04. Juni 2020 | Zurück zur Artikelübersicht » |
Er ist erst 29 und damit einer aus der Reihe der jungen Trainer. Gilbert Lansen hat auch Respekt vor dem, was auf ihn zukommt. Es ist schlicht eine Herkules-Aufgabe, die sie ihm beim Neustart des Neusser HV abverlangen. Nach dem Scheitern des Projekts HC Rhein Vikings, dem Auslaufen der Idee HSG Neuss/Düsseldorf sowie der Insolvenz der Trägergesellschaft für die erste Mannschaft zunächst in der 2. und dann in der 3. Liga zog sich der NHV zurück. Obwohl viele das kaum für möglich gehalten hatten, meldete der Zwangs-Absteiger aus der 3. Liga aber vor ein paar Wochen tatsächlich für die Regionalliga Nordrhein. Sportlich federführend ist dabei Gilbert Lansen, der als Jugendtrainer bereits sehr erfolgreich war und nun das Unternehmen Wiedergeburt leitet. Aus dem einstigen Drittliga-Team, dessen wichtigste Stützen schnell andere Vereine suchten und fanden, ist dabei niemand mehr übrig. Einen wie Sebastian Schön (21) zum Beispiel hätte der Coach liebend gerne gehalten, weil der bestens in die Visionen von der Zukunft gepasst hätte. Lansen weiß, warum die personellen Planungen diesmal doppelt schwierig waren: „Es geht darum, dass wir neues Vertrauen aufbauen müssen.“
Mit dem, was früher war, mag sich der NHV-Trainer nicht mehr lange aufhalten – weil er alle Kraft für das braucht, was vor ihm liegt. Die Ereignisse der Vergangenheit haben ihn und den Vorstand allerdings bei den personellen Planungen immer wieder eingeholt. Der eine oder andere Spieler verzichtete auf eine Zusage, sich am Projekt Neuss 2020 zu beteiligen, weil er vorsichtig geworden ist und zunächst abwartet, was in der Halle Hammfeld wohl passiert. Eine spielfähige Mannschaft hat Gilbert Lansen trotzdem zusammenbekommen: „Im Moment umfasst unser Kader 13 Spieler.“ Es ist eine sehr bunte und junge Mischung aus Talenten von 18 bis 20 Jahren, Spielern aus der bisherigen Zweiten (Oberliga) und Neuzugängen. So kommen Henrik Ingenpaß aus der Bundesliga-A-Jugend des Erstliga-Aufsteigers TuSEM Essen und Jose Rosendahl aus dem Drittliga-Kader des Leichlinger TV. „Zwei bis drei Jungs fehlen uns noch“, betont Lansen, „in Kontakt sind wir noch mit vier bis fünf Leuten.“ Viel spricht dafür, dass der „Team-Senior“ künftig 27 Jahre alt sein wird. Damit stünde zugleich fest, dass der Neusser HV in der Serie 2020/2021 mit ziemlich wenig Erfahrung antritt.
Die Mannschaft und ihr Coach wollen Wettbewerbs-Nachteile unter anderem durch Leidenschaft und Begeisterung ausgleichen. An der Einstellung zum gemeinsamen Abenteuer scheint es tatsächlich auch nicht zu fehlen, weil die Neusser bereits zum frühesten erlaubten Zeitpunkt mit dem Outdoor-Training begonnen haben: „Die Spieler sollten sich untereinander schon mal kennenlernen.“ Körperlich scheint der Plan ebenfalls aufgegangen zu sein, denn der Fitness-Stand seiner Handballer ist nach Lansens Ansicht gut – und deshalb jetzt eine Pause drin. Die Hoffnung: Nach der Unterbrechung möge es so sein, dass die Handballer wieder in die Halle dürfen, um die Vorbereitung sportartspezifisch mit Kontakt weiterzuführen. Der NHV würde sich wünschen, dass es in Neuss Ende Juni bis Mitte Juli wirklich losgeht.
Der Saisonstart steht für den Regionalligisten nach dem durch den Verband vorgelegten Terminplan am 29. August mit der Partie bei der HG Remscheid auf dem Programm. Die Heimpremiere hätte es am 5. September geben sollen, doch an diesem Wochenende hat Neuss frei – weil der vorgesehene Gegner TV Jahn Köln-Wahn inzwischen offiziell seinen Verzicht auf die Regionalliga erklärte (und damit als erster Absteiger feststeht). Anschließend geht es am 12. September zur TSV Bonn rrh., ehe am 19. September in der SG Ratingen einer der Top-Favoriten nach Neuss kommt. Größere Illusionen gibt sich allerdings beim NHV sowieso keiner hin: Einziges Thema in allen Überlegungen ist der Abstiegskampf. „Wir wollen und müssen die Klasse halten“, erklärt Lansen, der sich die für den Neubeginn erforderliche Geduld im Umfeld wünscht: „Es kann sein, dass wir eine besonders schwierige Hinrunde haben.“ Insgesamt warten im Laufe der Saison in der 15er-Staffel immerhin 28 Aufgaben – mehr als doppelt so viele wie jene zwölf, die einst der nach der griechischen Mythologie für seine Stärke berühmte Held Herkules/Herakles als Strafe zu erledigen hatte. Kleiner Trost: Herkules durfte sich letztlich über göttliche Ehren freuen. Auf die Neuzeit übersetzt folgt daraus: Gilbert Lansen rückt in den Handball-Olymp auf, wenn er mit den Neussern die Klasse hält und die Basis für neues Vertrauen schafft.