31. März 2020 | Zurück zur Artikelübersicht » |
Unter Torhütern, so heißt es, seien viele ziemlich verrückte Typen mit ungewöhnlichen Geschichten zu finden. Diese fast liebevolle Beschreibung trifft definitiv auch auf David Rüttgers zu, der beim Regionalliga-Aufsteiger HC Weiden zwischen den Pfosten steht. Das tut er seit einer halben Ewigkeit mit einer besonderen Leidenschaft und so intensiv, dass er als einer der Spieler aus der Kategorie „emotionaler Leader“ durchgeht. Seine Leistung stimmt ebenfalls, denn der 30-Jährige war maßgeblich am Aufstieg des erst 2018 ins Leben gerufenen HC Weiden (Zusammenschluss aus TV Weiden und Westwacht Weiden) aus der Oberliga in die Regionalliga beteiligt – und er hat dort nicht wenig zu ein paar erstaunlichen Ergebnissen beigetragen. In der Summe zeigen die 17:17 Punkte, dass sich die Mannschaft ziemlich schnell in der höheren Klasse eingelebt hat. David ist unter anderem für Kommandos an seine Abwehr zuständig. Eines könnte in etwa so lauten: „Armos altos.“ Ob es die komplett korrekte Befehlsform ist? Keiner weiß es besser als David Rüttgers, denn er hat sich dem Lateinischen verschrieben. Gemeint wäre auf jeden Fall bei einem gegnerischen Freiwurf oder sonstigen Angriffen: „Nehmt doch bitte die Arme hoch.“ Handballer pflegen das bisweilen zu vergessen.
Der Weidener befindet sich gerade in der letzten Phase seines Referendariats. Er will am Gymnasium Lehrer werden – für Erdkunde und Latein. Ans Staunen über den eher seltenen Fächerwunsch hat er sich gewöhnt und sowieso niemals an seiner Wahl gezweifelt. „Ich unterrichte gerne Latein“, sagt der Torhüter, „und das Fach hat sich ja gegenüber früher doch geändert.“ Seiner festen Auffassung nach bietet die für Juristen und Mediziner unverzichtbare Sprache viele lebendige Elemente und sie schult darüber hinaus nicht nur das allgemeine Denkvermögen. „Ich habe dadurch sehr gut Deutsch gelernt“, betont Rüttgers, der seinen Schülern natürlich eine Kröte nicht ersparen kann: „Es ist und bleibt so, dass sie lernen müssen.“ Bei David Rüttgers scheint allerdings selbst anstrengendes Vokabel-Pauken einen sympathischen Anstrich zu bekommen.
Am Anfang der Karriere stand der Keeper vor der Frage, ob er den Sprung in den etwas größeren Handball probieren solle. Die Internate in Dormagen oder Gummersbach waren durchaus spannende Themen – die David am Ende allerdings für erledigt erklärte. Erstens sah das Risiko zu groß aus und die berufliche Zukunft wäre wohl zu kurz gekommen. Einen ebenfalls nicht unwichtigen Grund nennt Rüttgers in entwaffnender Ehrlichkeit: „Ich war eine zu faule Socke. Feiern war mir wichtiger.“ Obwohl er nichts davon bereut, sieht David Rüttgers mit 30 die Dinge vielleicht erwachsener: „Ich habe meine Einstellung ein bisschen geändert.“ Die Übersetzung daraus lautet, dass er sehr gerne auf Regionalliga-Niveau Handball betreibt – was eine bestimmte Einstellung in Vorbereitung, Training und Spiel erfordert. Drumherum muss die gemeinsame Sache unbedingt auch Spaß machen. Für eine ausgiebige Feier ist Rüttgers zum passenden Zeitpunkt immer noch zu haben.
Möglicherweise werden alle Weidener den 15. Februar 2020 wenigstens für sehr lange in Erinnerung behalten, denn es könnte der letzte Einsatz des David Rüttgers für „seinen“ HC gewesen sein. Der Noch-Referendar hofft sehr, nach dem Abschluss der Ausbildung eine passende Lehrer-Stelle zu finden: „Und wenn es eine feste wäre, würde ich nicht nein sagen.“ Das ist einfach zu übersetzen: Sollte es der Beruf erfordern, Weiden den Rücken zu kehren, würde es Rüttgers tun – wenn auch sehr, sehr schweren Herzens. Ihm liegt extrem viel am HC, dem er eine großartige Entwicklung bescheinigt und dem er nicht nur als Aktiver stark verbunden ist. „Wenn ich bleibe, übernehme ich die C-Jugend“, erklärt David. Er möchte unbedingt etwas von dem weitergeben, was er über und durch den Verein bekommen hat. In Weiden wären sie auf der einen Seite sehr traurig, wenn Rüttgers gehen müsste. Auf der anderen Seite wünscht ihm allerdings jeder das Beste für den weiteren Lebensweg.
Diese Geschichte kann nicht auskommen ohne einen Abstecher zum allgegenwärtigen Corona-Virus: David Rüttgers hatte sich vor einigen Wochen infiziert. Rund um Karneval war David Rüttgers wie viele Weidener unter anderem beim Zug und der Party danach unterwegs. Kurz darauf konnte er gemeinsam mit seiner Frau Theresa einen Test-Termin vereinbaren – der ein erstaunliches Ergebnis hatte. David wurde positiv getestet, bei Theresa war das Ergebnis negativ, obwohl es ihr deutlich schlechter ging. „Bei mir war es insgesamt nicht so schlimm“, erzählt Rüttgers, „ich hatte keine Fieber-Symptome. Gemerkt habe ich, dass ich schneller kurzatmig war.“ Der Torhüter und alle seine Teamkollegen mussten nach dem vorliegenden Test-Resultat in eine Quarantäne von 14 Tagen – die längst abgelaufen ist. Und David hatte sich natürlich bereits darauf gefreut, wieder nach draußen zu können. Aufgrund der allgemeinen Entwicklung begannen die Einschränkungen der Bewegungsfreiheit jedoch rund um jenen Zeitpunkt, als Rüttgers die Infektion komplett überwunden hatte und amtlich besiegelt wieder als gesund galt.
Wie die aktuelle Saison weitergeht? Ob sie überhaupt weitergeht? David Rüttgers hat dazu eine klare Meinung: „Ich hoffe auf einen Abbruch. Ich wüsste nicht, wie die Saison fortgeführt werden kann. Es wäre extrem schwierig, einen korrekten Spielbetrieb durchzuführen.“ Ganz persönlich ist der 30. Mai gut drei Wochen nach dem einst geplanten Ende der Serie und nach den bei allen Teams üblichen Mannschaftstouren für ihn kein unwichtiges Datum. Standesamtlich sind David und Theresa (füher Sienz), die Physiotherapeutin des HC Weiden, mittlerweile seit einigen Monate verheiratet. Demnächst wollen sie die kirchliche Zeremonie nachholen. Sämtliche Planungen sind längst erledigt, die Einladungen verschickt: „Auch der Pfarrer steht bereit.“ Die Harzhelden drücken ihm die Daumen, dass alles klappt. Vielleicht beanwortet Rüttgers die Frage des Geistlichen einfach so: „Certe volo“ oder nur „volo“. Das würde definitiv jeder verstehen.