20. Oktober 2020 | Zurück zur Artikelübersicht » |
Das Feuer brennt in Dusko Bilanovic. Obwohl die Zeit gerade nicht so einfach ist. Oder vielleicht gerade deswegen? Der 49-Jährige, der in Belgrad geboren wurde, seit 1994 in Deutschland lebt und seit Langem die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, hat die DNA des Zweitligisten TSV Bayer Dormagen in sich aufgenommen. Er kennt die Voraussetzungen mit nicht unbegrenzt vorhandenen Mitteln, er will gerne junge Spieler und eine Mannschaft entwickeln, er will den Handball-Standort Dormagen vorantreiben – und er weiß gleichzeitig dessen Vorzüge zu schätzen. Die Arbeitsbedingungen im Umfeld sind erstklassig, die Halle im Sportcenter gilt landesweit als echtes Schmuckstück. Ganz weit entfernt am Horizont sieht natürlich auch Bilanovic das Traumziel 1. Bundesliga. Und er weiß, dass es sich vorläufig nur um eine ziemlich kühne Vision ohne Bezug zur Realität handelt. Dasselbe gilt für seine Idee von der perfekten Spielweise: „Natürlich willst du am liebsten super-modernen Handball spielen. Aber dafür brauchst du die entsprechenden Spieler.“ Das ist kein Misstrauens-Votum gegenüber der aktuellen Mannschaft – im Gegenteil. „Wir sind auf dem Weg dahin“, betont der TSV-Coach, der beim Verein hauptamtlich angestellt ist.
Schon im Herbst 2018 stand fest, dass Dormagen auf einen Chefcoach umstellen will, der sich nur um den Bayer-Handball kümmert. Damit war gleichzeitig klar: Der Vertrag des Solingers Ulli Kriebel würde nach der Saison auslaufen, weil er für eine hauptberufliche Tätigkeit nicht zur Verfügung stand. Der Wille beider Seiten, bis zum Ende der Saison 2018/2019 zusammenzuarbeiten, hielt dann aber nur bis zum Winter. Vor dem Beginn des zweiten Meisterschafts-Teils stellten die Dormagener Kriebel frei, der zuvor erfolgreich in der Bayer-Jugend gearbeitet und später mit der Drittliga-Mannschaft die Rückkehr in die 2. Bundesliga geschafft hatte. Was zeitlich ganz gut passte: Bilanovic, dessen Arbeit ursprünglich erst am 1. Juli 2019 kommen sollte, stand sofort zur Verfügung. Mit ihm holte Dormagen nach 15:25 Punkten aus den 20 Spielen bis zum Jahreswechsel in den weiteren 18 Spielen ein ausgeglichenes Konto (18:18 Zähler). Unter dem Strich stand der TSV dann in der starken Gruppe aus 20 Klubs mit 33:43 Punkten über dem Strich.
Bilanovic hat in seinem Handballer-Leben bereits viel gesehen – kein Wunder bei einem, der 1985 als Spieler bei Roter Stern Belgrad begann und einige Jahre als Profi in der 1. Liga Jugoslawiens unterwegs war, ehe er über Italien und Frankreich nach Deutschland wechselte. Über den VfL Pfullingen, die HSG Dutenhofen, die TG Melsungen und die HSG Wallau-Massenheim fand er den Weg zum TV Emsdetten – bis sich beim OHV Aurich die aktive Zeit bald dem Ende zuneigte und der Handball-Verrückte bei den Ostfriesen ab 2008 am Neu-Aufbau (Insolvenz/Abstieg aus der 2. Bundesliga) beteiligt war. Nach den Stationen ART Düsseldorf (erste Mannschaft/A-Jugend) und HSC Norderstedt/Henstedt-Ulzburg folgte noch ein Sechs-Monats-Intermezzo von Dezember 2017 bis Juni 2018 bei der HSG Krefeld – wo er als Interimscoach zwischen dem Winter-Ausstieg von Olaf Mast und dem Sommer-Einstieg von Ronny Rogawska immerhin 24:8 Zähler mit dem Team sammelte.
Was Bilanovic gerne sieht und was er einigermaßen furchtbar findet, servierten ihm die Dormagener direkt am Anfang der Saison 2019/2020 – die weniger Gefahr im Kampf gegen den Abstieg und mehr Sicherheit für die Planungen bringen sollte. Die Idee funktionierte in der Realität auch ganz gut, denn Bayer hatte nach dem siebten Spieltag immerhin 8:6 Punkte – und nun die Aufgabe bei der HSG Krefeld vor sich. Der TSV-Coach erinnert sich, als wäre es erst gestern gewesen: „Da waren wir zum ersten Mal der Favorit.“ Auf dem Feld ließ sich jedoch von dieser Rollenverteilung am 11. Oktober 2019 nur ganz wenig erkennen, denn Dormagen gab eine 16:15-Halbzeitführung aus der Hand und erlitt später eine bittere 26:30-Pleite. Noch bitterer: Mehr als diese beiden Zähler holte die HSG überhaupt nicht (2:46). Der Verlauf dieses Auftritts beschreibt sehr genau die Einstellung, die Bilanovic von den Spielern verlangt: „Ich kann es nicht haben, wenn einer zu früh zufrieden ist.“ Seiner festen Auffassung nach steht so etwas zentral gegen Leidenschaft im Handball und gegen das Bestreben, sich Stück für Stück weiterzuentwickeln.
Dieses Vorhaben ging dann insgesamt auf, obwohl das Jahr 2019 nach dem fulminanten 32:23 über den Hamburger SV Handball vor mehr als 2000 Zuschauern wenig weitere Höhepunkte brachte – und der Versuch einer Revanche nicht mehr stattfand. Als Bayer am 14. März auf die Krefelder hätte treffen sollen, war die Saison coronabedingt schon unterbrochen. Und Dormagen hätte den Klassenerhalt ziemlich sicher selbst ohne den späteren Abbruch mit dem Verzicht auf Absteiger geschafft – weil die Distanz nach unten nach 24 von 34 Spieltagen groß genug war (sieben Punkte). Mit 675 Toren erzielte Dormagen die drittbeste Marke hinter den Aufsteigern (Coburg/694, Essen/712) und besonders die Bilanz in eigener Halle konnte sich mit 16:6 Zählern aus elf Partien sehen lassen. Für die noch junge Saison 2020/2021 stellt Bilanovic jetzt keine konkrete Forderung auf, weil seiner Ansicht nach viele Unwägbarkeiten auf alle Mannschaften warten und die Marathon-Serie ja erst am 26. Juni 2021 mit dem Heimspiel gegen den HC Elbflorenz aus Dresden enden soll. Ganz oben auf seinem Wunschzettel hat Dormagens Coach den Wunsch stehen, dass alle gesund bleiben sollen. Kein Wunder: Sehr dicht dahinter kommt doch der Gedanke, mit seinem Team den nächsten Schritt in der Entwicklung zu tun.
Das heißt in der Übersetzung: Ein einstelliger Tabellenplatz wäre gut – am besten als Resultat attraktiver Leistungen, die Fans in die Halle lockt. Da war kürzlich zum Auftakt 2020/2021 beim 21:24 gegen den Dessau-Roßlauer HV noch viel Luft nach oben und das Fehlen drei wichtiger Stammkräfte (Patrick Hüter, Joshua Reuland, Julian Köster) keine alles erklärende Entschuldigung. Immerhin: Acht Tage darauf gelang mit dem 26:25 im Krimi bei der SG BBM Bietigheim direkt eine beeindruckende Korrektur, sodass die Karten für die Aufgabe am Mittwochabend in Hamburg und am nächsten Sonntag gegen den TuS Ferndorf wieder ganz neu gemischt sind. Es sind zwei echte Herausforderungen, aber auch dafür brennt das Feuer in Dusko Bilanovic. Besonders dann, wenn die Zeit gerade nicht so einfach ist.