04. Dezember 2019 | Zurück zur Artikelübersicht » |
Das ist die Lage auf der einen Seite. Der Leichlinger TV steht in der 3. Liga nach 14 Spieltagen mit 8:20 Punkten auf einem Abstiegsplatz. So hatte sich das definitiv keiner vorgestellt, als die personell stark umgebaute Mannschaft im vergangenen Sommer die Vorbereitung auf die neue Saison aufnahm. Weil sie den Kampf um den Klassenerhalt in Leichlingen aus den vergangenen Jahren so gar nicht mehr kennen, weil der LTV früher meist in der ganz oberen Etage der Klasse zu Hause war, könnte leicht Hektik aufkommen – denn der Ausgang des Ganzen sieht ungewiss aus. Dann ist da auf der anderen Seite einer wie Alexander Kübler. Der Kapitän gehört zu den wenigen gebliebenen erfahrenen Kräften des Drittligisten. Als Kapitän ist er zudem gemeinsam mit seinem Vertreter Christoph Gelbke das Sprachrohr der Mannschaft sowie erster Ansprechpartner für Coach Lars Hepp. Deshalb hat sein Wort viel Gewicht. „Wenn du das Training siehst, glaubst du nicht, wo wir in der Tabelle stehen“, sagt Kübler, „wir sind nicht in Panik.“ Daraus ergibt sich in der Übersetzung: Die Mannschaft glaubt an sich und daran, dass sie am langen Ende den Klassenerhalt schafft.
Alexander Kübler kam im Sommer 2018 vom TSV Bayer Dormagen, der seinerzeit gerade die Rückkehr in die 2. Liga realisiert hatte. Den erhöhten Aufwand dort kannte der Kreisläufer erstens aus früheren Jahren und zweitens war er aus beruflichen Gründen nicht mehr in der Lage, das nötige Pensum unter Profi-Bedingungen zu stemmen. Deshalb kam ihm das Angebot aus Leichlingen gerade recht, denn hier ließen sich Handball mit gehobenem Leistungs-Anspruch und Beruf nahezu perfekt miteinander verbinden. Die Voraussetzungen damals: Der Neue fand beim noch von Frank Lorenzet trainierten LTV ein Team vor, in dem in David Kreckler, Henning Padeken, Tim Menzlaff, Bastian Munkel oder Mike Schulz viele Routiniers standen, die im Laufe ihres Handballer-Lebens bis dahin alles erreicht hatten. Klar: Davon konnte nicht zuletzt der Kreisläufer Kübler profitieren. Und er räumt ein, dass der es genossen hat, wenn den routinierten Kollegen immer wieder etwas eingefallen ist: „Das hatte schon Qualität.“
Die erheblichen finanziellen Einschränkungen und der damit verbundene Struktur-Wandel in Leichlingen begannen im Grunde schon kurz nach dem Start in die Saison 2018/2019, die der LTV über Rang drei aus dem Winter letztlich mit 33:27 Punkten als Neunter abschloss. Lorenzet-Nachfolger Lars Hepp bekam den Auftrag, die Mannschaft für 2019/2020 und darüber hinaus neu aufzubauen. Das heißt übersetzt: Er sollte sparen und verjüngen – und gleichzeitig nach Möglichkeit einen klassentauglichen Kader zusammenstellen. Einer, der an Bord blieb: Kapitän Kübler. Unmittelbar vor dem Beginn der zweiten Phase der Sommervorbereitung legte er sogar etwas drauf – weil er seinen zunächst bis Ende der laufenden Saison geltenden Vertrag vorzeitig um zwei weitere Jahre verlängerte. Also wird Kübler wenigstens bis Mitte 2022 für den LTV auflaufen. Die Frage nach dem Warum beantwortet er unmissverständlich: „Weil ich diesen Weg mittrage.“ Ob er es inzwischen bereut hat, weil alles so hart ist? Diese Frage scheint Leichlingens Mannschaftsführer überhaupt nicht zu verstehen. Für ihn ist es logischer Bestandteil des Sports, dass weniger angenehme Situationen vorkommen.
Durch den fast radikalen Umbau und den Weggang einstiger Stützen hat sich viel geändert. Auch für Kübler selbst, der sich ein Lachen kaum verkneifen kann: „Das ist komisch, wenn du mit 29 beim Fußball eben noch zum Team jung gehörst und ein halbes Jahr später plötzlich zum Team alt.“ Die Realität dahinter ist genau jenes Thema, das die Leichlinger in diesen Wochen und Monaten vor große Herausforderungen stellt: Es gibt auf einmal reichlich junge Spieler im Team, die teilweise aus unteren Klassen kommen und nun einen riesigen Sprung zu bewältigen haben. Alexander Kübler blickt auf seine eigene Karriere zurück: „Früher, als ich jung war, also richtig jung, hattest du immer einige Ältere um dich. Da konntest du behütet aufwachsen. Diesen Welpenschutz können wir unseren Jungen heute nicht bieten.“ Spieler wie Timo Blum (vorher LTV Wuppertal/Oberliga), Thorben Richartz (Bergischer HC/Oberliga), Fabian Graef (SG Überruhr/Verbandsliga), Fynn Natzke (eigene zweite Mannschaft/Kreisliga), Maurice Meurer (SG Langenfeld/Absteiger aus der 3. Liga) oder Alexander Senden (TV Jahn Köln-Wahn/Regionalliga) mussten/müssen viel mehr und früher als geplant volle Verantwortung übernehmen. Langsam hineinwachsen? Gestrichen.
Zusätzliches Handicap für den LTV: Seit Wochen hört das Verletzungspech nicht auf. Senden (Syndesmoseband) und Allrounder Sebastian Linnemanstöns (Kreuzband) stehen seit Wochen auf der Liste der Verletzten, die sich nach der 21:28-Niederlage kürzlich im Derby bei den Bergischen Panthern mindestens um Maurice Meurer verlängert hat (Schulter). Damit ist der Plan, im linken Rückraum mit den Talenten Senden und Meurer für Druck zu sorgen, endgültig geplatzt. Und Leichlingen hat auf dieser Seite plötzlich gar keinen gelernten Rückraumspieler mehr – was im Spiel bei den Panthern dazu führte, dass Valdas Novickis plötzlich vermehrt dort auftauchte. Der Regisseur, in Bestform definitiv einer der herausragenden Kreativköpfe der Liga, erlitt im Februar 2019 im Spiel bei der SG Langenfeld einen Riss der Achillessehne. Die Verletzung hat er durch intensive Reha-Arbeit erfolgreich überwunden, sodass er mittlerweile wieder auf dem Feld steht. Sein Comeback gab der 33-Jährige am 18. Oktober im Heimspiel gegen den VfL Gummersbach II – und damit eher als geplant. Seit diesem Tag stellt sich Novickis voll in den Dienst der Mannschaft, die seine Fähigkeiten dringend braucht. Dass nach einer derart langen Drittliga-Pause noch nicht alles beim Alten sein kann, versteht sich von selbst. Hier läuft die Zeit allerdings nicht weg, sondern sie spricht eher für Novickis und die Leichlinger. Jedes Wochenende bringt Fortschritte auf dem Weg zur alten Form.
Alexander Kübler ist bei aller Zuversicht keiner, der über vorhandene Mängel hinwegsieht. „Ich wollte eigentlich einstellig werden. Ich habe nicht die Liga unterschätzt“, sagt der Wahl-Leichlinger, der inzwischen in der Heimat des LTV lebt, „sondern ich habe uns überschätzt.“ Das bedeutet nichts anderes als die Feststellung, dass alle zu selten das seiner Ansicht nach zweifellos vorhandene Niveau abrufen: „Auch ich könnte besser spielen.“ In der Summe führt das jedenfalls dazu, dass die Mannschaft immer wieder qualitativ Ansprechendes zeigt, ohne die benötigte Ernte einzufahren: „In der 3. Liga reichen keine guten 20 bis 30 Minuten.“ Besonders bitter wirkte sich das beim 22:25 nach einer Führung bis in die zweite Hälfte gegen die SG Menden Sauerland Wölfe (Vorletzter) und beim 26:27 nach einem 23:20 in der 51. Minute gegen Gummersbach II aus (Elfter). Mit vier Punkten aus diesen Duellen gegen Konkurrenten im Kampf um den Klassenerhalt sähe die Leichlinger Welt erheblich freundlicher aus.
Zum Abschluss der Hinrunde steht der LTV am Sonntag vor dem Heimspiel gegen die Ahlener SG, die bei ebenfalls 8:20 Punkten geführt wird und über das geringfügig günstigere Torverhältnis (minus 19/minus 21) den ersten Nicht-Abstiegsplatz belegt (Rang 13). Wie wichtig die Aufgabe mit dem Blick auf die weitere Saison ist, weiß der Kapitän des Leichlinger TV, der ja keineswegs die Augen vor der Wirklichkeit verschließt. Insgesamt glaubt er trotzdem fest daran, dass der Weg ans rettende Ufer gelingen wird: „Wir sind für die Rückrunde optimistisch. Ich gehe weiter fest davon aus, dass wir auch in der nächsten Saison weiter in der 3. Liga starten werden.“ Also wollen die Routiniers Novickis (33), Gelbke (31), Maik Schneider (31) und Kübler (30) vorangehen, um die richtige Mischung auf dem Feld herzustellen. So war es beim LTV früher: Es lief etwas langsamer, aber oft genug kam die passende Lösung heraus. So ist es beim LTV heute: Vieles geht schneller, aber der richtige Weg springt noch nicht oft genug heraus. Bis beides ordentlich aufeinander abgestimmt ist, wird vermutlich viel Arbeit zu erledigen sein – was Alexander Kübler durchaus reizt: „Ich gehe mit Spaß zum Training. Ich bin ja jetzt 30 und da fragst du dich immer, ob dir das alles noch Spaß macht. Das kann ich mit gutem Gewissen bejahen. Und solange das so bleibt, ist alles in Ordnung.“ Vielleicht liegt für den LTV in der Ruhe, die sich die Mannschaft selbst gibt, tatsächlich die größte Kraft. Am Kapitän wird es nicht scheitern.