Regionalliga Nordrhein
Boris Lietz ist heiß auf das Projekt Dinslaken
Der Klassenerhalt wäre für den künftigen Trainer des Tabellenletzten ein Glücksfall.

Handzeichen: Boris Lietz hat in Birkesdorf beweisen, dass er eine Mannschaft fördern und fordern kann. Künftig setzt er seine Leidenschaft für Dinslaken ein. (Foto: Thomas Schmidt)

Das Gute liegt so nah. Dieses oder etwas Ähnliches mag sich Heinz Buteweg vor Kurzem gedacht haben, der Macher des MTV Rheinwacht Dinslaken. Ansonsten erlebt er ja mit dem Regionalligisten nach der traumhaft erfolgreichen Serie 2018/2019 eine extrem herausfordernde Saison – was sogar als ziemlich große Untertreibung durchgeht. Der Vorjahresmeister hängt praktisch seit dem ersten Spieltag im Keller der Tabelle fest. Es ist wohl eine Mischung aus Überbelastungs-Spätfolgen und Pech mit Verletzungen, die das Team derart weit unten festhält und stark um den Klassenerhalt bangen lässt. In einem Punkt hat der Verein immerhin Klarheit: Es wird einen Wechsel auf dem Trainerposten geben, weil Harald Jakobs nach der 25:33-Heimniederlage am 1. März gegen die SG Ratingen seinen Abschied zum Saisonende erklärte (private Gründe). Der MTV musste einen Nachfolger suchen, wurde dabei auch rasch fündig und verzichtete trotzdem darauf, die Zusammenarbeit mit Jakobs vorzeitig zu beenden. Beide Seiten wollen zur Not gemeinsam in die Oberliga gehen – ein starkes Zeichen. Ab Sommer übernimmt dann ein in der Handball-Szene nicht Unbekannter den Posten an der Seitenlinie: Es kommt Boris Lietz, der zuletzt sehr erfolgreich beim Mittelrhein-Oberligisten TV Birkesdorf tätig war. Dort gab er kurz vor Weihnachten bekannt, dass er ebenfalls zum Ende der Saison aufhören werde. Unterschied zu Dinslaken: Der BTV entwickelte über den Jahreswechsel eine eigene Idee und entschied sich dafür, lieber direkt mit einem anderen Coach weiterzumachen (Karsten Bohmann-Hesse). Lietz stand damit dem „Trainermarkt“ praktisch sofort zur Verfügung. Rheinwacht-Chef Buteweg wird sich das wohl sehr gut gemerkt haben. Und für den B-Lizenz-Inhaber Lietz stand schnell fest: Ein Abschied für immer vom Handball würde es nicht sein.

Einer der Gründe für den Abschied von Birkesdorf: Weil Lietz seit einiger Zeit in Dorsten lebt, hatte er pro Fahrt in den Stadtteil von Düren deutlich mehr als 100 Kilometer zu absolvieren – ein ungewöhnlich großer Aufwand, den er so auf Dauer nicht mehr stemmen konnte und wollte. Die nicht eingeplante freie Zeit bereits ab Januar kam zwar überraschend, doch Lietz nahm sie positiv auf: „Die ersten Wochenenden habe ich genossen. Es war schön, spontan etwas anderes machen zu können. Ich fand das Durchschnaufen echt super.“ Gar nicht so viel später kam es allerdings, wie es kommen musste. „Ganz ohne Handball ist auch blöd.“ Als schließlich Heinz Buteweg Kontakt zu Lietz aufnahm, fanden die beiden Herren sofort einen guten Draht zueinander, sodass bis zur Einigung nur wenig Zeit ins Land strich. „Für mich ist das die ideale Kombination“, sagt Lietz. Dafür gibt es eine Reihe von Gründen. Ein Punkt: Von seinem Lebensmittelpunkt Dorsten aus fährt Boris Lietz nur etwas mehr als 20 Kilometer zur Douvermannhalle. Dafür braucht er gut 20 Minuten bis knapp eine halbe Stunde – also eine Welt weniger als nach Düren. Darüber hinaus reizt den 38-Jährigen die sportliche Perspektive, die er von der aktuell schwierigen Lage losgelöst betrachtet: „Das ist ein richtig gut geführter Verein und die Fanbasis sucht ihresgleichen. Für mich ist der Verein noch nicht am Ende seiner Entwicklung. Und die Gespräche mit Heinz Buteweg waren angenehm und überzeugend.“

Im Normalfall müsste der MTV mit dem Abstieg in die Oberliga rechnen, weil 9:29 Punkte aus 19 absolvierten Meisterschaftsspielen keine aussichtsreiche Basis für die Rettung sind. Dinslaken liegt zwei Zähler hinter dem Vorletzten HG Remscheid (11:27) und sogar vier hinter dem TV Jahn Köln-Wahn (13:25), den er mindestens überholen müsste. Was den Dinslakenern in dieser verzwickten Tabellen-Situation helfen könnte: Auch im Handball ist zurzeit überhaupt nichts normal. Der Verband Niederrhein hat die Saison vor knapp zwei Wochen bis auf Weiteres ausgesetzt und noch keine endgültige Entscheidung darüber getroffen, wie es nach der coronabedingten Pause weitergeht – und ob überhaupt. Die Verantwortlichen warten mit ihrer Entscheidung, um gegebenenfalls natürlich sachlich angemessen zu reagieren, aber ohne Hektik. Weil die handelnden Funktionsträger um Michael Girbes (Vorsitzender der für den Spielbetrieb zuständigen Technischen Kommission) zugleich keine weltfremden Spinner sind, haben sie den Fall der Fälle im Maßnahmen-Katalog: Es besteht die Möglichkeit, dass die Saison nicht zu Ende geführt werden kann – also abgebrochen werden muss. Dann wäre die Frage zu klären, wie mit der bisher absolvierten Saison zu verfahren ist. Ein nicht mal besonders unwahrscheinliches Szenario, das der Verband so beschließen könnte: Die Tabelle wird mit dem Spieltag 15./16. Februar vor Karneval eingefroren. Spitzenreiter wäre weiter der TuS 82 Opladen und er würde in die 3. Liga aufsteigen. Absteiger wäre? Niemand.

Kommt es so, würde das Dinslakens künftiger Coach selbstredend sehr gerne annehmen – wie alle Dinslakener. „Wenn wir drinbleiben sollten, wäre das ein echter Glücksfall für uns“, weiß Lietz, der seine Zusage unabhängig von der künftigen Spielklasse gegeben hat und gemeinsam mit Buteweg auch personell längst intensiv die nächste Saison plant. „Das Grundgerüst steht“, betont der Trainer aus Leidenschaft, dessen Ehrgeiz geweckt ist: „Eigentlich darf es nicht sein, dass der MTV in der Regionalliga gegen den Abstieg spielt.“ Auch ihm ist in bester Erinnerung, dass die Mannschaft um Regisseur Fabian Gorris, Sebastian Hahn oder Max Reede vor einem Jahr extrem schönen Handball zeigte: „Kann sein, dass sie da überperformt hat. Aber sie hat sicher das Format für die Regionalliga.“ Eine seiner Haupt-Aufgaben sieht Lietz darin, sich demnächst sehr gezielt und ausführlich mit dem Fitness-Level zu beschäftigen: „Alle schieben die zu kurze Vorbereitung für die aktuelle Saison vor sich her.“ Sollte es machbar sein, soll es diesmal im Juni losgehen – zu einem Zeitpunkt, als die Dinslakener vor einem Jahr noch mit der letztlich klar verpassten Qualifikation für die 3. Liga zu tun hatten. Falls der Standpunkt von Boris Lietz für alle Dinslakener gilt, darf der Verein definitiv von einer wieder erfreulicheren Zukunft träumen: „Ich wollte nicht die erstbeste Möglichkeit für eine andere Stelle nehmen. Jetzt bin ich mega-happy und mega-motiviert. Ich bin voll vom Projekt Dinslaken überzeugt.“ Der MTV ist seinerseits vom neuen Coach voll überzeugt. Zusammengefasst: Das Gute liegt manchmal so nah.