Regionalliga Nordrhein
Alle gegen einen? Ratingen und seine 14 Jäger
Der TV Korschenbroich gilt als einer der wenigen echten Konkurrenten. Für die Hälfte der 15 Teams geht es um den Klassenerhalt.

Der Schwung des Aufsteigers: Felix Molsner (mit Ball) und der OSC Rheinhausen wollen in der Regionalliga so schnell wie möglich Fuß fassen. (Foto: Herbert Mölleken)

Mit diesem Kader musst du aufsteigen. Darüber wird niemand ernsthaft diskutieren können und auch Ace Jonovski will als Trainer mit der SG Ratingen im nächsten Anlauf endlich den Sprung zurück in die 3. Liga schaffen, in die der Verein aufgrund seiner Voraussetzungen im Umfeld auch gehört – und nach dem eigenen Selbstverständnis sowieso. Schon Spieler wie Simon Ciupinski und Damian Janus vom Zweitliga-Absteiger HSG Krefeld kommen nicht in die Halle an die Gothaer Straße, damit der Verein erneut im Mittelfeld herumdümpelt (wie in der vergangenen Saison). Das war allerdings im Februar und März dieses Jahres im Grunde nur der Anfang, weil die Ratinger kurz darauf noch etwas höher ins Regal griffen – indem sie in Robert Markotic einen Rückraumspieler vom Bundesligisten TVB Stuttgart und in Denis Karic einen Torhüter vom Zweitligisten ThSV Eisenach holten. Da mag es ein Handicap sein, dass etwa in Damian Janus der verletzte Chef der Abwehr lange ausfallen wird, aber aufhalten darf das die Ratinger nicht. Formt die SG aus den vielen herausragenden Einzelkönnern ein echtes Team, sollte sie die Liga beherrschen. Einen ersten Fingerzeig dürfte die Partie gegen den im Neu-Aufbau steckenden Neusser HV bieten, der zurzeit nicht mal eine Halle zur Verfügung hat (Hammfeld gesperrt) und sich selbst als einen krassen Außenseiter für die gesamte Saison sieht. Deshalb treffen am Sonntag zwei komplett verschiedene Handball-Welten aufeinander. 

Ist überhaupt ein zumindest halbwegs ernsthafter Verfolger in Sicht? Dafür kommt am ehesten der Vorjahresdritte TV Korschenbroich in Frage, der nach einer überzeugenden Vorbereitung liebend gerne bereits am letzten August-Wochenende losgelegt hätte und mit der Verschiebung des Saisonstarts nichts anfangen konnte. „Wir waren auf den Punkt genau da“, sagt Trainer Dirk Wolf, dessen Mannschaft in Tests einige Drittligisten bezwang. Weniger als Rang drei aus der vergangenen Saison darf es aus seiner Sicht ohnehin nicht sein: „Ich möchte einen Platz besser werden. Natürlich wollen wir oben mitspielen.“ Ganz am Ende sieht Wolf ebenfalls die SG Ratingen als sehr heißen Titelkandidaten – und trotzdem nicht als unschlagbar: „Klar ist, dass alle Ratingen ärgern wollen. Da brauchst du keine Extra-Motivation.“ Seiner auf allen Position doppelt besetzten Mannschaft traut er alles zu – zumal in Rückkehrer Henrik Schiffmann (26) vom Zweitliga-Absteiger HSG Krefeld eine wertvolle Verstärkung für den rechten Rückraum an Bord ist. Die Auftakt-Partie gegen den TV Aldekerk hat es dabei direkt in sich. 

Aldekerk mit Trainer Nils Wallrath kommt für eine Position direkt hinter den Top-Teams in Frage. Ein Grund: Der Verein wurde auf der Suche nach Verstärkungen ebenfalls in Krefeld fündig, denn von dort kam Keeper Paul Keutmann und Regisseur Tim Gentges. Einen klaren Kurs auf die obere Tabellenhälfte sollten zudem der OSC Rheinhausen und der HC Gelpe/Strombach nehmen – zwei untypische Aufsteiger. Rheinhausen war unter dem Namen HC Wölfe Nordrhein die herausragende Mannschaft in der Oberliga Niederrhein und scheint zusätzlich nach der Rückkehr unter das Dach des OSC eine neue Handball-Euphorie im Ruhrgebiet zu erzeugen. Trainer Thomas Molsner hat jetzt darüber hinaus in Olaf Mast einen Sportlichen Leiter an der Seite, der für weitere wertvolle Impulse gut ist. Mehr Kompetenz rund um den sinnvoll ergänzten Kader geht kaum. Molsner freut sich – wie alle – sehr auf die Saisonpremiere, bleibt jedoch auf dem Teppich: „Das erste Spiel ist immer eine Wundertüte. Keine Mannschaft weiß genau, wo sie steht. Ich bin gespannt.“ Zum Auftakt wird er in der Douvermann-Halle beim MTV Rheinwacht Dinslaken die eine oder andere Antwort auf offene Fragen bekommen.

Ich weiß es doch auch nicht! Trainer Lars Degenhardt und seine HSG Siebengebirge sind trotzdem bereit für den Start in die neue Saison. (Foto: Thomas Schmidt)

Gelpe/Strombach, der verdiente Meister der Oberliga Mittelrhein, verfügte bereits 2019/2020 über ein regionalliga-taugliches Aufgebot, das durch die Heimkehr von Alexandre Brüning (26), zuletzt Kapitän des Drittligisten SG Schalksmühle-Dragons, noch stärker geworden ist. Der Startschuss fällt für die Mannschaft von Trainer Michiel Lochtenbergh mit der Aufgabe gegen die nie zu unterschätzende HSG Siebengebirge – und natürlich hoffen sie im Oberbergischen, durch einen Erfolg die Basis fürs Saisonziel zu legen. Das sieht offiziell eher bescheiden aus: „Wir wollen so schnell wie möglich den Klassenerhalt unter Dach und Fach bringen.“ Mit dieser Variante könnten sich auch die HSG und ihr Trainer Lars Degenhardt anfreunden.

Stichwort Klassenerhalt: In den Kampf gegen den Abstieg wird die halbe Klasse verwickelt sein. Weil es in der vergangenen und abgebrochenen Saison keine Absteiger gab, wuchs die Gruppe durch die Aufsteiger Gelpe und Rheinhausen zunächst auf 16 Mannschaften an. Für die Serie 2021/2022 soll die Regionalliga wieder mit den bisherigen 14 Klubs an den Start gehen – was nur über einen erhöhten Abstieg erreichbar  ist. Glück für alle „Interessenten“: Der TV Jahn Köln-Wahn zog Ende Mai nach dem Meldeschluss zurück und gilt somit als erster der im krassesten Fall sechs Absteiger – die es dann trifft, wenn aus dem Bereich der Regionalliga Nordrhein drei Vereine aus der 3. Liga in den Fahrstuhl nach unten steigen. So steht es in den offiziellen Durchführungsbestimmungen: 16 plus 3 ergibt 19, minus ein Aufsteiger in die 3. Liga ergibt 18, plus zwei Aufsteiger aus der Oberliga ergibt 20. Um auf die Sollstärke von 14 Klubs zu kommen, wären neben Wahn fünf zusätzliche Kandidaten zu finden.

TVK-Coach Dirk Wolf liegt vermutlich mit seiner Einschätzung richtig, denn er erwartet grundsätzlich wieder eine große Dichte – und nur wenige direkte Keller-Kandidaten. Das deutet auf eine extrem spannende Saison hin, weil es praktisch keine mehr oder weniger bedeutungslosen Spiele gibt. Einig sind sich die allermeisten Beteiligten im Übrigen definitiv darin, dass es endlich wieder losgeht. Da nicken selbst Ratinger oder Neusser, die doch sportlich zu ganz anderen Welten gehören.