Oberliga Niederrhein
Die Adler: Abheben ist verboten, Träume sind erlaubt
Der Absteiger, der nur die Klasse halten wollte, ist Zweiter - und vielleicht sogar der Aufstieg ein Thema.

Spagat geglückt: Torhüter Florian Lindenau und Niklas Funke (weißes Trikot, davor Jan Jagieniak vom Regionalligisten TuS 82 Opladen) sind mit den Adlern Königshof nach dem Abstieg wieder aufgestanden. (Foto: Thomas Ellmann)

Handball kann so einfach sein. Wer am Ende eines Spiels mehr Tore erzielt hat, bekommt dafür einen Sieg gutgeschrieben und zwei Punkte aufs Konto. Handball kann aber auch kompliziert sein – vor allem dann, wenn plötzlich eine Rechnung mit mehreren Unbekannten auftaucht und selbst Regel-Experten ins Grübeln bringt. Eindeutig im Vorteil ist dann, wer mit seiner aktuellen Lage deutlich über dem Soll liegt und im Nachdenken über die vielen möglichen Lösungen eher eine Lust als eine Last erkennt. Perfektes Beispiel dafür sind die DJK Adler Königshof, die nach dem Abstieg aus der Regionalliga mit dem relativ zurückhaltenden Ziel Klassenerhalt in die Saison gestartet und dann in der Oberliga Niederrhein meist leicht unter dem Radar mitgesegelt sind. Das hat sich geändert, denn seit dem vergangenen Wochenende steht das Team von Trainer Marius Timofte mit 22:8 Punkten auf Rang zwei hinter den Wölfen Nordrhein (27:3). Vier Siege aus den ersten vier Spielen im Jahr 2020 haben es möglich gemacht, dass sich die Adler nun vor dem LTV Wuppertal (21:9) und Borussia Mönchengladbach (20:10) aufhalten. Jener Rang zwei könnte am Ende der Saison vielleicht wertvoll sein. Dem Vizemeister bietet sich eventuell die Chance, zusammen mit dem Meister in die Regionalliga aufzusteigen. Falls bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind.

Die Dinge stehen und fallen – mancher wird es kaum noch hören können – mal wieder mit den insolventen Rhein Vikings, die nach dem Rückzug inzwischen nicht mehr am Spielbetrieb der 3. Liga teilnehmen und als erster Absteiger feststehen. Damit würden sie normalerweise in die Regionalliga Nordrhein einsortiert. Bislang gibt es allerdings keinerlei belastbare Informationen darüber, was aus diesem Teil der Vikings wird, die ja neben dem Neusser HV als Verein HC nur ein Teil der HSG Düsseldorf sind – die wiederum ab dem kommenden Sommer nicht mehr bestehen wird. Viele wollen wissen, dass der Absturz auf Raten weitergeht und selbst eine Meldung für die Regionalliga kein Thema sei. Die folgende Beispiel-Rechnung gibt als eine von mehreren denkbaren Varianten den Jetzt-Stand wieder.

Steigen die Wikinger in die Regionalliga ab beziehungsweise dort wieder ein, hätten sich sämtliche Spekulationen um Rang zwei erledigt – der lediglich dann zum Tragen kommt, wenn kein Drittligist von heute in der kommenden Serie eine Etage tiefer antritt. Soll heißen: Die Vikings müssten sich erstens praktisch in Luft auflösen und zweitens müssten auch der Leichlinger TV und der VfL Gummersbach II die 3. Liga halten. Das ist zwar ganz gut möglich, aber keineswegs in Beton gegossen. Erwischt es bloß einen von beiden doch noch, brächte selbst ein totaler Rückzug der Vikings den für Platz zwei in Frage kommenden Oberligisten wenig – was identisch für den Mittelrhein gilt, wo sich gerade der Pulheimer SC (27:3 Punkte) und der HC Gelpe/Strombach (26:4) ein kleines Stück von den Verfolgern abgesetzt haben. Beide sind die heißesten Kandidaten für ein denkbares Entscheidungsspiel zwischen den Zweiten aus dem Niederrhein und dem Mittelrhein um maximal einen zusätzlichen Aufsteiger (neben den beiden Meistern).

Alles in Ordnung: Trainer Marius Timofte (stehend) und sein Kapitän Sebastian Bartmann funken auf einer Wellenlänge – was für die gesamte Mannschaft gilt. (Foto: Herbert Mölleken)

Ein großer Vorteil für die Adler Königshof: Sie können die Entwicklung mit der gebotenen Ruhe betrachten, weil sie nach dem Abstieg aus der Regionalliga mit relativ bescheidenen Vorstellungen in die Serie 2019/2020 gegangen waren. Beim personellen Neu-Aufbau sollte es in allererster Linie der sichere Klassenerhalt sein. Kreisläufer Sebastian Bartmann, der auf dem Feld als verlängerter Arm seines Trainers Timofte fungiert, vertrat vor ein paar Monaten folgenden Standpunkt: „Wenn wir zusammenbleiben, können wir in zwei oder drei Jahren vielleicht wieder an die Regionalliga denken.“ Vermutlich hat er sich noch nie so gerne geirrt wie in diesem Punkt, denn die Situation ist tatsächlich viel früher da. „Wir haben uns natürlich intern darüber Gedanken gemacht“, sagt Bartmann, „und wir sind uns einig. Wenn wir es sportlich schaffen, würden wir es tun.“ Dass ganz vorne die Wölfe demnächst einen Einbruch erleben, glauben sie in Krefeld nicht. Und ob die Adler das Zeug zur Vizemeisterschaft haben, wird sich nach eigener Einschätzung im weiteren Verlauf der Rückrunde zeigen: „Warten wir die Spiele gegen Mönchengladbach, gegen Wuppertal und gegen die Wölfe ab. Dann können wir vielleicht neu denken.“ Den Adlern ist dabei klar, dass sie von niemandem etwas geschenkt bekommen – auch nicht am kommenden Wochenende im Heimspiel gegen den Fünften TV Lobberich (19:11 Punkte), der ebenfalls keinerlei Druck verspürt.

Träumen können sich die Adler vorstellen, Träumereien oder überzogene Erwartungen lehnen sie ab. Dass es insgesamt extrem gut läuft, sieht Bartmann als Belohnung für den extrem guten Teamgeist der jungen Mannschaft (Durchschnittsalter 23,5 Jahre). Durch den inneren Zusammenhalt konnte Königshof zum Beispiel das Fehlen der verletzten Simon Terhorst und Elias Eiker ganz gut kompensieren, aber viel darf jetzt personell nicht mehr passieren – zumal den Krefeldern momentan im Rückraum sowieso kein einziger Linkshänder zur Verfügung steht. Doppelt erstaunlich: Mit 478 Treffern und fast 32 Toren pro Spiel stellen die Adler nach 15 Partien den erfolgreichsten Angriff der Oberliga Niederhein. „Wir spielen das vorne inzwischen ziemlich genau auf den Punkt“, erklärt Bartmann, der einer der erfahrensten Handballer im Kader ist, sich trotzdem nur als ein Teil des Ganzen sieht und in Trainer Timofte eine der Schlüsselfiguren für die erstaunliche Entwicklung aller. Und es macht den Beteiligten viel Spaß, das ursprüngliche Saisonziel Klassenerhalt wenigstens ein bisschen zu korrigieren: Ein Platz unter den ersten fünf darf es nun sein. Da grübelt niemand, da zweifelt keiner. Im Jahr eins nach dem Abstieg haben die Adler wieder das Fliegen gelernt.