bekannte Trainer wie Pascal Mahé, Richard Ratka und Kalid Khan zu den Jonovski-Vorgängern gehörte. Am Ende der total verunglückten Saison stiegen die Ratinger sang- und klanglos mit 5:55 Zählern wieder aus der 3. Liga ab. Damit lagen sie sogar meilenweit hinter dem Kreis-Nachbarn SG Langenfeld (19:41), dem am Ende gar nicht so viel zum Klassenerhalt fehlte. Seit diesem letzten Saisonspiel am 6. Mai 2017 versucht Ratingen in der Regionalliga Nordrhein, an die alten Zeiten anzuknüpfen, die noch gar nicht so alt sind.

Gruppentreffen: Ratingens Handballer haben immer wieder eine Menge zu besprechen. (Foto: Thomas Ellmann)

Am Ende der Saison 2017/2018 musste sich die SG erstaunlicherweise wieder hinter den Langenfeldern einsortieren, die auf direktem Weg in die 3. Liga zurückkehrten und letztlich sogar sieben Zähler vor dem Zweiten Ratingen lagen. Viel Freude hatte die SGL im Jahr darauf zwar auch nicht, weil sie unter dem Strich in vielen Bereichen nicht drittliga-reif war (und erneut absteigen musste). Deutlich mehr Frust schoben allerdings die inzwischen personell weit überdurchschnittlich aufgestellten Ratinger, die am 23. Februar 2019 ihr Heimspiel gegen den furios durchs Jahr stürmenden Aufsteiger MTV Rheinwacht Dinslaken verloren (22:23) und trotz ihrer Winter-Verstärkungen früh aus dem Rennen zu sein schienen. Der MTV ließ die SG aber aufgrund einer Schwächephase auf den letzten Metern wieder in den Titelkampf zurück. Und die Ratinger hätten am letzten Spieltag nur noch zugreifen müssen. Ergebnis: Bei TuSEM Essen II gab es eine ernüchternde 28:29-Niederlage. Die beiden Spitzenreiter standen nun jeweils bei 38:14 Punkten, sodass der direkte Vergleich entscheiden musste, der zugunsten der Dinslakener ausfiel.

Der dritte Anlauf, den Unfall Abstieg von 2017 zu reparieren, begann vor zwei Monaten direkt mit einer Pleite – 28:31 bei TuSEM Essen II. Es folgten weitere unerwartete Ergebnisse, von denen das 28:28 zu Hause gegen Langenfeld noch in Ordnung ging. Weniger als gar nicht zu Anspruch und Personal passten das 25:26 beim Aufsteiger HC Weiden, der desolate Auftritt und das 26:31 beim damaligen Ersten TuS 82 Opladen sowie das 26:28 in eigener Halle gegen den TV Rheinbach mit der Achse um Spielmacher René Lönenbach und Oliver Dasburg. SG-Chef Schlierkamp ist natürlich nicht einverstanden mit dem Lauf der Dinge: „Klar sind wir damit unzufrieden. Ich habe noch nie so eine Diskrepanz gesehen zwischen dem Potenzial, den Rahmenbedingungen und der Wirklichkeit.“ Weil er als „Erfinder“ der SG für die Entwicklung verantwortlich ist, hat er seinen Standpunkt selbstredend auch den Trainer und Spielern übermittelt. Eine seiner Fragen sei gewesen: „Was können wir tun, was fehlt euch?“ Die Antwort, sagt Schlierkamp, sei auf den Punkt nur ein Wort gewesen: „Nichts.“ Allgemein herrschende Meinung sei, dass der Verein nahezu professionelle Bedingungen biete – worin sich der SG-Chef wiederum bestätigt sieht: „Das ist unser Anspruch.“

Diese Richtung: Möglicherweise kennt ja Kreisläufer Kai Funke den Weg zum Erfolg „seiner“ SG. (Foto: Thomas Schmidt)

Die Realität weist den zumindest vorerst ehemaligen Titelfavoriten mit 7:9 Zählern als Tabellen-Achten aus, der den Spitzenreiter TV Korschenbroich (13:3) im Moment nur schemenhaft zu erkennen vermag. Dass sich daraus bei vielen Konkurrenten nicht nur aus der Regionalliga schnell und gerne Schadenfreude bildet, ist Schlierkamp durchaus bewusst. Und er kann damit offensichtlich leben: „Die SG ist ein besonderer Klub. Wir sind schon immer eine Zielscheibe gewesen.“ Daran wird sich vermutlich so schnell auch wenig ändern, zumal die SG nach der Pleite in Opladen für den Rest dieses Jahres eine aus zwei Forderungen bestehende Marschroute mitbekam. Erstens: In der Meisterschaft sollten es mindestens acht Punkten aus den letzten fünf Spielen sein. Den darin vorsichtshalber eingeplanten Ausrutscher nahm sich die Mannschaft schon mit dem 26:28 gegen Rheinbach, sodass jetzt keinerlei Patzer mehr vorkommen dürfen. Teil eins ihrer Mission erfüllte die Mannschaft mit dem klaren Erfolg beim TSV Bonn rrh. (41:30). Nun folgt das Restprogramm gegen den Aufsteiger HG Remscheid (Elfter/30. November), beim Letzten HSG Siebengebirge (7. Dezember) und gegen den TV Jahn Köln-Wahn (Zwölfter/14. Dezember). Vermutlich wird niemand widersprechen, dass die Ratinger hier dreimal als der Super-Mega-Top-Favorit gelten müssen.

Ein bisschen anders dürfte das bei Punkt zwei der Forderung sein: Die sieht nämlich vor, dass die SG Ratingen den Niederrheinpokal gewinnt und sich so für den Deutschen Amateurpokal qualifiziert. Da wiederum wird sich der Kreis-Nachbar SG Langenfeld seine ganz besonderen Gedanken zu machen. Trainer Markus Becker und seine Mannschaft haben ganz bestimmt nicht vor, das Halbfinale kampflos abzugeben – das sie am 3. Dezember um 20 Uhr in Ratingen bestreiten. Womöglich werden sie bei der SGL sogar auf die Idee kommen, nach dem 28:28 aus der Meisterschaft diesmal noch ein bisschen mehr aus Ratingen mitzunehmen und eventuell das Finale gegen den Sieger des Duells TV Angermund (Oberliga) gegen SG Überruhr (Verbandsliga) zu erreichen. Wer dann mit welchem Aufwand welchen Ertrag erzielt? Es könnte spannend werden.