Regionalliga Nordrhein
Olaf Mast: Champions League mit Kiel, Abstiegskampf mit Wahn
Der frühere Profi hat im Handball fast alles erlebt. Die Arbeit beim TV Jahn Köln-Wahn findet er extrem reizvoll und der Klub wiederum ist glücklich, dass er auf der Trainerposition derart prominent besetzt ist.

Der Analytiker: Still steht Olaf Mast an der Seitenlinie allerdings eher selten. Bei Bedarf greift er auch gerne lebhaft ins Geschehen ein. (Foto: Michael Jäger)

Wer ihm etwas über Handball erzählen will, muss schon ziemlich früh aufstehen. In seiner aktiven Zeit war er mit einem knackigen Wurf ausgestattet – und Linkshänder. Diese Herren gehören im Rückraum heute immer noch oder sogar mehr denn je zu einer besonders begehrten Spezies. Oft genug ticken sie auch besonders. Die Stationen seiner Karriere umfassen so viele Höhepunkte, dass sich daraus ein von der ersten bis zur letzten Seite spannendes Buch machen ließe. Olaf Mast, Zwei-Meter-Mann aus Krefeld, ist ein Spätberufener, als er mit 14 oder 15 (weiß er selbst nicht mehr ganz genau) beim SC Bayer 05 Uerdingen zum ersten Mal etwas ernsthafter einen Ball in die Hand nimmt. Die folgenden Stationen: VfL Eintracht Hagen, TSV Bayer Dormagen, OSC Rheinhausen. Bereits da erlebt er eine aufregende Zeit. Sportlich erreicht Mast dann die höchste Güteklasse, von der 99,99 Prozent aller Handballer nicht mal träumen dürfen: Er wechselt zum großen THW Kiel. Dort wird Mast unter der Trainer-Legende Noka Serdarusic anderem Super-Cup-Sieger und Deutscher Meister. Er spielt Champions League, zu seinen Mitspielern gehören die beiden Schweden Magnus Wislander, der Welt-Handballer des Jahrhunderts, und Staffan Olsson, der Linkshänder-Kollege mit der unverwechselbaren Langhaarfrisur. Olaf Mast ist sportlich ganz oben angekommen. Über zwei Jahrzehnte später hat sich der Trainer Mast aus dem professionell betriebenen Handball zurückgezogen, sich aber natürlich nicht von seiner Leidenschaft verabschiedet – was sowieso nicht zu ihm passen würde. Mast arbeitet heute als Trainer des Regionalligisten TV Jahn Köln-Wahn. Ein Abstieg? Das sehen alle Beteiligten ganz anders. Mast spürt beim Erstkontakt sofort: „Das ist das Richtige für mich.“ Und im Verein sind sie begeistert, dass es damals geklappt hat. „Die Gespräche verliefen auf Anhieb sehr gut und wir hatten innerhalb weniger Tage eine Einigung“, sagt Abteilungsleiter Tobias Carspecken, „ich habe von Anfang an gespürt, dass Olaf der richtige Mann ist. Die Verpflichtung ist sicher außergewöhnlich für einen Verein wie den TV Jahn Wahn, da Olaf mit seiner Vita als Spieler und Trainer zu den Schwergewichten am Mittel- und Niederrhein zählt.“

Aus der Zeit als Spieler beim OSC Rheinhausen (1992 bis 1995) nimmt Olaf Mast jene Erlebnisse mit, die ihn später in seiner Trainer-Tätigkeit prägen werden: Rheinhausen steigt vor höher eingeschätzten Konkurrenten in die 1. Bundesliga auf – weil die Mischung stimmt und eine echte Mannschaft auf dem Platz steht. „Das war unglaublich damals. Es waren alles Jungs, die noch nie in der 1. Liga gespielt hatten“, erzählt Mast, der nach seiner Kieler Station erneut bei Bayer Dormagen, dem TV Krefeld-Oppum und dem TV Korschenbroich vor Anker geht. In der Waldsporthalle ist er zuerst Spieler, dann für ein paar Monate eher Spielertrainer und schließlich hauptverantwortlicher Coach. Übersetzt: Olaf Mast hat die Seiten gewechselt. 2007 steigen die Korschenbroicher in die 2. Liga auf – und nach ein paar Monaten endet die bis dahin sehr erfolgreiche Zusammenarbeit. Mast will eine längere Pause einlegen. Keine Überraschung: Daraus wird nicht wirklich viel. Anschließend geht er in die Verbandsliga und steigt dort mit der DJK Adler Königshof in die Oberliga auf. Dass Mast später aus Spaß an der Freud´ in der dritten Mannschaft des SC Bayer 05 Uerdingen mitmacht, dreht das Rad noch einmal in die andere Richtung. Von November 2011 bis zum Ende der Saison 2012/2013 steht Mast in der 3. Liga an der Linie. Dann tun sich Uerdinger und Adler Königshof zur HSG Krefeld zusammen – und Olaf Mast schiebt das Projekt als Trainer mit an.

Haltestelle: Auf die Paraden von Torhüter Oliver Kierdorf sind die Kölner in dieser Saison noch mehr als früher angewiesen. (Foto: Thomas Ellmann)

Weil die neue HSG in andere Dimensionen vordringen will, fordert das Engagement eine Menge Zeit – am Ende zu viel für Olaf Mast, der bei sich selbst deutliche Anzeichen von steigender Anspannung und sinkendem Spaß an der Sache bemerkt. Weil er Familie und Beruf (Marketing/Öffentlichkeitsarbeit bei einer Sparkasse) immer schwieriger vernünftig mit dem Sport koordinieren kann, zieht der gebürtige Krefelder Mast im November 2017 schweren Herzens die Reißleine – und bittet die Verantwortlichen des damals auf Rang zwei liegenden Vereins, den Vertrag vorzeitig aufzulösen. Nach der Hinrunde 2017/2018 ist für ihn Schluss bei der HSG, die am Ende der folgenden Serie 2018/2019 tatsächlich in die 2. Bundesliga aufsteigen wird. Olaf Mast denkt bei der Trennung, die alle Seiten als „freundschaftlich“ bezeichnen, vermutlich: „Jetzt kann ich die Füße hochlegen und mir mal richtig Zeit für alles andere nehmen.“ Nun ja. Kurz darauf steht fest: Olaf Mast sagt zumindest wieder Jein zum Handball. Er macht weiter, aber anders – beim TV Jahn Köln-Wahn, dessen Hilferuf ihn in seinem Wohnort Dormagen ziemlich schnell erreicht.

Die Kölner waren nach dem Rücktritt ihrer bisherigen Trainer Keno Knittel und Hajo Neeb, die mit dem TV Jahn nach der Vizemeisterschaft in der alten Oberliga Mittelrhein ihre Premierensaison in der neuen Regionalliga Nordrhein auf Rang drei abgeschlossen hatten, plötzlich in einer Notlage, zumal die zweite Serie in der höheren Klasse aus verschiedenen Gründen weniger erfreulich lief. „Wir haben damals den Trainermarkt sondiert und Kontakt zu Olaf aufgenommen“, sagt Abteilungsleiter Carspecken. Mast rechnete gleichzeitig das Angebot des Regionalligisten durch – nicht finanziell, sondern zeitlich. Recht schnell kam er zum Schluss, dieses Engagement stemmen zu können. Und er sagte ohne längeres Zögern zu. Die besondere Struktur des TV Jahn Wahn wirkte dabei wie maßgeschneidert, wie Carspecken zugibt: „Wir trainieren unter Olaf dienstags und donnerstags, also zweimal die Woche. Mittwochs ist dann eine Einheit, die Kapitän Gregor Pohl leitet. Da wird positionsbezogen gearbeitet. Wir haben aus strukturellen und hallenzeit-technischen Dingen mit nur zwei Einheiten pro Woche für die Regionalliga außergewöhnliche Verhältnisse.“ Nur zwei Einheiten dürften sich tatsächlich an der unteren Grenze bewegen: „Wir haben sicher Nachteile gegenüber anderen Regionalligisten. Aber wir versuchen, das Optimale aus dem herauszuholen, was wir haben.“

Olaf Mast - rechts - und Tobias Carspecken von Marcel Fromme

Wir sind uns einig: Trainer Olaf Mast (rechts) und Abteilungsleiter Tobias Carspecken ziehen beim Regionalligisten an einem Strang. (Foto: Marcel Fromme/TV Wahn)

Für Mast war von Anfang an klar, dass er seine Vorstellungen von optimalem Training anzupassen hatte: „Du musst akzeptieren, dass die Uhren hier anders gehen. Für viele Spieler ist Handball auch nicht das Wichtigste, sondern steht nur an zweiter oder sogar an dritter Stelle.“ Den Spagat von Profitum einst zu immerhin leistungsorientiertem Handball auf Amateur-Niveau heute gelang jedoch auf Anhieb ganz gut, denn unter Masts Regie machte der TV Jahn aus den 8:12 Punkten bis zum Ende der Saison 2017/2018 Rang sechs und 33:23 Zähler. Dass die nächste Serie komplizierter werden sollte, hatte viel mit dem Rückzug von Spielmacher Christoph Gelbke zu tun, der später nach sechs Monaten Pause zum Drittligisten Leichlinger TV wechselte und dort schnell zur Stammkraft wurde. „Er hat hier über Jahre alle Entscheidungen getroffen“, meint Olaf Mast, der mit dem Team 2018/2019 über Platz elf (20:32) mit etwas Bauchschmerzen den Klassenerhalt bewerkstelligte – und nun den nächsten personellen Nackenschlag hinnehmen musste. Top-Talent und Haupttorschütze Alexander Senden entschloss sich mit 22, ebenfalls in Leichlingen den nächsten Schritt in seiner Handball-Laufbahn zu gehen. Mast konnte es nachvollziehen: „Er musste gehen. Ich traue ihm eine Menge zu, wenn er gesund bleibt. Er ist klar im Kopf und er ist sehr ehrgeizig. Uns tat es natürlich trotzdem sehr weh, wieder den besten Spieler der Liga zu verlieren.“

Zu Masts Aufgaben im dritten Jahr bei den Wahnern gehört es, um die vorhandenen Führungsspieler wie Keeper Oliver Kierdorf und Regisseur Lars Branding, der sich in den Augen seines Trainers bereits „unglaublich entwickelt hat“, ein Team auf das Feld zu schicken, das den Klassenerhalt schaffen kann. Die Abteilungsspitze weiß, dass sich der erfahrene Coach durchaus anders hätte entscheiden können: „Wir rechnen es ihm hoch an, dass er auch für diese Saison seine Zusage gegeben hat, obwohl die Bedingungen noch einmal schwieriger geworden sind. Der TV Wahn ist nun mal ein Verein, der aus relativ geringen Mitteln viel machen muss.“ Mit 6:10 Punkten ist die Lage vor dem Jahres-Endspurt nicht dramatisch, aber auch nicht gerade rosig: Der Abstand zum MTV Rheinwacht Dinslaken und der HSG Siebengebirge auf den beiden Abstiegsrängen beträgt lediglich drei Zähler. Außerdem warten im ausgehenden Jahr 2019 beim TV Aldekerk (30. November), gegen TuSEM Essen II (7. Dezember) und bei der SG Ratingen (14. Dezember) drei relativ hohe Hürden.

Die Kölner nehmen den weiteren Kampf um den Klassenerhalt trotzdem mit Zuversicht auf. „Olaf genießt in der Mannschaft höchsten Respekt. Er verliert nicht die Ruhe und wir arbeiten zielorientiert weiter“, betont Tobias Carspecken. Der Coach selbst sieht einen besonderen Reiz darin, seine Spieler zu entwickeln und zu besseren Handballern zu machen – und er sieht ihnen Fehler nach. Einen Mangel an Einsatz und Leidenschaft mag er aber deutlich weniger, weil darunter die gemeinsame Sache leide. „Das Geben und Nehmen muss funktionieren“, betont Mast, „wir müssen es über den Teamspirit machen.“  Unter dem Strich hat er richtig Spaß am Unternehmen Klassenerhalt: „Ich stehe vielleicht vor der größten Herausforderung meines Trainerlebens.“ Sollte der Versuch klappen, wären alle in Wahn sehr glücklich. Und es wäre der nächste Beleg dafür, dass es nicht immer die Champions League sein muss. Arbeitstitel für ein Buch von Olaf Mast: „Der Handball hat mich zu dem gemacht, was ich bin.“ Vielleicht beginnt er ja eines Tages tatsächlich damit, anderen was von seinem Lieblingssport zu erzählen.