15. April 2020 | Zurück zur Artikelübersicht » |
Der Verstand hatte ihm immer wieder Signale gesendet. Und zu überhören waren sie eigentlich nicht. Klare Botschaft: „Lass es lieber.“ Unter dem Strich kam es aber noch einmal so, wie es kommen musste. Die Bereitschaft, zu leiden, war mindestens so groß wie die Leidenschaft für den Handball. Also sagte Gregor Pohl dem Regionalligisten TV Jahn Köln-Wahn für eine weitere Saison zu. Einer seiner Gründe, sich selbst zu überstimmen: Er wollte dem Verein etwas zurückgeben, der gerade erneut einen seiner Eckpfeiler verloren hatte. Nach dem erfahrenen Regisseur Christoph Gelbke am Ende der Serie 2017/2018 ging zwölf Monate später auch der Haupttorschütze Alexander Senden (heute beide beim Drittligisten Leichlinger TV). Damit war allen Wahnern klar, wie schwierig 2019/2020 werden würde. Und für Pohl wäre es trotzdem vernünftiger gewesen, aufzuhören. Doch es hätte sich falsch angefühlt: „Es wäre irgendwie, als hätte ich die Jungs im Stich gelassen.“ Also kam im späten Herbst 2019 erneut der Gedanke hoch, einen Strich zu ziehen. Anfang 2020 machte der 33-Jährige dann tatsächlich Nägel mit Köpfen: Am Ende der Saison höre ich auf.
Da hatte er vermutlich die folgende Idee: Am 9. Mai gibt es nach dem letzten Heimspiel gegen den HC Weiden eine dicke Party – im Optimalfall verbunden mit dem Klassenerhalt. Coronabedingt fällt dieser Plan allerdings ins Wasser, weil die Saison inzwischen abgebrochen ist und gar keine Partie mehr stattfinden wird. Vermutlich sind sie jedoch in Wahn erfinderisch genug, um zum passenden Zeitpunkt eine andere Möglichkeit für eine entsprechende Feier zu finden. Schließlich hat auch der Verein durchaus einen Anlass, das eine oder andere kölsche Kaltgetränk auf die zurückliegenden Monate zu sich zu nehmen. Der Verband hat ja beschlossen, auf Absteiger zu verzichten, sodass die Kölner in diesem Fall endgültig durchatmen konnten. Zum Zeitpunkt des Abbruchs lagen sie zwar mit 13:25 Zählern über dem Strich, allerdings keine Welten vor der HG Remscheid (11:27) und dem MTV Rheinwacht Dinslaken (9:29).
Gregor Pohl fühlt sich im Frühling 2020 bestens: „Fitnessmäßig bin ich in echt guter Verfassung.“ Der Top-Zustand mag ein Zusammenspiel sein aus Erleichterung darüber, dass die Entscheidung zum Aufhören raus ist, nachlassendem Wettkampf-Stress und der Disziplin, regelmäßig für sich alleine zu trainieren. Der Körper ansonsten schien dem Gummersbacher eher wie eine Großbaustelle auszusehen. „Ich habe ja mit jeder kleineren und größeren Verletzung gespielt oder schnell wieder angefangen.“ Die Zahl der Bänderrisse bekommt Pohl nicht mehr zusammen und die lädierte Schulter war sowieso ein Fall für sich: „Richtig feste werfen konnte ich überhaupt nicht mehr.“ Im November 2019 kam noch ein Meniskus-Einriss hinzu – und es war natürlich mitten in der angespannten Lage wieder nicht der richtige Zeitpunkt für den sofortigen Ausstieg. Pohl und die gesamte Mannschaft belohnten sich für ihr Durchhaltevermögen, als sie im Februar beim TV Rheinbach (27:27), gegen die TSV Bonn rrh. (27:20) und beim Keller-Konkurrenten HG Remscheid (26:25) fünf wertvolle Punkte sammelten.
Vor anderthalb Jahrzehnten wäre Gregor Pohl beinahe der Sprung in den ganz großen Handball gelungen, denn er trainierte für zwei Jahre bei der ersten Mannschaft des Traditionsvereins VfL Gummersbach mit. Der Haken: Dessen Bundesliga-Team war seinerzeit mit Ausnahmekönnern wie dem Franzosen Daniel Narcisse besetzt: „Da konntest du machen, was du wolltest, daran bist du nicht vorbeigekommen.“ Beim Zweitligisten TSV Bayer Dormagen machte ein Riss der Bizeps-Sehne (verbunden mit einer lange Pause) viele Hoffnungen zunichte, doch die Liebe zum Handball blieb. BTB Aachen und TuS 82 Opladen waren weitere Stationen des zum Kreisläufer umfunktionierten gelernten Rückraumspielers, der nach sieben Jahren beim TuS Derschlag im Sommer 2015 zu den Wahnern wechselte – und diesen Entschluss nie bereut hat. Im Gegenteil.
Ein Baustein: Er hat in Köln viele Freunde gefunden und eine echte Mannschaft – praktisch jene Familie, von denen Handballer so oft schwärmen. Zwei Beispiele liegen ihm hier besonders am Herzen. Erstens: „Die Fans: Es gibt wenig Vereine, die so eine Fan-Base wie wir haben. Das war wirklich immer sehr schön, dass sich Leute auf eigene Kosten ins Auto gesetzt und uns überall begleitet haben, gerade in dieser Saison. Je schlechter es lief, umso besser wurde die Unterstützung. Als ich gesagt habe, dass ich aufhöre, habe ich da viele nette Nachrichten bekommen.“ Zweitens: „Großartig, wie die beiden Busches Alexander und Christopher am Ende der Saison ausgeholfen haben. Das war ein enormer Freundschaftsdienst auch mir gegenüber.“ Ins Bild passt, dass die Wahner Verantwortlichen mit Abteilungsleiter Tobias Carspecken nicht lange mit der Mannschaft zu verhandeln brauchten, wie die aktuell schwierige Lage zu bewältigen sei. Die Spieler verzichten seit einiger Zeit für den Rest der Saison auf die ursprünglich abgemachten finanziellen Zuwendungen. „Das war einstimmig“, sagt Pohl.
Dass der Verein nach den Plätzen drei, sechs und elf in der Regionalliga sportlich noch stärker unter Druck geraten würde, überrascht aufgrund der speziellen Gegebenheiten (unter anderem nur zweimal Training) und des andauernden Weggangs wichtiger Leute kaum. Dass die Wahner gerade in der jetzt abgebrochenen Saison überhaupt auf Augenhöhe mit anderen Klubs unterwegs sein konnten, trägt für Gregor Pohl einen Namen: Olaf Mast. Dem vor etwas mehr als zwei Jahren zu den Kölnern gestoßenen Trainer mit einer natürlichen Autorität und einer ungewöhnlichen Vita als Spieler (Champions League, THW Kiel) bescheinigt der Kapitän des TV Jahn Wahn außergewöhnliche handballerische Qualitäten: „Unfassbar, wie er in einem Spiel reagieren und richtige Lösungen finden kann.“ Masts Stil beschreibt Pohl etwa in einer Saison-Vorbereitung als „Old School. Aber du hast richtig Spaß und dir geht es gut danach“. Und keineswegs nebenbei ist Olaf Mast seiner Ansicht nach „ein irre netter Typ, menschlich überragend. Wir haben ein super Verhältnis“.
Was der im Einkauf eines Maschinenbau-Unternehmens beschäftigte (Ex-)Handballer jetzt mit „seiner“ Sportart Nummer eins anfängt, ist bisher nicht ganz raus. Erste Erfahrungen im Trainer-Geschäft hat Pohl bereits, weil er bei den Wahnern das zusätzliche und positions-bezogene Mittwochs-Training geleitet hat. „Manche sagen, dass ich ganz anständiges Training mache“, erzählt Pohl, bei dem sogar schnell einige Anfragen anderer Klubs wegen einer Cheftrainer-Stelle angekommen sind. Loslassen wollen ihn natürlich auch die Kölner nicht. „Er ist ein Vorbild in Sachen Einsatz und Zuverlässigkeit und jemand, der über den Tellerrand hinausschaut. Wir möchten Gregor nach Ablauf seiner aktiven Karriere gerne in einer anderen Funktion an unseren Verein binden“, meint Abteilungsleiter Carspecken. Da sind sie wieder, die überdeutlichen Signale. Wir legen uns vorsichtig fest: Gregor Pohl wird dem Handball mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erhalten bleiben.