Oberliga Niederrhein
Das ist Jürgen Tiedermann: In der Ruhe liegt die Kraft
Für den Trainer von ME-Sport war ein Spitzenplatz in dieser Saison nie ein Thema.

Klare Worte: Mettmanns Trainer Jürgen Tiedermann (Mitte) hat in den Auszeiten eines Spiels immer einiges zu sagen. (Foto: Burkhard Kasan)

Einen wie ihn kann so schnell nichts aus der Ruhe bringen. Jürgen Tiedermann hält zum Beispiel ziemlich wenig von Übertreibungen und deshalb hatte er vor der Saison in der Oberliga Niederrhein auch kaum mehr als ein mildes Lächeln dafür übrig, als ein Teil der Konkurrenz seine Mannschaft in die Rolle eines Titelkandidaten drängen wollte. „Davon war nie die Rede“, sagt der erfahrene Coach von Mettmann-Sport, „wir haben nie an den Aufstieg gedacht.“ Auf der anderen Seite verfällt Tiedermann nicht gleich in Hektik, wenn es mal eine sportliche Durstrecke gibt – so wie zuletzt, als seine Mettmanner vier Mal hintereinander keinen einzigen Punkt holten. Der 54-Jährige stellt zwei Dinge relativ gelassen fest: Für die dünne Ausbeute gibt es gravierende personelle Sorgen als eine wesentliche Ursache und natürlich ist die Lage vor dem Wiederbeginn der Meisterschaft nach der Pause über Weihnachten und Neujahr eher wenig begeisternd. Deshalb ist der Neustart am Samstag gegen den Letzten HSG Neuss/Düsseldorf plötzlich doch irgendwie wegweisend. „Wir stehen ein bisschen unter Druck. Wenn wir nicht gewinnen, müssen wir aufpassen“, findet der Mettmanner-Coach. Es klingt weder vorwurfsvoll noch gestresst, sondern vor allem gelassen-realistisch. Übersetzung: Dann ist das jetzt so.

Nach drei Auftaktsiegen – eingeschlossen das 27:21 im prestigeträchtigen Kreis-Derby bei Unitas Haan – lag ME-Sport vorübergehend tatsächlich auf Rang eins und war etwas später mit 8:2 Zählern weiter gut im Rennen. Nach dem 38:25 über den Aufsteiger HSG Hiesfeld/Aldenrade (höchster Sieg) wies das Konto bei 10:4 Zählern immer noch ein sattes Guthaben auf, ehe der Motor in den Duellen mit den vier Top-Teams der Klasse zu stottern begann – 23:29 beim Zweiten Borussia Mönchengladbach, 25:34 beim Vierten TV Lobberich, 27:30 gegen den Dritten LTV Wuppertal, 19:25 beim Spitzenreiter HC Wölfe Nordrhein. In jener Partie standen den krass geschwächten Gästen zunächst nur sieben Feldspieler zur Verfügung, ehe später Tobias Petzinna aus der Zweiten (Landesliga) hinzustieß. Typisch Tiedermann: Er hat alles abgehakt und verfolgt keine Theorien: „Ob wir in voller Besetzung gewonnen hätten, weiß keiner.“ Ziemlich sicher hätten die Mettmanner aber etwas mehr Widerstand leisten können als das Rumpf-Aufgebot, das sich in kämpferischer Hinsicht wenig vorzuwerfen hatte.

Dass ME-Sport nicht wirklich für die Meisterschaft und den Blick zur Regionalliga in Frage kommt, liegt nicht zuletzt an den Veränderungen nach der vergangenen Saison. Weil André Loschinski und Karsten Mühlenhaupt ihre aktive Karriere jeweils beendeten, gingen der Mannschaft nicht nur viele Tore, sondern auch eine Menge Erfahrung verloren. Das allerdings ist im Fall Loschinski höchstens halb richtig, denn auf den Erfahrungsschatz des 35-Jährigen können die Mettmanner weiter zurückgreifen: Loschinski bringt seine Qualitäten seit dem Beginn der neuen Saison als Co-Trainer an der Seite von Tiedermann ein, der diese Konstellation als extrem wertvoll sieht: „Wir sind ein sehr gutes Team, wir arbeiten sehr gerne zusammen.“ Beide ergänzen sich und beide haben ähnliche Ideen vom Handball. Der Grundsatz: Mettmann muss mit einer verjüngten Mannschaft schneller und fleixibler sein/werden. Hinten geht es darum, mehr als die defensive 6:0-Abwehr anbieten zu können und bei Bedarf offensiver zu agieren, vorne geht es darum, über das höchste mögliche Tempo erfolgreich zu sein.

Allein gegen alle? Auf die Wurfkraft und die Übersicht des erfahrenen Tim Wittenberg (28/am Ball) können die Mettmanner auch in dieser Saison nicht verzichten. (Foto: Burkhard Kasan)

Das allgemeine Ziel für Tiedermann und Loschinski ist es, die Spieler und damit die gesamte Mannschaft „voranzubringen“. Dabei sollen so schnell wie möglich so viele Punkte wie möglich herausspringen, damit nicht mal der Ansatz von Gefahr entsteht. Vor den beiden letzten Spieltagen der Hinrunde sieht es danach aus, dass dieser Plan halbwegs aufgeht, denn ME-Sport hat mit denen ganz oben nichts (mehr) zu tun und nach unten immerhin ein ordentliches Polster, weil die letzten vier der Tabelle einen fast geschlossenen Kreis der Abstiegskandidaten bilden. Zu den eigenen 10:12 Zählern und sechs Punkten Polster auf den Elften Hiesfeld/Aldenrade (4:18) passt das positive Torverhältnis (311:309/plus 2), das im Grunde einen weiteren Punkt wert ist. Mettmann hat dennoch vor, sein Konto im Heimspiel gegen Neuss/Düsseldorf II auszugleichen und den Gegner weiter zu distanzieren, der theoretisch wieder auf Verstärkung aus seinem Drittliga-Kader zurückgreifen könnte.

Dass sich Trainer Tiedermann in seinem siebten Jahr bei Me-Sport intensiv mit den Dingen in Mettmann beschäftigt und dabei selbstredend längst die Serie 2020/2021 im Blick hat, liegt an seiner „Ämterhäufung“ bei den Handballern – für die er gleichzeitig als einer der stellvertretenden Abteilungsleiter und Sportlicher Leiter tätig ist. Irgendwie entscheidet er also selbst mit, wer kommt, wer geht und wer bleibt. Weil er sich trotzdem nie in den Mittelpunkt stellt, sondern immer das gemeinsame Ganze, haben in diesem Fall sowieso alle was davon: Jürgen Tiedermann, weil er gerne in Mettmann arbeitet, und die Mettmanner, weil einen wie ihn so schnell nichts aus der Ruhe bringen kann.