23. Februar 2020 | Zurück zur Artikelübersicht » |
SG Langenfeld – TuS Derschlag 30:22 (16:12). Die 57. Minute hat gerade begonnen und das Spiel ist längst entschieden. Der Regionalligist SG Langenfeld führt im Viertelfinale des Deutschen Amateurpokals gegen den TuS Derschlag aus der Oberliga Mittelrhein mit 30:22. Der Traum, zum zweiten Mal nach 2016 in Hamburg den ganz großen Coup in Angriff zu nehmen, wird ganz sicher in Erfüllung gehen. Dann stockt aber von einer Sekunde zur anderen allen in der Halle der Atem – den 500 Fans oben auf der Tribüne, den beiden Mannschaften und den Schiedsrichtern unten auf dem Feld. Auslöser ist ein Foul von Ole Völker an Derschlags Paul Borisch, das die Unparteiischen mit einer Zeitstrafe ahnden – was am Ende mit das Unwichtigste ist. Borisch bleibt am Boden liegen, Sanitäter müssen kommen und jemand ruft eilig einen Krankenwagen. Viele befürchten sogar das Schlimmste, weil sich Borisch nicht mehr bewegt. Das klärt sich später auf: Derschlags Rückraumspieler war offensichtlich vorübergehend bewusstlos. Es vergehen bange Minuten des Wartens, bis Paul Borisch auf einer Trage aus der Halle gebracht und in die Klinik gefahren werden kann. Die komplette Mannschaft des TuS hat sich kurz vorher noch rund um ihren Teamkollegen versammelt und spendet ihm lautstarken Beifall – eine aufmunternde Geste, die ihm die besten Wünsche mit auf den Weg geben soll. Was alle hoffen, bestätigt sich eine Stunde darauf: Den 20-Jährigen hat es nicht so schlimm getroffen, wie es zunächst aussah. In der Klinik diagnostizieren die Ärzte „maximal eine leichte Gehirnerschütterung“, wie der zu seinem Spieler geeilte TuS-Coach Weinheimer berichten kann. Die Derschlager dürfen ihren Mannschaftskollegen direkt mit nach Hause nehmen.
An ein Weiterspielen war nach dem dramatisch wirkenden Zwischenfall naturgemäß nicht mehr zu denken – und trotzdem guter Rat teuer. Was jetzt anfangen mit dieser Partie? Ein Abbruch und eine Wertung für die SGL, die ja uneinholbar führte, kam aus regeltechnischen Gründen nicht in Frage. Die beiden Trainer Ralph Weinheimer (TuS) und Markus Becker (SGL) standen permanent im Austausch und auch Spieler beider Teams trugen ihre Gedanken bei. Die dabei entdeckte Lösung trugen dann auch die Schiedsrichter Stefan Bendel und Paul Schulte-Coerne aus Wickede mit. Als das Kampfgericht die Partie mit einem Freiwurf für die Gäste wieder freigab, begannen die ungewöhnlichsten vier Minuten in der Handball-Geschichte am Nieder- und Mittelrhein: Die Spieler beider Teams passten sich den Ball ruhig hin und her. Es gab ein paar Umarmungen und freundschaftliche Worte in einer Phase, die aus sportlicher Sicht zur Belanglosigkeit verkommen war. Sowohl Derschlager als auch Langenfelder Anhänger bedachten die Aktion mit lautem Applaus. Eine anständige und der Situation angemessene Geste trugen die Langenfelder als Gewinner bei: Sie verzichteten nach der erlösenden Schluss-Sirene auf jeden Jubel und machten sich erst einmal sofort auf den Weg in die Kabine.
Sachlich festzuhalten ist, dass sich die SGL ihren Traum erfüllte und nun am 4. und 5. April 2020 in Hamburg erneut nach dem Triumph im Deutschen Amateurpokal greifen kann. Auch die Halbfinalpaarungen stehen seit Sonntagabend fest. Zuerst treten am 4. April (Samstag) um 10.30 Uhr in der Sporthalle Wandsbek die SG OSF Berlin und die SG VTB/Altjührden aus Niedersachsen gegeneinander an. Um 12.30 Uhr trifft Langenfeld anschließend auf die MSG HF Illtal aus der Oberliga Saar. Die Sieger der Halbfinale-Paarungen dürfen am 5. April (Sonntag) um 11 Uhr in der riesigen Barclaycard-Arena, in der die Profis ihr Final-Four-Turnier im DHB-Pokal austragen, im Finale um den Deutschen Amateur-Pokal 2020 antreten.
Dass es die SGL sein würde, die weiterkommt, hatte sich schon vor dem Viertelfinale angedeutet. Derschlag, das ohnehin als klarer Außenseiter galt, musste auf Michael Romanov verzichten. Den wurfstarken Rückraumspieler hatte eine Virusinfektion so sehr erwischt, dass er mit hohem Fieber nicht spielfähig war. Ergebnis: Der TuS musste im Rückraum improvisieren und dort unter anderem mit Kreisläufer Philipp Krefting agieren. Bis zum 8:6 (17.) und 10:8 (20.) machte Derschlag das sowohl defensiv als auch offensiv dann derart geschickt, dass die Hausherren immer wieder in Verlegenheit gerieten. Ab dem 10:9 (20.) begann allerdings jene Phase, die den Rest der Begegnung zu oft prägen sollte: Der TuS steigerte seiner Fehlerzahl rasant, während die SGL durch die Hereinnahme von André Moser als Regisseur zunehmend ruhiger wirkte. Und bereits beim 16:12 am Ende der ersten Halbzeit stand fest, dass Derschlag personell nicht entsprechend reagieren kann. Während Langenfeld permanent durchwechseln konnte, musste der TuS der zu hohen Belastung einzelner Stützen zunehmend Tribut zollen.
Bis zum 18:15 (39.) für die SGL blieb der Außenseiter trotzdem noch in Reichweite, ehe sich die Waage blitzschnell zugunsten des Regionalligisten neigte. Ganz bitter traf den TuS jene Szene, in der Langenfelds Keeper Jascha Schmidt den Ball nach einem Wurf aus dem Rückraum einfach fing und über das ganze Feld hinweg zum 20:15 traf (41.). Ab dem 23:16 (44.) bewegte sich das Polster fast immer im Bereich von sieben Toren, bevor Derschlag wieder etwas Ergebniskosmetik betreiben konnte – 22:27 (55.). Das Aufflackern beim Oberligisten beantwortete die SGL mit drei Treffern zum 30:22 – das plötzlich schon der Endstand sein sollte. Trainer Becker tat sich schwer, die richtigen Worte zu finden: „Sicher sind wir glücklich über den Sieg, aber das Ende ist schlimm. Und besonders Ole Völker geht es gerade richtig schlecht.“ Absicht warfen jedoch auch die Gäste dem SGL-Spieler nicht vor. Und am Ende des Abends durfte tatsächlich alle gemeinsam aufatmen.
SG Langenfeld: Jahn, Schmidt (1) – Pötzsch (1), Jung (3), Preissegger (3), Rahmann (2), Schirweit (1), Korbmacher (7), Moser (3), Boelken (3/2), Schulz (2), Völker (3), Raschke (1).
TuS Derschlag: Ritter, Sierau – Höffken, Wandschneider, Weissner (2), Schneider (5), Welke (1), Hesener, Borisch (1), Cabrales Vergara (3), Krause (6/2), Krefting (4).