3. Liga Nord-West
Julian Renninger: Ein Kämpfer für Hagen
Der Solinger hat zwei Kreuzbandrisse hinter sich - und in seiner Karriere noch viel vor. Die Eintracht ist längst seine zweite Heimat.

Entwischt: Julian Renninger (mit Ball) ist am Kreis und neben dem Feld eine der treibenden Kräfte beim Drittligisten Hagen. (Foto: Eintracht Hagen)

Manche andere hätten da vielleicht schon hingeschmissen. Es passiert am 24. März 2018, als Julian Renninger im Heimspiel des Zweitligisten VfL Eintracht Hagen gegen den HC Elbflorenz Dresden einen Kreuzbandriss erleidet. Deshalb mag sich später niemand über den 26:23-Erfolg freuen. Julian wird monatelang fehlen. Warum der Kreisläufer ein echter Führungsspieler ist, zeigt er gerade jetzt: Aufgeben kommt nicht in Frage. In der Reha ackert sich Julian zur alten Fitness und nach der Winterpause der folgenden Saison kehrt er zurück in den Kader. Gegner: Dresden. Hagen verliert sowohl gegen Elbflorenz als auch anschließend beim TuS N-Lübbecke, gegen die HSG Nordhorn Lingen, bei der DJK Rimpar Wölfe und gegen den Wilhelmshavener HV. Dann kommt der 16. März 2019. Es passiert wieder etwas. Erstens: Hagen beendet seine Niederlagenserie mit dem 22:20 beim TV 05/07 Hüttenberg. Zweitens: Erneut hält sich die Begeisterung in Grenzen. Weil Julian Renninger wieder einen Kreuzbandriss erleidet. Nach dem rechten Knie beim ersten Mal erwischt es jetzt das linke. Lange nachdenken muss der Pechvogel nicht: Bereits in der folgenden Woche wird er operiert, um anschließend das bereits bestens bekannte Reha-Programm in Angriff zu nehmen. Vielleicht hilft ihm hier die Tatsache, dass er waschechter Solinger ist, also im Bergischen seine Heimat hat. Die Menschen dort sollen ja gerne schon mal den Dickkopf geben. Übersetzt: Sie lassen sich nicht von dem abbringen, was sie sich vornehmen. Sie ziehen es einfach durch.

Jetzt, im Mai 2020, wirkt der 26-Jährige wie einer, der alle Zweifel hinter sich gelassen hat, der heiß auf das nächste Comeback ist. In der zweiten Reha, die auf ihre Art wohl noch anstrengender war als die erste, sieht sich Julian Renninger intensiv darin bestätigt, dass er nun schon so lange für den VfL Eintracht Hagen spielt. „Sie haben mich nie unter Druck gesetzt und immer gesagt, dass sie mir alle Zeit geben, die ich brauche“, sagt Julian, der sein Programm beim Eintracht-Partner „Plus D Sports“ absolvieren kann und sich bei dessen Fachleuten bestens aufgehoben fühlt. Was der intensiven Arbeit bestimmt nicht im Wege steht: Das auf die Zusammenarbeit mit Leistungssportlern spezialisierte Unternehmen befindet sich mitten in Solingen. Dort lebt Julian, dort fühlt er sich zu Hause, obwohl er nach Geburtsurkunde in Haan zur Welt kam („Wie das passieren konnte, weiß ich bis heute nicht.“). Chef bei „Plus D Sports“ ist außerdem ein bundesweit anerkannter Fachmann: David Gröger – inzwischen nicht mehr als Geschäftsführer in der ersten, sondern als Gesellschafter in der zweiten Reihe. Die Qualität der Arbeit, die Gröger und seine Trainerkollegen leisten, hatte auch den Deutschen Handball-Bund überzeugt. Seit dem 1. Juni 2019 ist er dort Bundestrainer Athletik – eine besondere Form der Anerkennung.

Sein Lieblingsspielzeug: Julian Renninger sieht es durchaus als Privileg, dass er den Handball zum Beruf machen konnte. (Foto: Eintracht Hagen)

Ziemlich schnell anerkannt war auch Julian Renninger in Hagen. Nach dem Beginn seiner Handball-Karriere beim Ohligser TV wechselte er 2011 aus der A-Jugend der Solinger ein paar Kilometer tiefer ins Bergische in die 3. Liga zum TuS Wermelskirchen, wo er auf Trainer Lars Hepp traf. „Ich habe Lars viel zu verdanken“, betont Renninger, der seinem Coach nach dem finanziell bedingten Aus der Wermelskirchener nach Hagen folgte. Mit Hepp als Cheftrainer erreichte die Eintracht im Jahr 2015 zum ersten Mal die 2. Liga, mit Hepp-Nachfolger Niels Pfannenschmidt drei Jahre später zum zweiten Mal. Jene Aufstiege bezeichnet Renninger immer als die größten Erfolge seiner Karriere, die auf der einen Seite noch möglichst lange dauern und am liebsten zum dritten Mal in die zweithöchste deutsche Klasse führen soll. Das ist aus Julians Sicht mit drei bis vier Trainings-Einheiten pro Woche nicht zu realisieren, sondern nur mit voller Konzentration auf den Sport. Bei der Frage nach seinem Beruf scheint er deshalb fast den Sinn nicht  zu verstehen: „Ich bin Handball-Profi.“ Acht Einheiten pro Woche sowie physiotherapeutische und ärztliche Betreuung hält Renninger für unerlässlich, damit eine Mannschaft erfolgreich sein und zumindest den Sprung in die 2. Liga in Angriff nehmen kann. Genau das ist ja tatsächlich nicht nur aus seiner Sicht der feste Plan der Eintracht, die den Blick nach zwei Aufstiegen und zwei Abstiegen erneut nach oben richtet.

Dass er in der vergangenen Saison nicht auf der Platte beim Unternehmen Meisterschaft helfen konnte, schmerzt den Handballer aus Leidenschaft sehr. Trotzdem oder gerade deshalb kann er sich ein Urteil darüber erlauben, dass ausbleibende Ergebnisse nie alleine auf den Trainer zurückzuführen sind – der in diesem Fall der erst zum Beginn der Saison 2019/2020 verpflichtete Ulli Kriebel war. Die großen Erwartungen wichen im Verlauf der Vorrunde einer für die Eintracht ernüchternden Wirklichkeit: Vorne zeigte der Zweitliga-Mit-Absteiger Wilhelmshavener HV wenige bis keine Schwächen, während die Leistungen der Hagener zu oft schwankten. Nach dem 26:29 am 15. November 2019 im Heimspiel gegen die SG Menden Sauerland Wölfe bot Kriebel, der wie Renninger in Solingen lebt, den Rücktritt an. Aus den 11:1 Punkten vom Saisonbeginn waren plötzlich 17:9 geworden – zu wenig auch aus der Sicht von Kriebel, der den Hauptteil der Verantwortung auf sich selbst und damit die Spieler in Schutz nahm. Renninger findet das sehr verdienstvoll, will das aber so nicht gelten lassen: „Du darfst, bei allem Respekt, als Eintracht Hagen nicht zu Hause gegen Menden verlieren.“ Für die Wölfe war der Erfolg einer von nur drei Saisonsiegen und die Hagener verpflichteten ein paar Tage später als Kriebel-Nachfolger den mit seiner Familie in Hagen lebenden Stefan Neff, der zuvor beim Liga- und Lokalrivalen SG Schalksmühle-Halver Dragons gearbeitet hatte.

Das Trikot, das alles sagt: Für Julian Renninger war es nie eine Option, sich dem Verletzungspech geschlagen zu geben. (Foto: Eintracht Hagen)

Weil Julian Renninger mittlerweile der dienstälteste Spieler der Hagener ist, gilt er längst als Identifikationsfigur im Verhältnis zu Teamkollegen, Fans und Umfeld. Damit künftig möglichst alle Mitglieder der ersten Mannschaft das Eintracht-Gen leben können, hat der Verein eine Art Residenzpflicht eingeführt: Wer einen Vertrag unterschreiben und beim VfL seiner Berufung/seinem Beruf nachgehen will, muss seinen Wohnsitz in der Stadt nehmen. So wollen die Verantwortlichen verhindern, dass bezahlte Handballer nur zum Training und zum Spiel in die Halle kommen, ansonsten aber wenig mit Hagen zu tun haben (wollen). Im Gegenzug bietet der Klub eine Rundum-Betreuung und einen Rahmen, der in der 3. Liga wenig Vergleichbares findet. Der VfL Eintracht Hagen gehört insgesamt nach seinem Selbstverständnis in die 2. Liga und wird dieses Ziel ab September mit noch mehr Schwung in Angriff nehmen. Zwei, die mehr oder weniger hinter den Kulissen im Management seit etwas mehr als einem Jahr sehr viel mit anschieben: Fynn Holpert, der ehemalige Bundesliga-Keeper mit Nationalmannschafts-Erfahrung, und Eike Weinberg, der sich als Referent der Geschäftsführung um Marketing und Öffentlichkeits-Arbeit kümmert.

Auch Privileg für die VfL-Profis: Sie konnten zuletzt bereits unter Beachtung der geforderten Corona-Sicherheits-Maßnahmen wieder ins Kleingruppen-Training in der Halle einsteigen und zurzeit die erste gewollte Pause einlegen. Für Julian Renninger war die Arbeit bei ungewohnten Bedingungen sogar was doppelt Besonderes, weil er seinen Körper mal wieder unter realistischen handballerischen Gesichtspunkten belasten durfte. Sein Fazit hört sich ziemlich vielversprechend an: „Alles in Ordnung, alles fühlt sich gut an.“ Weil es nicht mal den Ansatz von Unsicherheit gespürt hat, ist er heißer denn je auf die nächsten Schritte. Resignation? Unzufriedenheit? Renninger, der für die „Zeit danach“ einen Bachelor in Sport und Trainingswissenschaften im Rücken hat, liebt den Handball – der für ihn eine Leidenschaft ist und nicht nur Leiden schafft. Mit dem Handball aufhören? Irgendwann vielleicht, in einigen Jahren. Bis dahin macht er weiter, wo andere vielleicht längst hingeschmissen hätten.