10. Dezember 2019 | Zurück zur Artikelübersicht » |
Es ist der 14. September. Borussia Mönchengladbach trifft am ersten Spieltag der neuen Saison in der Oberliga Niederrein auf den Vorjahres-Vizemeister Unitas Haan. Und sieht nach 60 Minuten ziemlich konsterniert auf die Anzeigetafel – 21:30. Anschließend gewinnt das Team von Trainer Tobias Elis zweimal, ehe es beim mittlerweile erheblich gefährdeten TV Angermund nur zu einem 22:22 reicht. Dann verliert die Borussia beim 29:34 gegen die Adler Königshof erneut ein Heimspiel deutlich. Es ist der 12. Oktober und Mönchengladbach steht mit 5:5 Punkten irgendwo im Mittelfeld. Fast zwei Monate später kommt der 7. Dezember und es passiert das Folgende: Die Borussia, die eben noch auf der Stelle zu treten scheint, lässt dem bis dahin ungeschlagenen Spitzenreiter HC Wölfe Nordrhein keine Chance und gewinnt mit 27:18. Der konsternierte Tabellenführer, der keine Mittel und keine Gegenwehr findet, bleibt zwar vorne, aber Mönchengladbach rückt auf zwei Zähler heran. Als Zweiter (15:5 Zähler) liegt das Team hinter den Wölfen (17:3), aber vor dem LTV Wuppertal, dem TV Lobberich und den Königshofern (alle 14:6). Aus dem Fehlstarter ist heimlich, still und leise ein Kandidat für die Top-Positionen geworden – nicht über Nacht und schon gar nicht aus Zufall. Die Borussia hat einen Plan.
In der Vorbereitung auf die Saison wollten die Verantwortlichen auch neue Wege bestreiten. Also arbeiteten sie mit David Breuer zusammen, dem ehemaligen Bundesligaspieler (TuSEM Essen) und Zweitliga-Torschützenkönig (TV Korschenbroich). Der Aachener Breuer weiß nicht nur handballerisch, wovon er spricht, denn er arbeitet mittlerweile als Mentalcoach – und in dieser Funktion vermittelte der 37-Jährige den Mönchengladbachern, dass es für den Erfolg nicht nur auf schnelle Beine und harte Würfe ankommt. Das Ergebnis fasst Trainer Tobias Elis zusammen: „Die Leute sind dieselben, aber irgendwas ist anders.“ Unter dem Strich habe das zusätzliche Element im Training jeden einzelnen Spieler nach vorne gebracht und damit die Mannschaft gestärkt. „Die Jungs haben das alles sehr gut aufgenommen und wir sind als Team gewachsen“, findet Elis, der seit über zwei Jahrzehnten bei der Borussia ist (erst als Spieler, später als Trainer). David Breuer, der sich natürlich nicht als Guru oder Wunderheiler sieht, hat seine Tätigkeit mal sehr plastisch als „Workout für den Kopf“ bezeichnet. Für Trainer Elis und die Borussia-Handballer scheint es die perfekte Ergänzung zum unverzichtbaren rein sportlichen Teil des sonstigen Pensums zu sein.
In der vergangenen Saison fehlte den Mönchengladbachern die Konstanz, ohne die eine Top-Platzierung kaum möglich ist. Am Ende war es dann Rang sechs mit 27:25 Punkten – zu wenig, weil es im Grunde nur eine Position im breiten Mittelfeld war, das von Platz vier (TV Angermund/29:23) bis zu Rang neun (SG Langenfeld II/25:27) reichte. Mit der Vergabe des Titels, den der Meister HG Remscheid (42:10) und der Vizemeister Unitas Haan (41:11) unter sich ausmachten, hatte die Borussia nichts zu tun. Diesmal wollen alle Beteiligten doch etwas höher hinaus: Eine Position unter den ersten drei soll es sein. Das schließt den Aufstieg nicht aus – den gleichzeitig niemand fordert. „Ich finde es schwierig, sich auf einen Platz festzulegen“, betont Kapitän Daniel Panitz, „es kann noch viel passieren und es wird noch viel passieren.“
In den vergangenen Wochen ist vor allem den jeweiligen Gegnern viel passiert. Die Borussia setzte sich zweimal sehr knapp durch – 32:31 bei der HSG Hiesfeld/Aldenrade, 27:26 beim TV Lobberich. Hier bewies der Tabellenzweite zum ersten Mal, dass er Spitzenspiele kann. Das galt erst recht fürs 30:28 in Wuppertal und nun für den hohen Sieg über die Wölfe. „Stimmt, wir haben einen guten Lauf in den letzten Wochen“, meint Elis, der viel Wert auf eine starke Defensive legt und am liebsten eine 6:0-Abwehr spielen lässt: „Wir wollen die Räume eng machen und dafür hart arbeiten. Ich will aber Ballgewinne erzielen und keine Tore verhindern.“ Wie das im Optimalfall funktionieren kann, bekamen ja gerade die Wölfe am vergangenen Wochenende intensiv zu spüren.
Daniel Panitz ist als Kapitän das Bindeglied zwischen Trainer und Team. Außerdem bildet er als 29-Jähriger zusammen mit Spielern wie Sascha Ranftler (32) oder Moritz Krumschmidt (29) die Fraktion der Erfahrenen. Die „Gegenpole“ dazu sind zum Beispiel Keeper Johannes Lyrmann (21), der jüngste Spieler des aktuellen Kaders, oder Linksaußen Lucas Feld (22), auf Linksaußen die nachrückende Kraft hinter Panitz. Für ihn ist eine der besonderen Stärken, dass nicht immer die ganze Last auf ein oder zwei Schultern liegt: „Jeder springt für jeden in die Bresche.“ Zuletzt beim Triumph über die Wölfe war Rückraumspieler Krumschmidt mit neun Toren der erfolgreichste Werfer und er lag damit an der Spitze der Abteilung Routine. Ranftler, Niklas Berner (29) und Panitz steuerten jeweils fünf Tore bei. Insgesamt sind sich Trainer und Kapitän ziemlich einig: „Wir haben Luft nach oben, wir sind mitten im Lernprozess.“
Wie hoch der Reifegrad und die mentale Stärke sind, lässt sich am kommenden Wochenende perfekt überprüfen. Das bietet der Borussia die Gelegenheit, ihre gute Lage zu festigen. Das Problem: Mönchengladbach tritt bei der HSG Düsseldorf II an. Die ist im Augenblick Letzter und konnte bisher nur am vierten Spieltag mit dem 29:28 beim TV Krefeld-Oppum einen Sieg landen. Daraus folgt: Elis´ Mannschaft ist der klare Favorit und nahezu jeder erwartet den sechsten Erfolg hintereinander. Vielleicht wird es tatsächlich das, was eine Frage der Einstellung ist und neudeutsch mittlerweile „Kopfsache“ heißt. Kapitän Panitz wird – wie üblich – kurz vor dem Anpfiff wieder ein paar Worte anbringen und versuchen, die Mannschaft mitzureißen. Tobias Elis wird die restlichen Trainings-Einheiten darauf verwenden, weiter die Abläufe zu verfeinern und die richtige Taktik einzustudieren.
Natürlich wissen sie bei der Borussia, dass irgendwann Rückschläge kommen werden. Trainer Elis drückt es so aus: „Die Zeit wird zeigen, ob wir den Dingen gewachsen sind.“ Kapitän Panitz sieht es ähnlich: „Die Frage ist, wie wir reagieren, wenn es mal nicht so läuft.“ Bis zu diesem Tag darf es aus Borussia-Sicht aber gerne noch eine ganze Weile dauern. Ihre Wunsch-Schlagzeile für den Samstag: „Es ist der 14. Dezember. Mönchengladbach feiert Weihnachten als Zweiter.“