12. November 2020 | Zurück zur Artikelübersicht » |
Der Name klingt schon wie Musik: Viktor Szilagyi. Vielleicht ist es ja einfach so, dass ein Österreicher mit ungarischen Wurzeln sowieso den richtigen Takt im Blut hat. Dann ist auch noch der Name fast Programm: Viktor, der Gewinner. Mindestens einer ahnte am 16. September 1978 vielleicht schon, was da auf die Welt zukommen würde – ein begnadeter Handballer nämlich. Sein Vater István absolvierte schließlich 200 Länderspiele für Ungarn. Als Siebenjähriger nahm Viktor in St. Pölten zum ersten Mal einen Ball in die Hand und drückte damit den Startknopf für eine atemberaubende Karriere. Ein paar Stationen als Spieler: TuSEM Essen, THW Kiel, VfL Gummersbach, SG Flensburg-Handewitt, Bergischer HC. Inzwischen hat Viktor Szilagyi irgendwie die Seiten gewechselt, denn er ist der Geschäftsführer (seit Januar 2019, vorher ein Jahr Sportlicher Leiter) des großen THW Kiel, der sich selbst „Zebras“ nennt. Am Sonntag trifft der Wahl-Kieler nun die alten Kollegen wieder, denn der Tabellenführer tritt beim Bergischen HC an. Dass die „Löwen“ des BHC für dieses sportliche Highlight von der Solinger Klingenhalle in den weit über 10000 Zuschauer fassenden Düsseldorfer ISS-Dome ausweichen, passt zu dieser von Corona geprägten Saison voller Unwägbarkeiten, denn Fans sind zurzeit gar nicht zugelassen. Für Viktor Szilagyi wird es trotzdem wie eine Heimkehr sein: „Ich habe dem BHC viel zu verdanken.“ Es ist schließlich auch jener Klub, der ihm den Übergang von der einen Welt des Handballs in die andere ermöglicht hat.
Szilagyi weiß, wie sich das anfühlt, im Mittelpunkt zu stehen, Verantwortung zu tragen und Entscheidungen zu treffen. Das war zur aktiven Zeit schon so, weil er zu jenen Handballern gehörte, die manche „Unterschiedsspieler“ nennen. Der TSV Bayer Dormagen, erste Station in Deutschland nach dem Engagement in Innsbruck, blieb bis zum Ende der Laufbahn mehr als eineinhalb Jahrzehnte der einzige Klub, der nicht international unterwegs sein konnte. Champions League, Deutsche Meisterschaft, DHB-Pokal, Supercup, EHF-Pokal, Europapokal der Pokalsieger: Szilagiy hat alles miterlebt, er war mittendrin und nicht nur ein bisschen dabei. Ganz nebenbei gehört er zu den Spielern, die es sich leisten konnten, für beide Nord-Rivalen aufzulaufen – wie die Torhüter-Legende Matthias Andersson, der von 2011 bis 2018 bei der SG Flensburg-Handewitt zwischen den Pfosten stand. Seinerzeit waren Szilagyi und Andersson Teamkollegen auf Zeit und heute arbeiten sie wieder zusammen. Andersson, der seine Karriere bereits beendet hatte, ist inzwischen nicht nur Torwart-Trainer der Kieler, sondern mit 42 Jahren zusätzlich deren aktiver Mann für den Fall der Fälle.
Der Tagesablauf des Geschäftsführers ist eng getaktet beim THW, der zu den bevorzugten Adressen in der Handball-Welt gehört. Bundesliga, Champions League, Abstellung von Nationalspielern, Reisen und Spieler-Verpflichtungen lassen keinen Millimeter Raum für Langeweile. Und das allgegenwärtige Thema Corona sorgt für eine zusätzliche zeitliche Belastung. Immer wieder stellen sich neue Herausforderungen – wie in dieser Woche der positive Test von Nationaltorhüter Johannes Bitter (TVB Stuttgart) nach der Rückkehr vom EM-Qualifikationsspiel in Estland. Weil zum DHB-Kader unter anderem die Kieler Feldspieler Patrick Wiencek und Hendrik Pekeler sowie Torwart-Trainer Andersson gehörten, lief sofort das seit Langem eingeübte Programm an. „Wir gehen mit diesem Thema sehr sensibel um“, sagt Szilagyi, der sich wie alle Bundesligisten vor allem eins wünscht: „Ich habe die große Hoffnung, dass wir eine sportlich reguläre Saison mit 38 Spieltagen bekommen.“ Und der 42-Jährige versichert, dass er für seine ohnehin äußerst reizvolle Aufgabe momentan besonders motiviert ist: „Das stärkt meinen Willen, gegen die Krise zu kämpfen. Ich bin unglaublich froh, das hier in Kiel zu zu können. Ich werde mich mit der größten Leidenschaft dafür einsetzen, dass wir gut durch die größte Krise in der Geschichte des Handballs kommen.“
Feine Technik beim Wurf, große Übersicht und einen ausgeprägten Kampfgeist zeigte Viktor Szilagyi, nachdem er im Sommer 2012 aus dem Oberbergischen Gummersbach ins Bergische Land gewechselt war. Der erhoffte Erfolg stellte sich praktisch auf Anhieb ein, denn Erfahrung und Klasse des damals 34 Jahre alten Rückraumspielers/Regisseurs brachten den BHC auf direktem Weg zurück in die 1. Bundesliga. Nach der Saison 2015/2016 sollte dann eigentlich Schluss sein mit dem aktiven Handball. Wichtig für beide Seiten: Szilagyi und der BHC hatten sich längst darauf verständigt, die Zusammenarbeit fortzusetzen und aus dem Ex-Spieler den Sportlichen Leiter zu machen. Das mit dem Ex hatte sich allerdings bald erledigt, denn Szilagyi kehrte nach einem schwierigen Start des BHC noch einmal aufs Feld zurück, um im Kampf gegen das drohende Unheil mitzuhelfen. Der Lohn für den hohen Einsatz blieb jedoch aus, denn am 15. Februar 2017 erlitt der Routinier in der zehnten Minute des Spiels bei den Füchsen Berlin eine schwere Knieverletzung – Kreuzbandriss, Innenbandriss, Bruch des Schienbein-Köpfchens. Ebenfalls bitter: Der BHC gewann zwar überraschend in Berlin (30:29), verpasste das rettende Ufer aber später um ein paar Zentimeter.
Die eine Tür hatte sich geschlossen – und eine andere Tat sich auf. Der vollständige Wechsel ins Management des BHC schien besiegelt zu sein, doch es kam alles ganz anders. Verschiedene Vereine klopften an, machten Angebote für eine Tätigkeit als Trainer oder in der Sportlichen Führung. Viktor Szilagyi kam ins Grübeln, zumal eins dabei war, dass er fast unmöglich ablehnen konnte: Der Turnverein Hassee-Winterbek aus Kiel wollte den einstigen Weltklasse-Handballer haben – ein Angebot, das nicht so oft kommen würde. Doch was mit dem Bergischen HC machen? Szilagyi rannte beim BHC nicht gerade offene Türen ein, fand dafür allerdings viel Verständnis für den Wunsch, sich zu seinem alten Klub zu verändern. Die freundschaftliche Trennung zum Januar 2018 zeigte ein weiteres Mal, wie hoch im Kurs Viktor Szilagyi im Bergischen Land stand.
Auf die Jahre in Solingen (Klingenhalle) und Wuppertal (Uni-Halle) blickt er nicht zuletzt deshalb sehr gerne zurück. „Es war eine tolle Zeit und es war dann auch ein toller Abschied“, findet der Österreicher, „ich bin stolz darauf, dass wir das so hingekriegt haben.“ Wenn er heute aus dem hohen Norden in den Westen herunterblickt, schwingt zudem eine Menge Respekt mit: „Erstes Ziel ist es gewesen, sich in der Bundesliga zu etablieren. Der BHC hat den richtigen Weg eingeschlagen und er leistet eine konstante Arbeit.“ Und ganz klar: Trainer Sebastian Hinze, bei dem er selbst Spieler war, findet Szilagyi immer noch richtig gut. „Ich schätze ihn als Fachmann sehr, wir tauschen uns regelmäßig aus“, berichtet der THW-Geschäftsführer. Die gegenseitige Wertschätzung geht natürlich nicht so weit, dass sich die Herren vor Sonntag wichtige Details über die eigenen Mannschaften verraten oder erzählen, was der andere vorhat: „Ich gönne dem BHC, dass er das eine oder andere Ausrufezeichen setzt, aber es muss ja nicht gegen uns sein.“
Dass der THW und Trainer Filip Jicha, der frühere Welt-Handballer, über einen Kader der Extraklasse verfügen, wissen sie nicht nur in Solingen ganz genau. Das alles geht bei Torhüter Niklas Landin los und hört bei den deutschen Nationalspielern Wiencek und Pekeler noch lange nicht auf. Herausragend: Der Kroate Domagoj Duvnjak (32) und Neuzugang Sander Sagosen (25) bilden das wahrscheinlich beste Spielmacher-Duo der Welt. Dass die Kieler den Norweger vom Top-Klub Paris St. Germain loseisen konnten, erfüllt Viktor Szilagyi mit Stolz: „Es war nicht das Geld, das den Ausschlag gegeben hat. Sander hat gespürt, dass der THW der richtige Verein ist, um seine Ziele zu erreichen.“ Für die Mannschaft heißt das, sich erneut hohen bis höchsten Anforderungen zu stellen – also Druck auszuhalten. „Wenn du das irgendwo aushalten kannst, dann in Kiel“, betont Szilagyi, der sich selbstredend wegen der hohen Ziele des Vereins am Samstag einen Sieg beim BHC wünscht. Die Gastgeber haben ihre eigenen Pläne und hätten am liebsten eine eigene Überraschung – wie sie vor einem Monat am 10. Oktober der HSG Wetzlar mit dem 31:22 gegen den THW gelang. Und falls es nicht reicht für den BHC, würde er es bestimmt einem wie Viktor Szilagyi gönnen. Einem, dessen Name wie Musik klingt.