Regionalliga Nordrhein
Aachens große Frage: Was macht die Hand von Simon Breuer?
Die Bandits sind erst vor zwei Jahren aufgestiegen und doch schon eine feste Größe. Jetzt muss Trainer Martin Becker den jungen Aaron Ernst wohl schneller als geplant ins kalte Wasser werfen.

Durchbruch: Simon Breuer (beim Wurf) hat es in seiner Karriere bis in die 2. Bundesliga gebracht und er ist immer noch ein Spiellenker auf höchstem Niveau. Aachen hofft deshalb, dass er vielleicht doch ein weiteres Jahr dranhängen kann. (Foto: Burkhard Kasan)

Das hört sich ziemlich vertraut an. BTB Aachen und Regionalliga? Klar gehört der Verein, der mit vollem Namen Burtscheider Turnerbund heißt und sich selbst „Bandits“ nennt, schon immer dazu oder wenigstens von Anfang an. Als aber die neue Klasse, ein Zusammenschluss der Besten aus den Oberligen Niederrhein und Mittelrhein, im Jahr 2016 aus der Taufe gehoben wird, sind die Aachener nur die Nummer acht am Mittelrhein – und entsprechend im Premierenjahr nicht dabei. Zwölf Monate später müssen sie als Vizemeister der HSG Siebengebirge den Vortritt lassen, ehe der BTB endgültig den Aufzug nach oben besteigt. In einem dramatischen Saisonfinale 2018/2019 fängt das Team von Trainer Martin Becker durch das 26:24 am letzten Spieltag den Pulheimer SC ab und steigt in die Regionalliga auf – vor den punktgleichen Pulheim und TuS Derschlag (alle 40:12). Anschließend steuert Aachen als Klassen-Neuling schnell auf dem Kurs zum Klassenerhalt und belegt am Ende Rang sechs. Parallel dazu gelingt dem Regionalligisten ein Siegeszug durch den Deutschen Amateurpokal, in dessen Finale in Hamburg beim 28:29 nach Siebenmeterwerfen gegen den inzwischen wieder in die 3. Liga aufgestiegenen ATSV Habenhausen nur Zentimeter zum Erfolg fehlen. Weil Mannschaft und Trainerteam trotzdem stolz auf sich sein können und sich nichts vorzuwerfen haben, nehmen sie den Schwung in die kommende Serie mit. Trotz einiger personeller Probleme am Anfang und zweier Auftakt-Niederlagen springt in der im Frühjahr coronabedingt abgebrochenen Serie 2019/2020 der starke Platz vier heraus. Aachen hat sich endgültig und erstaunlich schnell in der Regionalliga etabliert.

Ganz klar: Höhere Ansprüche oder eine automatisch eingebaute weitere Steigerung sehen sie beim BTB nicht – was ohnehin kaum zu den handelnden Personen passen würde. Erst einmal haben die Verantwortlichen in der Pause wichtige personelle Hausaufgaben gemacht. Dazu bot sich gerade in Aachen besonders viel Zeit, denn seit dem 15. Februar und dem 29:33 gegen die SG Langenfeld lag der Handball lange auf Eis. Über Karneval setzte die Regionalliga aus, ehe die Aufgaben bei der HSG Siebengebirge und gegen den Lokalrivalen HC Weiden abgesetzt wurden – während ein Teil der Konkurrenz noch im Einsatz war. Anfang April gab dann zunächst Martin Becker die Zusage für ein weiteres Jahr im Gillesbachtal, sodass er gerade in seine sechste Saison als verantwortlicher BTB-Coach geht. In Aachen schätzen sie seine fachlichen und menschlichen Qualitäten sowie die Souveränität, die er an der Seitenlinie in der Regel ausstrahlt. Für Ralf Klinkenberg, Vorsitzender des Gesamtvereins und Abteilungsleiter Handball, steht außer Frage, dass die Zusammenarbeit den Klub voranbringt: „Einen besseren Trainer kann ich mir nicht wünschen.“

Handzeichen: Vielleicht will Aachens Trainer Martin Becker nur sagen, dass er sich und seinem Team für die kommende Saison alles Gute wünscht. (Foto: Thomas Elllmann)

Kontinuität ist das Stichwort nicht nur bei Becker (38), der nach seiner Karriere als Spieler beim BTB direkt ins Amt des Trainers wechselte und dort Andreas Heckhausen ablöste – der nun beim Lokalrivalen HC Weiden arbeitet. Becker wird auf einen eingespielten Kader bauen können, zu dem er von außerhalb nur zwei Verstärkungen hinzunahm. Die erste Zusage gab es von Christopher Adams (27), der zuletzt das Trikot des Verbandsligisten HSG Merkstein trug und gemeinsam mit David Bökmann die Kreisläufer-Position beackern soll. Becker hofft, dass Adams den Zwei-Klassen-Sprung schafft – und er traut es ihm zu. Deutlich höher sind die Erwartungen an Aaron Ernst (22), der zuletzt beim Oberligisten TV Birkesdorf eine herausragende Rolle hatte – und über kurz oder lang der Nachfolger von Simon Breuer werden soll.  Derzeit hoffen alle, dass die Staffelübergabe nach Plan klappt. Und das wiederum hat mit Routinier Breuer zu tun, der im August 37 wird und in Kürze womöglich vor einer sehr schwierigen Entscheidung steht.

Den Achillessehen-Riss aus dem Februar 2018, als er noch für den früheren Drittligisten und heutigen Klassen-Konkurrenten SG Ratingen spielte, hat Breuer inzwischen abgehakt und sich in der vergangenen Saison wieder als Lenker und Denker der Aachener etabliert. Noch beim unfreiwilligen „Finale“ gegen Langenfeld erzielte er neun Treffer – wie im rechten Rückraum Linkshänder Carsten Jacobs. Die Achse aus Jacobs (28), Breuer und Philipp Wydera (Rückraum links) steuerte in der Saison-Addition genau 294 Treffer bei, also im Durchschnitt 17,28 pro Begegnung. Nun droht das Trio allerdings gesprengt zu werden: Simon Breuer denkt darüber nach, ob er seine Karriere fortsetzen soll. Oder ob er aufhören muss.

Wichtiger denn je: Carsten Jakobs (beim Wurf) wird im Aachener Kader vielleicht noch mehr Führungsaufgaben übernehmen (müssen) als bisher. (Foto: Thomas Ellmann)

Weil die Beschwerden an der verletzten linken Hand immer stärker wurden, gab es letztlich keine andere Option mehr: In der Corona-Pause unterzog sich Breuer der zunächst sogar verschobenen Operation. Der Eingriff verlief zwar wie geplant und der Alltag ist kein Problem, doch an Handball ist bisher nicht zu denken. Es deutet sich sowohl medizinisch als auch persönlich ein Wettlauf mit der Zeit/gegen die Zeit an. Wie ist es mit der inneren Stimme? „Das Herz sagt ja, mach‘ weiter“, erklärt Breuer, „der Verstand sagt etwas anderes. Es wäre nicht falsch, wenn ich aufhöre.“ Festzustehen scheint lediglich, dass es den Vollgas-Handballer Breuer mit höchsten Spielanteilen nicht mehr geben wird, sondern eher jenen, der sich in reduziertem Umfang auf dem Feld zur Verfügung stellt. Trainer Becker hofft naturgemäß, dass sein wichtigster Mann, der zu den wenigen Handballern aus der Kategorie „eigentlich unverzichtbar“ gehört, trotz aller Bedenken irgendwie aktiv ins Geschehen eingreifen darf/will. Andererseits hat er das größte Verständnis für den Fall, dass es nicht mehr geht: „Ich stehe zu hundert Prozent hinter jeder Entscheidung. Falls es nicht sein soll, wird er uns von der Seitenlinie aus unterstützen und Aaron mit seiner ganzen Erfahrung helfen.“ 

Dass Simon Breuer dazu bereit ist, versteht sich von selbst. Und dazu braucht er kein Amt im Verein, das er in diesem Fall sogar hat: Breuer ist Sportlicher Leiter und steht mit seinem Trainer Becker sowieso in ständigem Austausch. Gemeinsam werden beide intensiv den am 20. Juli beginnenden nächsten Teil der Vorbereitung vorantreiben, damit sich der BTB zum Auftakt in einer möglichst guten Verfassung präsentieren kann. Der Startschuss soll nach dem Spielplan, den Handball Nordrhein vor einigen Wochen vorlegt hat, am 29. August um 19.30 Uhr beim TV Aldekerk erfolgen. Dass Simon Breuer aktiv an Bord sein wird, gilt nach dem Stand von heute fast als ausgeschlossen. Breuer hat immerhin einen ganz eigenen Notfallplan auf Lager – um mit etwas Verspätung den verdienten Abschied am Ende einer langen und sehr erfolgreichen Spielerkarriere zu feiern. Sich mit einer Heimniederlage gegen die SGL zu verabschieden? Ohne zu wissen, dass es das letzte Mal ist? Kann nicht sein. Vielleicht wäre das Derby am 9. Januar 2021 gegen den HC Weiden der geeignete Termin, in der heimischen Halle mit möglichst vielen Zuschauern im Rücken. Damit könnte sich Simon Breuer bestimmt anfreunden und er müsste als Sportlicher Leiter seinen Coach nicht mal überreden: Becker wäre sofort dabei. Und weil Aachen zu diesem Zeitpunkt voraussichtlich bereits 13 andere Meisterschafts-Aufgaben hinter sich hat, wüssten sie beim BTB gleichzeitig, wohin die Reise geht. Optimale Lösung aus der Sicht aller: BTB Aachen und Regionalliga? Hört sich ziemlich vertraut an.