10. Januar 2020 | Zurück zur Artikelübersicht » |
Birkesdorf ist ja mit rund 8000 Einwohnern der größte Stadtteil von Düren. Möglicherweise kommt vielen Menschen, die dort leben, hin und wieder einiges spanisch vor. Einer von ihnen ist auf jeden Fall eine überragende Erscheinung und sein Name klingt fast wie Musik: Andreu Perez Fernandez. Der 23-Jährige ist nicht hier geboren, fand aber vor zwei Jahren aus seiner Heimat den Weg nach Deutschland – des Handballs wegen. Der Kontakt nach Spanien kam über Maxi Cazabat zustande, der inzwischen beim Birkesdorfer TV die zweite Mannschaft trainiert und als Argentinier am Anfang vor allem eins war: Dolmetscher, Mädchen für alles, Helfer bei der Suche nach einem Arbeitsplatz und einer Wohnung. Inzwischen sind Maxi und der sprachliche Landsmann längst Freunde geworden und rein sportlich hat sich Andreu zu einer festen Größe im Oberliga-Team des BTV entwickelt. Gerade ist er wieder von einem Heimat-Urlaub nach Birkesdorf zurückgekehrt, sodass er sich ab jetzt die Spiele der Handball-Europameisterschaft in seinem zweiten Zuhause ansehen wird. Wem seine Sympathien für die Partie der Vorrunden-Gruppe C am Samstag zwischen den Iberern und Deutschland gelten? Maxi muss mal wieder übersetzen, aber es ist auch so zu spüren, dass für Andreu nur eine Antwort in Frage kommt: „Ich gehe mit Spanien.“
Vermutlich wird er sich das Duell der Gruppen-Favoriten wenigstens halbwegs entspannt ansehen können: Weiterkommen in die Hauptrunde werden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit beide Kontrahenten, die ihre Auftakt-Aufgaben auch fast wie im Parallelflug erledigten. Die deutsche Mannschaft begann gegen den Außenseiter Niederlande sehr durchwachsen, gewann jedoch letztlich ungefährdet mit 34:23. Nicht viel mehr Aufschluss über das wahre Leistungsvermögen brachte die Partie der Spanier, die das 33:22 über Lettland ebenfalls erst im Verlauf der zweiten Halbzeit deutlich gestalteten. Und natürlich gibt es den einen oder anderen Profi, den sich Andreu sehr gut als Mitspieler vorstellen könnte. Wenn sich der Rückraumspieler einen aussuchen dürfte? Die Antwort kommt wieder schnell: Dann würde er Nationalkeeper Gonzalo Pérez de Vargas holen, der im Verein beim FC Barcelona unter Vertrag steht, also bei einer der Top-Adressen im europäischen Handball.
Einen klaren Favoriten sieht Andreu Perez Fernandez für das nächste reizvolle Duell der alten Rivalen nicht. Deutschland, der Europameister von 2016, verfüge über eine relativ junge und schnelle Mannschaft, die aber sehr robust zupacken könne und zugleich einiges an Erfahrung mitbringe. Spanien, der Europameister von 2018 und damit der Titelverteidiger, trage gewöhnlich ein geringeres Tempo vor, verfüge dafür aber über eine hohe individuelle Klasse und extrem viel Routine. Zahlreiche Spieler im Kader von Trainer Jordi Ribera sind um die 30 oder zum Teil deutlich darüber hinaus. Gemeinsames Ziel ist neben einer weiteren EM-Medaille als abschließender Karriere-Höhepunkt die Teilnahme an den Olympischen Spielen 2020 in der japanischen Metropole Tokio. Trotz aller Freundschaft zu Deutschen und der Liebe zur Heimat Spanien glaubt Andreu, dass diesmal am Ende ein anderer die Nase vorne haben wird: „Norwegen wird Europameister.“ Mit dieser Meinung steht er keineswegs alleine auf weiter Flur.
Ziemlich einsam fühlen sich allerdings die meisten Oberliga-Handballer, wenn sie es auf dem Feld mit dem langen Abwehrchef des Birkesdorfer TV zu tun bekommen. „Er ist eine Wand“, sagt Maxi Cazabat, der dem Spanier eine insgesamt starke Entwicklung bescheinigt – und ihn in der Oberliga längst nicht am Ende seiner Möglichkeiten sieht. Offensiv hält er ihn durchaus für regionalligatauglich, defensiv sei noch mehr drin. Das passt zu den Hoffnungen des Spielers: Andreu will irgendwann gerne ein bisschen höher spielen. Dafür hängt er sich im Training immer voll rein und absolviert oft nach dem offiziellen Programm eine Extraschicht. Sein Kraftpotenzial – riesig. „Er ist doch gefühlt 2,85 Meter groß“, sagt sein bisheriger Trainer Boris Lietz, „er ist da hinten eine echte Erscheinung. Andreu ist ein Super-Typ.“ Für den Angriff würde er sich zwar wünschen, dass der im halblinken Rückraum tätige Spanier noch etwas mehr aus sich herausholt, aber unter dem Strich sieht Lietz im Spanier ebenfalls einen Klasse-Handballer.
Die menschliche Integration ging reibungslos über die Bühne – wozu Andreu selbst einen großen Teil beitrug. „Er hat das jederzeit unbedingt gewollt“, berichtet Boris Lietz, „und ich glaube, inzwischen trinkt er sogar mal ein Bier.“ Das wird es vielleicht auch am Samstagabend geben, obwohl es der Spielplan der Oberliga Mittelrhein nur bedingt gut mit den Birkesdorfern meint. Das Duell zwischen Spanien und Deutschland beginnt in Trondheim um 18.15 Uhr – eigentlich gar kein so schlechter Termin. Die Zeit wird trotzdem knapp, weil der Oberliga-Achte BTV am Samstagabend um 19.45 Uhr gegen den bislang sieglosen Letzten TK Nippes anzutreten hat. Bei günstigstem Verlauf könnte die EM-Partie gerade rechtzeitig zu Ende gehen und Andreu vom Fernseher im Sportzentrum des Vereins rasch aufs Hallenparkett wechseln. Wahrscheinlicher dürfte allerdings sein, dass er sich mit seiner Mannschaft vernünftig aufwärmt und vor allem mit dem Herzen den Spaniern die Daumen drückt. Andreu will schließlich richtig auf Betriebstemperatur sein, wenn es pünktlich heißt: „Hier ist die Wand.“