Harz beiseite
„Bobby“ Gruner: DHB holt Weltmeisterin aus Königsdorf
Die frühere Nationalspielern arbeitet ab Januar als Co-Trainerin für die Nationalmannschaft U 17/U 18.

Mit Leidenschaft dabei: Sybille Gruner macht es Spaß, mit jungen Leuten zu arbeiten und anderen was von ihrer großen Erfahrung als Handballerin weiterzugeben. (Foto: Maria Schulz)

Eine Weltmeisterin als Jugendtrainerin? Ist was Besonderes. Und deshalb war der TuS Königsdorf vor knapp zweieinhalb Jahren sehr stolz darauf, dass er Sybille Gruner für den Nachwuchs verpflichten konnte. Inzwischen steht fest, dass sich der TuS seine prominente Mitstreiterin mit dem DHB teilen „muss“. Gruner (51), Inhaberin der A-Lizenz, wird ab dem 1. Januar 2021 als Co-Trainerin der weiblichen U 17/U 18 arbeiten und sich an der Seite von Gino Smits um die Nationalmannschaft der Jahrgänge 2004/2005 kümmern, die sich auf die Europameisterschaft U 17 im Sommer 2021 vorbereitet. An ihren Aufgaben als Trainerin der B1 und Sportliche Leiterin der Mädchen in Königsdorf wird sich trotzdem nicht so viel ändern – und Gruner, die alle seit den Anfängen im Handball in der Regel „Bobby“ nennen, ist dem TuS sehr dankbar fürs Entgegenkommen: „Der Verein hat sofort gesagt, dass sie meine Aufgaben in der Zeit, in der ich beim DHB bin, gemeinsam übernehmen und mich voll unterstützen.“

Geboren wurde Sybille Gruner im Mai 1969 in Erfurt. Als ihre Mutter, die früher selbst Handball spielte, für eine Freundin ein Jugendtraining übernahm und Sybille kurzerhand mit in die Halle kam, war das ein Glücksgriff – erst für den DDR-Handball und später für den gesamtdeutschen. Mit 14 ging es in eine reine Handball-Klasse auf die Sportschule Leipzig. „Wir waren neun Mädchen und neun Jungs und alle haben Handball gespielt. Das war schon super“ sagt Gruner heute über die damalige Sportlerförderung. Da die Schule dem SC Leipzig angegliedert war und dort 1986 die etatmäßigen  Spielerinnen in der Rückraum-Mitte ausfielen, durfte „Bobby“ als 16-Jährige in der Oberliga und sogar im IHF-Pokal auflaufen (mittlerweile EHF-Pokal). Eben dieser IHF-Pokal sollte Gruner auch den ersten Titel in ihrer erfolgreichen Karriere bringen. „Das war schon Wahnsinn, wobei ich das damals überhaupt nicht so empfunden habe. Mit dem jugendlichen Leichtsinn fiel es mir leicht, da nicht groß drüber nachzudenken. Aber ich habe ja sogar viel gespielt und auch Tore geworfen. Vermutlich hat die Abwehr dem Küken nichts zugetraut“, erzählt Gruner. In den Jahren vor der Wende wurde sie mit dem SC noch je einmal Meister und Pokalsieger. Ihr erstes A-Länderspiel bestritt sie 1988 für die DDR, nachdem bei der Junioren-WM 1987 der dritte Platz herausgesprungen war.

Nach dem Fall der Mauer wechselte Sybille Gruner unter anderem wegen der beruflichen Perspektive zum TSV Bayer 04 Leverkusen und begann gleichzeitig eine Ausbildung zur Bürokauffrau. Im Anschluss an den Triumph im DHB-Pokal folgten die erfolgreichsten Jahre mit der deutschen Nationalmannschaft und von der Atmosphäre bei den Olympischen Spielen 1992 in Barcelona schwärmt sie heute noch: „Das ist etwas ganz Besonderes, nur Spitzensportler um sich zu haben. Wir hatten dann auch immer Kontakt zu den deutschen Basketballern und durften uns deren Spiel gegen das Dream Team aus den USA live in der Halle anschauen. So etwas vergisst man natürlich nicht.“ Sportlich wurde es ein irgendwie bitterer vierter Platz, der aber im Nachhinein als Extra-Motivation für die WM 1993 in Norwegen gelten könnte: „Vielleicht war das Verpassen der Medaille bei Olympia der Auslöser für unseren überraschenden Sieg. Wir waren sicher nicht die Favoriten und hatten 8000 Zuschauer gegen uns.“ Im Finale von Oslo stand ein 22:21 nach Verlängerung gegen Dänemark auf der Anzeigetafel. Besonders bemerkenswert: Sybille Gruner erzielte per Strafwurf den letzten Treffer in den ersten 60 Minuten, die keinen Sieger brachten (17:17). Ein Jahr später revanchierten sich die Däninnen im EM-Finale von Berlin und gewannen mit 27:23. Gruner sieht es mit Abstand recht gelassen: „Wir haben den wichtigeren Titel gewonnen und man muss sagen, dass sie sich auch nicht mehr von uns haben überraschen lassen.“

Ihr letztes Länderspiel bestritt Gruner im Frühjahr 1996, als sie neben dem Handball bereits tief im Studium der Betriebswirtschaftslehre steckte. In der Bundesliga spielte sie noch bis 2002 für die „Elfen“ aus Leverkusen und ihr letzter aktiver Einsatz war der Sieg im DHB-Pokal: „Das war wirklich wunderschön, etwas Besseres kann man sich zum Schluss seiner Spielerkarriere wirklich nicht wünschen.“ Dabei war es ja gar kein richtiger Abschied, denn in der folgenden Saison fungierte „Bobby“ als Co-Trainerin von Renate Wolf bei der Bundesliga-Mannschaft in Leverkusen. Drei Jahre vorher ​hatte die Mutter zweier Töchter während ihrer ersten Schwangerschaft (mit Dana/Linksaußen beim TuS Lintfort in der 2. Bundesliga) für eine Saison die weibliche A-Jugend des TSV übernommen und erste Trainer-Erfahrungen gesammelt. Von 2000 bis 2003 erwarb Sybille Gruner die A-Lizenz, im Jahr 2008 übernahm sie die Leitung des DHB-Stützpunkts Leverkusen und ab 2013 war sie zusätzlich Jugend-Koordinatorin des TSV Bayer. Als 2018 die Anfrage aus Königsdorf kam, dort den starken Jahrgang aus der damaligen weiblichen C-Jugend zu übernehmen und zugleich komplett für die Ausrichtung des Mädchen-Handballs verantwortlich zu sein, spürte Gruner bereits den Drang nach einer beruflichen Veränderung.

So kam es schnell zu einer Einigung und zum Abschied aus Leverkusen. Königsdorfs Abteilungsleiterin Christine Behrens-Vosen bat Gruner zudem um Bewerbungsunterlagen – denn sie hatte schon eine Idee, was einen hauptamtlichen Arbeitgeber angeht. Noch am selben Tag meldete sich Klaus Breitung, der ehemalige Physiotherapeut der deutschen Basketball-Nationalmannschaft und Gründer von PhysioSport Köln. Breitung suchte Verstärkung im Management seines Unternehmens und Controllerin Gruner ist heute noch erstaunt über den Anruf: „Es ist manchmal verrückt, wie das Leben so spielt. Am Telefon hat mich Klaus erst mal gefragt, ob ich mich an unsere Gespräche bei Olympia 1992 in Barcelona erinnern könne. Konnte ich natürlich, aber das war eine große Überraschung. Es hat dann wirklich sehr gut zusammengepasst und mittlerweile ist er mein Chef.“

Dass es künftig gut harmoniert, erhofft sich auch Jochen Beppler, denn der Chef-Bundestrainer Nachwuchs des DHB fragte vor einigen Wochen bei der Wahl-Leverkusenerin für die Aufgabe beim DHB an. Nach einem persönlichen Gespräch mit Cheftrainer Gino Smits, der Zusage des Arbeitgebers für zeitliche Freiräume und dem Ja des TuS Königsdorf musste Sybille Gruner nicht lange überlegen – und sie wird nun bereits beim nächsten Lehrgang einsteigen. „Wieder Co zu sein, wird interessant, da ich jetzt ja lange selbst in der vollen Verantwortung war beziehungsweise bin. Gino und ich werden uns da aber gut arrangieren. Tatsächlich erhoffe ich mir auch, noch Sachen von Gino zu lernen. Ich freue mich richtig darauf, mit den Mädels zu arbeiten. Die wissen ja oft noch gar nicht, was sie alles können, und entwickeln sich in dem Alter sehr schnell“, findet Sybille Gruner.

Warum ausgerechnet ihr Name in den Fokus rückte? Beim DHB hatten sie festgestellt, dass viele junge Spielerinnen, die gerade in die Bundesliga drängen oder sich dort bereits etabliert haben, früher mal unter einer Jugendkoordinatorin Sybille Gruner in Leverkusen aktiv waren. Ab sofort kann die Nationalmannschaft U 17/U18 auf den Erfahrungsschatz und das Handball-Verständnis einer Weltmeisterin zurückgreifen. Und wer mit „Bobby“ spricht, merkt sehr schnell, dass der Handball sie noch immer begeistert, dass ihr das Training viel Spaß macht. Darüber hinaus ist sie sehr dankbar für alles, was sie im Handball erleben durfte. Nicht nur Königsdorf hofft darauf, dass Sybille Gruner ihre Fähigkeiten und ihr Wissen und ihre Fähigkeiten so lange wie möglich für den TuS einsetzt. Eine Weltmeisterin als Jugendtrainerin? Ist was Besonderes. Hundertprozentig.