11. Juni 2020 | Zurück zur Artikelübersicht » |
Im Jahr davor war es Rang vier. Die coronabedingt abgebrochene Saison 2019/2020 beendete die HSG Refrath/Hand unter der Regie von Trainer Mario Jatzke auf dem fünften Platz in der Oberliga Mittelrhein. Das ist nicht überragend und schon gar nicht richtig schlecht. Mancher andere wäre sogar neidisch, auf solche Ergebnisse blicken zu können. Trotzdem bleibt das Gefühl, dass es etwas mehr hätte sein dürfen – bis müssen. Und in diesem Zusammenhang ehrt es Ex-Trainer Mario Jatzke, dass er sich nicht alleine auf durchaus plausible Erklärungsversuche wie fehlende Erfahrung bei einigen Spielern oder Verletzungen zurückzog: „Du musst dich auf jeden Fall auch selbst hinterfragen. Vielleicht liegt es ja an dir, dass die Mannschaft das Potenzial nicht immer ausschöpft.“ Mitten in der Rückrunde stand dann das Ergebnis des Meinungs-Austauschs mit dem Sportlichen Leiter Christopher Braun fest: Neun Spieltage vor dem geplanten Ende der Serie erklärte Jatzke, dass er nach der Saison aufhört. Nur zwei Spiele später stand das Aus vorzeitig fest, denn nach der Partie beim Longericher SC II am 7. März wurde die Saison erst unter- und später abgebrochen. Keiner konnte ahnen, dass der 36:24-Sieg der HSG bereits der Abschied von Jatzke sein würde. Zumindest nicht viele konnten ahnen, wie sich der Oberligist auf der Suche nach Ersatz zweieinhalb Monate später entscheiden würde. Motto eins: Das Gute liegt so nah. Motto zwei: Do it yourself. Im Ergebnis: „Neue“ Trainer sind Christopher Braun, der bei den Refrathern mal wieder eine Doppel-Funktion ausübt, und der bisherige Athletik-Coach Dennis Marquardt.
Braun ist kein Nachfolger aus der Not heraus, der sich nur zum Zeitvertreib das Training einer Herren-Mannschaft genehmigt. Unter seiner Verantwortung an der Seitenlinie gelang dem Verein vielmehr durch drei Aufstiege hintereinander der Durchmarsch von der Kreisliga bis in die Oberliga, ehe er 2018 den Staffelstab an Mario Jatzke überreichte und die eigene Arbeit zur zweiten Mannschaft verlegte – die als Unterbau näher an die Erste heranrücken sollte. Ergebnis: Mit dem Trainerteam um Darius Esna-Ashari schaffte die HSG-Zweite zuletzt als beherrschende Mannschaft der Kreisliga ohne Niederlage den Aufstieg in die Landesliga. Beim Wechsel zurück auf die Kommandobrücke der Ersten hat sich Braun nicht aufgedrängt, aber er ist auch nicht zurückgezuckt: „Wir waren am Ende einfach der Meinung, dass eine interne Lösung die beste ist.“ Als Trainer hat Braun nun bestimmte personelle Vorstellungen – die der Sportliche Leiter Braun am Budget überprüfen muss. Als Sportlicher Leiter hat Braun bestimmte Vorstellungen von der kommenden Saison, an denen sich der Trainer Braun messen lassen muss. Besonders oft wird er vermutlich nicht über einen unterschiedlichen Standpunkt diskutieren müssen.
Die vergangene Saison haben sie in der Halle Steinbreche weitgehend abgehakt. „Unser Fazit ist, dass wir nicht zu hundert Prozent zufrieden waren. Es gab einige Faktoren, die Mario das Leben erschwert haben“, betont Braun, für den Ex-Coach Jatzke immer ein willkommener Gast bei den Spielen der HSG bleiben wird: „Wir sind total positiv auseinandergegangen.“ Sollte Mario Jatzke das Angebot wahrnehmen und zum Beispiel die für den 29. August angesetzte Heimpremiere 2020/2021 gegen den TuS 82 Opladen II erleben wollen, bekäme er auf der Trainerbank gleich zwei Nachfolger zu sehen: Braun teilt sich die Arbeit ja mit Dennis Marquardt – den in Refrath ebenfalls jeder kennt. Marquardts Herz hing bisher an der Trainertätigkeit bei den Minis und an der Athletik der ersten Mannschaft. In diesem Punkt konnte er seine Qualitäten in den vergangenen Wochen besonders unter Beweis stellen, weil er unter anderem die individuellen Pläne fürs „Home Office“ der Spieler erarbeitet hat. Dass er in der aktiven Zeit in der 2. und 3. Liga unterwegs war, sollte das Team ebenfalls weiterbringen. Marquardt ist Feuer und Flamme für das neue Projekt: „Ich war sofort begeistert, als Christopher mit der Idee auf mich zukam, Trainer der Oberligamannschaft zu werden. Ich werde meine Erfahrungen sehr gerne mit einbringen.“
Rückraumspieler Jonathan „Johnny“ Benninghaus und Kreisläufer Michael Wittig (beide 30) bleiben auf dem Feld die Führungsfiguren der HSG. In Sachen Erfahrung haben die Refrather sogar noch einmal nachgelegt – auf der Torhüter-Position. Dort war nach dem Rückzug des Regionalligisten TV Jahn Köln-Wahn fraglich, was aus Oliver Kierdorf (34) werden könnte. Für die HSG sofort klar: „Wenn einer wie er auf dem Markt ist, darf man nicht lange zögern.“ Trotz anderer Anfragen brauchte der Keeper gleichfalls nicht mehr lange zu überlegen, sodass die HSG nun durch Kierdorf, Stephan Vatter (26) und Tim Trögel (21) auf einer der wichtigsten Positionen im Handball dreifach besetzt ist – was die bisherigen Torhüter trotz des nun stärkeren Konkurrenzkampfes ausdrücklich befürworten. Kierdorf, einer der Besten seines Fachs in der Regionalliga, sieht zunächst wie die Nummer eins aus, wird sich allerdings seinen Status in der Vorbereitung auf die Saison 2020/2021 neu erarbeiten müssen.
Beim Blick auf die neue Saison äußert sich der Sportliche Leiter vorläufig ein bisschen zurückhaltend. Natürlich weiß Braun, dass ein Team mit Handballern wie Benninghaus und Wittig nahezu automatisch nach oben eingeordnet wird. Außerdem konnte die HSG in den vergangenen Jahren immer wieder Top-Talente wie Lennart Niehaus oder Niklas Funke vom Bleiben überzeugen. „Wir haben gute Möglichkeiten und wir werden kein Understatement betreiben. Keiner würde uns abnehmen, dass wir nur einen Platz unter den ersten fünf wollen. Aber wir sagen auch nicht, dass die Saison nichts wert war, wenn wir den Aufstieg verpassen“, betont Braun, der den Vorjahreszweiten Pulheimer SC als einen der schärfsten Konkurrenten im Kampf um die Top-Plätze vermutet. Insgesamt sei allerdings mancherorts abzuwarten, wie sich die Dinge in den kommenden Wochen entwickeln. Gesicherte Erkenntnis: Kein einziger Konkurrent wird den Refrathern etwas schenken.
Team und Trainer wollen sich entsprechend intensiv vorbereiten. Einheiten draußen gab es bereits, bald soll der Wechsel in die Halle erfolgen. „Bei uns sieht es so aus, dass wir durchtrainieren“, erklärt Braun. Soll heißen: Es wird wohl keine Hallen-Schließung in den Sommerschulferien geben. Dann hätte die HSG in zweieinhalb Monaten tatsächlich ausreichend Gelegenheit, die handball-spezifischen technischen und körperlichen Grundlagen für 2020/2021 zu schaffen. Einhellige Meinung: „Wir haben richtig Bock drauf.“ Und sollte am Ende doch ein Aufstieg stehen, hätte in Refrath eher keiner was dagegen. Das wäre dann nicht nur nicht schlecht, sondern richtig gut.