02. Dezember 2020 | Zurück zur Artikelübersicht » |
Er trägt Gummersbach im Herzen. Seine Familie lebt dort und er verfolgt genau, was beim Traditionsklub vor sich geht. Und Markus Krauthoff-Murfuni drückt dem VfL bei der „Mission Aufstieg“ die Daumen. „Ich bin ein Gummersbacher Jung“, sagt der in Bergneustadt geborene Krauthoff-Murfuni, „das ist meine Heimat.“ Das könnte am Freitag zu einem kleinen Problem werden – was mit den beruflichen Verpflichtungen des 44-Jährigen zusammenhängt. Der Trainer, der wie nicht wenige Kollegen echt verrückt nach Handball ist, hat dienstlich in Gummersbach zu tun. Als Chefcoach des ThSV Eisenach. Und in dieser Rolle bleibt ihm, den viele „Kraudi“ nennen, gar nichts anderes übrig, als „seinem“ VfL den größten möglichen Schaden zuzufügen. Das heißt: Krauthoff-Murfuni wäre am Freitagabend glücklich, wenn es ab 19 Uhr bis ungefähr 20.30 Uhr perfekt läuft für die Thüringer – gerne so gut, dass eine große oder sehr große Überraschung auf der Anzeigetafel in der Schwalbe-Arena zu lesen ist. Dass der ThSV beim Aufstiegskandidaten VfL als Außenseiter gilt, wissen Murfuni und seine Mannschaft. Es handelt sich schließlich um das Duell zwischen einem Klub, der die Rückkehr ins Oberhaus anstrebt, und einem Verein, der sich „nur“ in der 2. Bundesliga festbeißen will.
Im Sommer 2019 ahnt im Oberbergischen niemand, dass sich die Ereignisse überschlagen werden. Markus Krauthoff-Murfuni hat gerade drei Jahre beim TuS Derschlag hinter sich – zuerst als Jugendleiter und dann als Sportlicher Leiter der Oberliga-Männer. Bis 2016 war der frühere Kreisläufer in der deutlich größeren Handball-Welt unterwegs und zuletzt in der Schweiz bei den Kadetten Schaffhausen als Co-Trainer der deutschen Handball-Legende Markus Baur tätig. Bundesliga-Stationen als Spieler: SG Solingen, Wallau-Massenheim, Pfullingen. Wo er das Handwerkszeug für einen Profi mitbekommen hat? In der Jugend des VfL Gummersbach. „Dort habe ich alles gelernt“, bestätigt Krauthoff-Murfuni, der anschließend im Seniorenbereich des VfL nicht richtig zum Zuge kam. Ans Aufgeben dachte er trotzdem nicht – was sowieso nicht zu ihm gepasst hätte.
Die folgende Geschichte ist längst legendär. Ein Stammkunde im Salon von Sonia Murfuni, der Frau von Markus: Sead Hasanefendic, einst an der Seitenlinie des VfL und danach Coach der Eisenacher, die mit dem Kult-Trainer eben den Wieder-Aufstieg in die 2. Bundesliga geschafft hatten. Die Entwicklung im Zeitraffer: Hasanefendic sorgt dafür, dass Krauthoff-Murfuni als Co-Trainer und Jugend-Koordinator zum ThSV kommt. Mit dem Duo am Regiepult sammelt Eisenach bis zum 6. März 2020 immerhin 21:27 Punkte, die Platz elf und eine solide Basis für den weiteren Kampf um den Klassenerhalt bringen. Das 28:37 beim späteren Bundesliga-Rückkehrer TuSEM Essen ist dann coronabedingt das Aus in der Saison 2019/2020, die erst unter- und etwas später mit dem eingebauten Verzicht auf Absteiger abgebrochen wird. Sehr viel spricht allerdings dafür, dass es die Eisenacher auch aus eigener Kraft geschafft hätten. Sehr wenig spricht damals für das, was sich gut drei Monate später personell ereignen wird. Sommer 2020: Der ThSV Eisenach hat beschlossen, sich personell anders aufzustellen. Wieder im Zeitraffer: Hasanefendic geht, Murfuni übernimmt – als neuer Cheftrainer. Das Verhältnis der beiden leidet darunter offensichtlich nicht und der „Lehrmeister“ tauscht sich mit seinem Nachfolger bald offen aus. Dafür und für das Vertrauen des Vereins in seine Fähigkeiten ist Krauthoff-Murfuni bis heute sehr dankbar.
„Ja, ich mache jetzt das, was ich eigentlich immer vorhatte“, bestätigt Krautfhoff-Murfuni, dessen Mannschaft mit dem 36:26 am 2. Oktober beim TuS Fürstenfeldbruck einen Traumstart in die Serie erwischt und nach dem ersten Spieltag sogar die Tabellenführung übernimmt. Es folgt eine Berg- und Talfahrt – 27:29 gegen den TuS N-Lübbecke, 21:32 beim VfL Lübeck-Schwartau, 30:29 gegen HSG Konstanz, 20:24 gegen TV Hüttenberg, 23:33 beim ASV Hamm-Westfalen. Das Konto steht plötzlich bei 4:8 Zählern, ehe das hart erkämpfte 24:23 über den TV Emsdetten und erst recht das nicht selbstverständliche 32:29 beim TV Großwallstadt sowohl für Erleichterung als auch für den Ausgleich des Kontos sorgen (8:8 Punkte).
Markus Krauthoff-Murfuni weiß, dass die Eisenacher die Ausschläge begrenzen sollten und auf dem Weg durch die Saison ein festes Konstanz-Niveau brauchen – und er sieht die Mannschaft auf dem richtigen Weg. Es ist eine Frage der Entwicklung, in die seiner Ansicht nach nicht zuletzt der Trainer gehört. Im stetigen Lernprozess schließt sich der ThSV-Coach dabei keineswegs aus, weil er sich als Teil des Ganzen sieht. Über allem steht in seiner Handball-Philosophie mit Leidenschaft, Tempo, konsequenter Abwehr und Teamgeist ein Spruch, den er sich bei der Basketball-Ikone Dirk Nowitzki ausgeliehen hat: „Wenn du alles gibst, kannst du dir nichts vorwerfen!“ Mit dieser inneren Einstellung wollen die Eisenacher auch in der Schwalbe-Arena aufs Feld gehen.
Stärken und Schwächen der Gummersbacher sind Krauthoff-Murfuni selbstredend aus intensivem Video-Studium bekannt. Dass etwa der vom Bundesligisten MT Melsungen gekommene Regisseur Timm Schneider (32) der Dreh- und Angelpunkt ist, bestätigen die Aufnahmen ebenso wie die Feststellung, dass der aus Island geholte Ellidi Vidarsson (22) hinten wie vorne (Kreisläufer) ein ähnlicher personeller Volltreffer ist. „Gummersbach hat sich gut und gezielt verstärkt“, findet Krauthoff-Murfuni, „sie haben eine richtig gute Mischung in der Mannschaft. Wir haben Respekt vor der Aufgabe, aber keine Angst.“ Dass er sich ein paar Dinge überlegt fürs Trainer-Duell mit seinem prominenten Kollegen Gudjon Valur Sigurdsson, liegt auf der Hand. Für sich selbst erwartet er sowieso ein besonderes Spiel: „Das wird sicher emotional.“ Rein sachlich steht der Handball im Vordergrund: „Für mich zählt das Gefühl, dass ich gute Arbeit leiste.“ Viel Zeit zum Durchschnaufen bleibt ihm im Übrigen nicht, weil bereits am nächsten Dienstag das Nachholspiel beim EHV Aue wartet. Ein zusätzlicher Abstecher zu seinen Frauen sollte trotzdem drin sein, zumal Ehefrau Sonia und die neun Jahre alte Tochter Lola nicht in die Halle kommen können (Zuschauer nicht zugelassen). Eigentlich ist es doch ganz einfach: Markus Krauthoff-Murfuni trägt Gummersbach im Herzen. Immer.