28. September 2020 | Zurück zur Artikelübersicht » |
Er ist ein Geschichten-Erzähler. Manchmal aus dem Nähkästchen. Immer fesselnd. Hautnah dran. Voller Humor und Ironie. Die kurze Zusammenfassung: Vielleicht können wir Siegfried Knapik, den seit Urzeiten alle nur Siggi nennen, irgendwie doch überreden, irgendwann ein Buch zu schreiben. Der Haken an der Geschichte ist, dass der Solinger noch nicht mal ansatzweise vorhat, sich zur Ruhe zu setzen. Leisten könnte er es sich – und in seinem Alter hätte er jedes Recht dazu. Siggi Knapik dürfte aber der jüngste 76-Jährige weit und breit sein. Und untätig zu Hause sitzen? Kommt gar nicht in Frage. Da werden sie vor allem bei den Handballern des Bergischen HC glücklich sein, mit denen sich Siggi, der die offizielle Bezeichnung Betreuer trägt und doch so viel mehr ist, gerade auf die neue Saison in der Bundesliga vorbereitet. Es ist sein BCH – und wenn er über die heute von Sebastian Hinze trainierte Mannschaft spricht, sagt er immer „Wir“. Dass Spieler wie die aus der eigenen Jugend hochgezogenen Alexander Weck und Jonas Leppich (beide 20) locker seine Enkel sein könnten, stört überhaupt nicht – im Gegenteil: „Das hält jung.“ So einfach ist das.
Die Liebe zum Handball hat viel zu tun mit der Liebe zur Geschwindigkeit – die Siggi früher nicht nur im Tor, sondern auch hinter dem Lenkrad eines fahrbaren Untersatzes auslebte. Für den ehemaligen Service-Leiter eines Solinger Autohauses durften es am liebsten Produkte aus dem Hause Ford sein, die er bei Rallyes selbst auf schwierigsten Strecken ziemlich zügig bewegte, ehe er sie später für andere vorbereitete. Eher auf die Defensive bedacht ist natürlich der Schlussmann Siegfried Knapik, der sich selbst höchstens zurückhaltend begutachtet: „Ich glaube, ich war kein schlechter Torwart.“ Und weil er überhaupt so schlecht „Nein“ sagen kann, gibt er als 47-Jähriger noch einmal ein kurzes Comeback in der Oberliga.
Dass er mal zwischen die Pfosten rücken würde, war so selbstverständlich nicht. Bei der Aufklärung hilft am besten ein Blick in die Vergangenheit des Feldhandballs, die Siggi Knapik nicht nur als Zuschauer erlebt hat. „Es gab die Jüngeren, die waren die Läufer. Da musstest du jeden Angriff vor und wieder zurück. Und es gab die Etablierten, die durften vorne stehen bleiben. Ich gehörte zu den Jüngeren.“ Es war die späte Hoch-Zeit des Feldhandballs, dessen Saison im April für den Höhscheider bisweilen unter besonderen Bedingungen begann: „Da haben wir teilweise sonntags um 11 Uhr gespielt, wenn Schneetreiben war.“ Zum Wochenende-Pflichtprogramm gehörten damals Besuche im Walder Stadion bei den „Oheios“ genannten Handballern des BSV Solingen 98, die 1965 Deutscher Meister wurden. Beinahe unvorstellbar: Ins Walder Stadion kamen bisweilen viele Tausende Zuschauer. Den größten Triumph der „Oheios“ erlebten am 25. Oktober 1965 in Wuppertal sogar 35000 Fans mit – 15:14 nach Verlängerung gegen Grün-Weiß Dankersen. Der Siegeszug des Hallen-Handballs, der parallel bereits begonnen hat, lässt sich trotzdem nicht aufhalten. Klar: Der Läufer Knapik hat genug von der permanenten Rennerei. Sein sportlicher Arbeitsplatz wird künftig unter dem schützenden Dach die drei Meter Breite und zwei Meter hohe Fläche zwischen zwei Pfosten sein.
Knapik hat den Aufschwung des Solinger Handballs miterlebt, den Zusammenschluss der bereits in der 2. Liga angekommen Höhscheider mit Post Solingen zur SG Solingen (1998) und später die Gründung des Bergischen HC – ein Zusammengehen zwischen den Solingern und dem Profi-Handball des LTV Wuppertal (2006). „Das war eine absolut richtige Entscheidung“, findet Siggi, der damals keine Alternative für das Fortbestehen des Top-Handballs im Bergischen sah – eine Einschätzung, an der sich nie etwas geändert hat. Im Trikot des BHC, das er bei der „Arbeit“ wie die Spieler trägt, konnte er zudem weitere besondere Momente in einer ohnehin an Höhepunkten reichen Karriere sammeln. Und ganz sicher darf in dieser Reihe die Teilnahme am Final-Four-Turnier um den DHB-Pokal im Frühjahr 2016 in Hamburg nicht fehlen. Das Halbfinale am 30. April gegen den hohen Favoriten SC Magdeburg stand in jeder Sekunde auf der Kippe und der BHC nur ein paar Zentimeter vor dem Einzug ins Finale. „Normalerweise hätten wir gewinnen müssen“, betont Siggi Knapik. Der Film mit dem Wurf von Arnor Gunnarsson, der sein Ziel knapp verfehlt, läuft wie auf Knopfdruck vor seinen Augen ab. Es wäre damals eine Sekunde vor der Schluss-Sirene das 30:29 gewesen. In der Verlängerung muss der Außenseiter dann die Magdeburger ziehen lassen (Endstand 33:36), obwohl er in Viktor Szilagyi den in Sachen Pokal erfahrensten Spieler in seinen Reihen hat.
Und müsste Knapik in seiner persönlichen Rangliste den besten Spieler küren, der jemals für den BHC aktiv war, stünde Szilagyi sehr, sehr weit oben: „Er wäre wohl meine Nummer eins.“ Seit dem 1. Januar 2018 ist der 42-Jährige wieder für seinen früheren Verein THW Kiel tätig – zuerst als Sportlicher Leiter, inzwischen als Geschäftsführer Sport. Vermutlich haben sich auch schon beide den 15. November dick in ihren Terminkalendern angestrichen – weil der BHC an jenem Sonntag auf die Kieler trifft. Es wird, wie so oft, mehr als bloß das Wiedersehen zwischen ganz guten Bekannten.
Siggi Knapik hat in den vergangenen Jahrzehnten viele Trainer erlebt. Dazu gehören unter anderem sehr bekannte wie Bob Hanning, der heutige DHB-Vizepräsident und Macher der Füchse Berlin, oder die Trainer-Legenden HaDe Schmitz und Leszek Hoft, mit dem ihn in Solingen seit vielen Jahren eine enge Freundschaft verbindet. Und alle durften sich sicher sein, dass jedes Geheimnis bei Knapik gut aufgehoben war/ist. Stichwort: Loyalität. Natürlich behält er seine Ansichten nicht immer für sich. Aber Knapik pflegt den direkten Austausch, der intern bleibt. Eventuell schmutzige Wäsche waschen? Ist nicht sein Ding – was so auch nicht ganz richtig ist. Die schmutzige Wäsche gehört sogar zu seinen Kern-Aufgaben. Die kann bisweilen eine echt klebrige Angelegenheit sein.
Handball ohne Harz wäre nicht nur in der Bundesliga eine andere Sportart. Also greifen die Spieler gerne sehr beherzt in die am Rand bereitgestellten Töpfe mit dem in der Regel Harz genannten Haftmittel – um die Hände anschließend hin und wieder am Trikot oder an der Hose abzuwischen. Das ist immer einer jener Momente, in denen Siggi Knapik leicht die Fassung verlieren kann: „Nimm doch direkt weniger.“ Es ist eine einfache Rechnung: Je dreckiger die Klamotten sind, desto mehr Arbeit hat er zusammen mit seiner Frau Marianne später zu Hause – wo die Waschmaschine in einer Saison praktisch ununterbrochen läuft. Das Bereitstellen und die Pflege der Sportler-Kleidung ist zwar viel Arbeit, doch Knapiks lassen sich nicht nehmen, das Ganze unbedingt selbst zu erledigen. „Da kannst du dir direkt ansehen, ob ein Trikot so mitgenommen ist, dass es vielleicht besser ausgetauscht wird.“ Am nächsten Spieltag soll die Mannschaft schließlich wieder in bestens hergerichtetem Material aufs Feld laufen.
Legendär waren früher im Hause Knapik die Kaffeetafeln für Mannschaft und Trainer vor Spielen – eine Einrichtung, die heutzutage vermutlich unter der Rubrik „Teambuilding“ an den Start gehen würde. Weil diese Runden in Vor- und Nachbereitung immer aufwändiger wurden, gibt es sie inzwischen als feste Einrichtung nicht mehr – obwohl die Tür für einen Kaffee stets offensteht. Zu den „Kunden“ könnten ganz viele Handball-Größen gehören – vielleicht immer noch der russische Kreisläufer Dimitri Torgowanow, den Siggi Knapik sicher „Pino“ nennen darf, oder Vlado Stenzel, der Trainer der deutschen Weltmeister-Mannschaft von 1978, oder der Weißrusse Aljaksandr Karschakewitsch, der als Erfinder des Drehers gilt – bevor ihn später Jochen Fraatz ins Repertoire aufnahm und in Deutschland salonfähig machte. Freuen würde sich Knapik zudem über einen Besuch von Florian Kehrmann, den Trainer des TBV Lemgo, und Michael Hegemann, den Co-Trainer des Bundesligisten TuSEM Essen. Hegemann ist im Übrigen einer der Handballer, die Knapik besonders schätzt – weil er immer bereits war/ist, alles zu geben – über das Notwendige hinaus. Das verbindet bestimmt.
Ein Treffen mit Siggi Knapik kann nicht zu Ende gehen, ohne auf die bevorstehende Saison zu blicken. Dem Team traut er zu, den elften Rang aus der abgebrochenen vergangenen Serie zu übertreffen: „Wir können einstellig werden.“ Den Kader hält er für ausreichend gut besetzt und seinen „Chef“ Sebastian Hinze als Trainer für einen „sehr akribischen Arbeiter“. Stichwort Arbeit: Das, was Siggi Knapik für den BHC leistet, sieht er auf keinen Fall als Belastung. Und er will dafür sowieso kein Geld – wie seit über 50 Jahren im Solinger Handball nicht: „Ich mache das ehrenamtlich.“ Klar: Der BHC hat Siggi und seine Frau bereits vor längerer Zeit zu Ehrenmitgliedern ernannt. Auf jeden Fall werden sich nun auch in der am Donnerstag mit der Partie beim SC Magdeburg beginnenden neuen Bundesliga-Saison eine Menge Anekdoten ansammeln. Siggi Knapik wird wieder neue Geschichten zu erzählen haben. Voller Humor und Energie, voller Ironie. Vielleicht lässt er sich doch überreden, ein Buch daraus zu machen. Es wäre ein toller Lesestoff.