Oberliga Mittelrhein
Ein Gesetz in Nippes: „Wir geben alles – aber nicht auf“
Der Tabellenletzte hat nach zwölf Spielen noch keinen Punkt. Trainer Stefan Tuitje und sein Team bleiben trotzdem dran.

Nachdenklich: Stefan Tuitje (stehend) ist Realist – wie seine Spieler. Alle wissen, dass sie zum Klassenerhalt ein kleines Wunder brauchen. Das wollen sie aber probieren. (Foto: Thomas Schmidt).

Die einen kämpfen um die Meisterschaft und stehen auf der Sonnenseite des Handballer-Lebens. Die anderen haben mit dem Thema Abstieg zu tun, vielleicht sogar halbwegs unerwartet, und deshalb gerade etwas weniger Spaß an ihrem Sport. Insgesamt gibt es in der 3. Liga Nord-West, in der Regionalliga und den beiden Oberligen kein Team mehr, das auf ein völlig leeres Konto blicken muss. Selbst die HSG Düsseldorf II, die in der Oberliga Niederrhein mit 3:21 Punkten und minus 103 Toren (288:391) ein karges Dasein fristet, hat einen Sieg in ihrer Bilanz. Das unterbietet nur der Turnerkreis Nippes, der in der Oberliga Mittelrhein vor dem letzten Hinrunden-Spieltag bei 0:24 Zählern steht – und trotzdem in einer fast aussichtslosen Lage nicht ans Aufgeben denkt. Wie auch immer die Serie enden wird: Im Team von Trainer Stefan Tuitje (47) spielen offensichtlich echte Harzhelden.

Am vergangenen Samstag hätte es vielleicht zum ersten Erfolg reichen können, doch der rein sportliche Teil der Veranstaltung war vorübergehend Nebensache. In der Mitte der zweiten Halbzeit erlitt der Kölner Jakob Jung nach dem offiziellen Eintrag im Spielbericht „in einer Tempogegenstoß-Aktion eine Verletzung am Kopf/Nacken- und Schulterbereich“. Die Partie musste unterbrochen und der Spieler mit dem Krankenwagen zur Untersuchung in die Klinik gebracht werden. „Jakob war wie benebelt und kam gar nicht mehr hoch“, berichtete Tuitje. Später war ganz Nippes erleichtert, dass die Ärzte bei Jung „nur“ eine Gehirnerschütterung und eine extreme Belastung der Nacken-Muskulatur feststellten. Die Mannschaft konnte ihren Mitspieler später im Auto mit nach Hause nehmen.

Punkte hatte der TK allerdings nach der 21:24-Niederlage nicht im Gepäck – mal wieder nicht in einem Spiel, in dem vielleicht mehr drin gewesen wäre. Nach einer frühen 5:2-Führung (10.) ging es mit dem 7:10-Rückstand in die Pause, ehe sich Nippes zurück in die Partie biss und beim 20:20 (53.) vom ersten Saisonsieg träumen durfte. Das 20:22 (55.) verkürzte Florian Sauerbier noch zum 21:22 (56.), ehe die Gäste eine Überzahl nicht zu nutzen wussten und kurz darauf das 21:23 (58.) sowie nach einer eigenen Auszeit das 21:24 (59.) kassierten. Tuitje war später dennoch weit davon entfernt, seinem Team etwas vorzuwerfen: „Ich muss der Mannschaft eigentlich sogar ein Kompliment machen, wie sie sich verkauft hat.“

Die Leiden eines Torwarts: Christian Wansing, die Nummer 1 des TK Nippes, bekommt in jedem Spiel eine ganze Menge Arbeit. (Foto: Thomas Schmidt)

Vor gut anderthalb Jahren marschierten die gerade erst in die Verbandsliga aufgestiegenen ersten Herren aus Nippes auf direktem Weg in die Oberliga durch – womit niemand gerechnet hatte. Der Coach scheint bis heute zu staunen: „Das war fast ein Unfall.“ Im Jahr eins danach betrieb das Team eine ausreichende Schadensregulierung, weil in der Abschluss-Tabelle der rettende zwölfte Platz heraussprang. Mit 12:40 Punkten lag der TK knapp vor dem letzten CVJM Oberwiehl (10:42) und über den entscheidenden direkten Vergleich noch knapper vor dem Vorletzten HSV Bocklemünd (ebenfalls 12:40). Die 34:37-Heimniederlage aus der Hinrunde machte Nippes in der Rückrunde durch das 39:28 in Bocklemünd wett.

In die Saison 2020/2021 ging der Oberligist unter anderem ohne seinen Haupttorschützen Ali Kinanah, der zu Bayer Dormagen II wechselte und dort den Anschluss ans Zweitliga-Team versuchen wollte. Dem gesamten Verein war eigentlich klar, dass es von Anfang an gegen den Abstieg gehen würde, aber es herrschte gleichzeitig Zuversicht: Tuitje traute dem Kader trotzdem zu, die Abgänge durch die Zugänge mindestens halbwegs zu kompensieren und erneut die Klasse zu halten. Dass die Pläne bisher nicht aufgingen, ist eine Mischung aus viel Pech mit Verletzungen, der schwierigen Trainingsgestaltung (berufliche Verpflichtungen der Spieler) und einem Mangel an Cleverness. „Wir belohnen uns nicht für den Aufwand, den wir treiben“, findet Tuitje. Seiner Ansicht nach gelten in Nippes auch manche Gesetzte der Branche nicht – unter anderem jenes, in dem angesichts einer derart schwierigen Bilanz beinahe immer der Trainer auf der Kippe steht: „Ich habe die volle Rückendeckung des Vereins. Wir können die Niederlagen ja erklären und die Mannschaft ist intakt.“ Außerdem ist er in seinem fünften Jahr im Verein nicht im Ansatz amtsmüde, sondern fest entschlossen, die Saison mit vollem Einsatz zu Ende zu führen: „Wir geben alles, aber nicht auf.“

Der TK Nippes ist ein vornehmlich dem Breitensport verpflichteter Verein, der nicht auf die Schnelle zusätzlich einen Spieler zu sich holen kann: „Wer nach Nippes kommt, spielt hier, weil es ihm Spaß macht.“ Trotzdem sind sie sorgfältig genug, längst an die nächste Saison zu denken. „Wir haben es nicht mehr selbst in der Hand und den Abstieg natürlich voll auf dem Zettel“, bestätigt der TK-Coach, der mit dem Schlusslicht am nächsten Samstag auf den Klassen-Neuling HC Weiden II trifft (Zehnter/9:15 Punkte). Der Tabellenletzte wird erneut alles für zwei Punkte geben. Selbst für den Fall, dass es klappen sollte: Viel spräche immer noch nicht dafür, dass es zum Klassenerhalt reicht. Und andere hätten möglicherweise längst aufgegeben. Deswegen spielen im Team von Trainer Stefan Tuitje offensichtlich echte Harzhelden.